20.09.2011

Menschenrechtspreis 2011: Khaled Saeed und wenn die Welt zusammenrückt

Khaled Saeed auf einem Stück der Berliner Mauer.
Khaleds Schwester Zahraa Kassem schrieb mit roter Schrift
"Khaleds Rechte sind Ägyptens Rechte" und unten ist zu
lesen "Wir sind alle Khaled Saeed", eine Kalligraphie
von Mohamed Gaber, gemalt von "Case".
Von Daniel Roters, Kairo

Am 19. September verlieh die Friedrich-Ebert-Stiftung den Menschenrechtspreis 2011 an Khaled Saeed (Ägypten) und Slim Amamou (Tunesien). Mit einer künstlerischen Aktion reicht Deutschland den Ägyptern nun die Hand.

Der sogenannte "Arabische Frühling" droht im Fall Ägypten zu erkalten. Die Menschen auf der Straße und die Aktivisten von damals sind ernüchtert über die derzeitige Situation in Ägypten.

Wir berichteten über die zahlreichen Graffitis, die allerorts auftauchen, ein Mahnmal für Ägypten und die Ägypter. Richtig ist aber aber auch, dass an staatlichen Gebäuden versucht wird, die kleinen Kunstwerke abzuwaschen, als habe der Fall Khaled Saeed nie stattgefunden, als habe es keinen Frühling in Ägypten gegeben.

Ein Zeichen, welches Mut macht, ist nun in Berlin gesetzt worden. Die Friedrich-Ebert Stiftung hat am 19. September 2011 den Blogger Khaled Said posthum mit dem Menschenrechtspreis 2011 geehrt. Der im Juni 2010 verstorbene junge Mann hatte belastendes Material über Polizeioffiziere in seiner Heimatstadt Alexandria gesammelt. In einem Internetcafé wurde er dann von Polizisten aufgesucht, auf die Straße gezerrt und zu Tode geprügelt. Die Autoritäten und auch Gerichtsmediziner versuchten im Nachhinein den Fall zu vertuschen, indem sie den Aktivisten und seine Familie diskreditierten.

Schnell verbreiteten sich Fotos des geschundenen Körpers des jungen Mannes über die sozialen Netzwerke. Zwar hatte jeder diese grausamen Fotos gesehen, doch alle Ägypter und diejenigen, die den Fall Khaled Saeed verfolgten, haben ein Bild im Kopf: Das des jungen Mannes, der einem recht selbstbewusst direkt in die Augen zu sehen scheint. Es ist auf keinen Fall das Bild, dass man von einem verwirrten Drogensüchtigen hat, so wie ihn Mubaraks Machtapparat darstellen wollte.

Khaleds Schwester übernahm den Preis für ihren verstorbenen Bruder. Dr. Joachim Gauck hielt die Laudatio auf den jungen Mann, der zum Symbol des ägyptischen Widerstandes wurde. Das Bild, dass bis heute in Form von Hunderten von Graffitis in ganz Ägypten die Menschen mahnt, wurde von dem Künstler  Andreas von Chrzanowski ("Case") auf ein Stück der Berliner Mauer verewigt. Im Rahmen des 50. Jahrestages des Mauerbaus erinnert ein Mauerkunst-Skulpturenpark (Freedom Park, realisiert durch den Künstler Don "Stone" Karl und The Dudes Factory) mit original Berliner Mauer-Elementen an dieses Ereignis.

Die beteiligten Künstler sind im Oktober dieses Jahres im Rahmen eines Projekts des Goethe-Instituts in Alexandria und werden dort ebenfalls ein überlebensgroßes Portrait fertigen.

Ebenfalls erhielt den Menschenrechtspreis 2011 der tunesische Aktivist Slim Amamou (geb. 1977), der in den letzten Tagen der Herrschaft Ben Alis im Gefängnis saß und in der Übergangsregierung das Amt des Ministers für Sport und Jugend ausübte. Schließlich jedoch legte er sein Amt nieder. Er wollte in einer anderen Form am Aufbau eines demokratischen Tunesiens beteiligt sein.

Mit der Ehrung gleich zweier Menschen aus dem arabischen Raum wird vielleicht auch die breite Öffentlichkeit anerkennen, dass die Rebellionen in der arabischen Welt unsere Sichtweisen über die dortigen Gesellschaften verändert haben. Dies wird hoffentlich auch Auswirkungen auf die Diskussionen um den Islam und die arabische Welt in Deutschland haben. Die Anerkennung der Tatkraft, des Idealismus, aber auch des Leides der beiden Männer aus Ägypten und Tunesien gibt Anlass zur Hoffnung.

18.09.2011

Postrevolutionäres Ägypten: Demokratie ohne Demokraten?


Am Beispiel der Proteste gegen die Haft Sheikh Umars
lässt sich demonstrieren wie die Muslimbruderschaft
Demokratie definiert: Sie ist gut, solange sie uns dient.
Von Daniel Roters, Kairo

Es ist besser, aber nicht optimal. Es schwebt etwas in der Luft, nicht schwarz, nicht weiß. Es wird vermittelt: Alles wie immer, läuft doch! Letzten Freitag auf dem Tahrir-Platz herrschte eine friedliche Volksfeststimmung. Popcorn und Cola: "Revolution-Gucken" als Wochenendausflug. Die Revolution ist beendet in den Köpfen der Menschen. Sie scheinen nicht zu ahnen, dass sie um das, was sie schon erreicht haben betrogen wurden.

Gleichzeitig muss die europäische Berichterstattung getadelt werden, die zu gerne von massiver Kriminalität und religiöser Gewalt nach dem Sturz Mubaraks berichtet. Meist werden die europäischen Medien durch soziale Netzwerke dazu verführt veröffentlichte Meldungen unbestätigt zu übernehmen, frei nach dem Motto: Gewalt und Kriminalität in Ägypten? Das muss doch etwas mit Religion zu tun haben! Selbst die Zusammenstöße zwischen Fußballfans bei der letzten Begegnung zwischen den Clubs al-Ahly und Zamalek am Wochenende deuteten ausländische Beobachter als Zeichen religiöser Spannungen zwischen Kopten und Muslimen. Rufe nach Stabilität und Sicherheit werden laut. In Ägypten bedeutet das für viele Menschen aber den Verlust der Freiheit.

Im Frühjahr waren die Ägypter voller Euphorie. Nach dem Sturz Mubaraks schien ein Ruck durch das Land zu gehen. Freiheit und Demokratie war in aller Munde und auf dem Tahrir-Platz wurde beides im kleinen Maßstab gelebt. Gerade die Jugend schien bereit, mehr Verantwortung zu tragen, um das Land in eine bessere Zukunft zu führen. Dass sich dies schwieriger gestalten lässt als erwartet, verdeutlichte eine durch die Konrad Adenauer-Stiftung unterstützte Konferenz, auf der am  18. und 19. September 2011 ein neues politisches System für Ägypten nach den Wahlen diskutiert wurde.

Die 30-jährige Herrschaft Mubaraks hat das Land tief getroffen. Viele Ägypter fühlen sich fremd in der eigenen Gesellschaft, die sich in Tradition und Paranoia flüchtet. Das größte Problem: Wie eine Demokratie aufbauen ohne Demokraten? Das ägyptische Bildungssystem hatte  im Sinne von politischer Bildung nie eine Rolle gespielt. Im Gegenteil: Alles war darauf ausgerichtet, Studenten und Schüler möglichst beschäftigt zu halten, zu ermüden, damit sie nicht auf die Idee kamen, schöngeistig über Frieden und Freiheit zu schwadronieren. Die Universitäten und Schulen im Mubarak-Land waren Hamsterräder, Wartepositionen vor der Arbeitslosigkeit, Beschäftigungstherapie und gelegentlich auch ein Luxusgeschäft im Falle der Privatschulen und -universitäten. Diejenigen, die Programme zur politischen Bildung fordern meinen es gut, doch fehlt der Masse der Menschen einfach die Zeit. Grundbedürfnisse müssen erfüllt werden: Freiheit macht nicht satt.

Die Frage lautet also: Welche Rolle wird die Demokratie in Ägypten spielen? Findet Sie nur anlässlisch angekündigter Wahlen statt oder wird sie eine dauerhaften Platz im Leben der Ägypter haben?
Das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit wird deutlich, wenn vor der US-Botschaft in Kairo, unweit vom Shepheard Hotel, Muslimbruder für die Freilassung des in den USA zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilten Umar Abd ar-Rahman demonstrieren. Abd ar-Rahman ist Führer der islamistischen und als terroristisch eingestuften Organisation al-Gama'a al-Islamiyya, außerdem ein erklärter Gegner des ägyptischen Säkularismus. 

Schon der Weg zur Konferenz machte also deutlich, dass viele Menschen ein demokratisches System wünschen, doch einige wenige zu wenig über demokratische Werte nachdenken.
Muslimbrüder beschimpfen vor der US-Botschaft US-Präsident Obama als Demokratiefeind. Es sei menschenunwürdig, dass Umar Abd ar-Rahman nun sein Leben lang im Gefängnis sitzen müsse, seine Meinungs- und Religionsfreiheit würde beschnitten. Natürlich treten die Muslimbrüder auch während der Konferenz für „Demokratie light“ ein. Demokratie ist momentan IN, autokrate Regime ziemlich OUT…  Dennoch verziehen die Muslimbrüder (und –schwestern) missmutig die Gesichter, wenn es um die Rechte von Frauen und Homosexuellen geht. Ihnen werden direkte Fragen  bezüglich des geforderten Minderheitenschutzes gestellt, doch sie sprechen von „Detailfragen“, die jetzt nicht zu klären seien. Eine Vertreterin der Muslimbruderschaft preiste den Islam als Lösung aller jetzigen Diskussionen um einen säkularen Staat: Der Islam habe den ersten zivilen Staat in der Geschichte begründet. 

Nun geht es aber nicht um die islamische Urgemeinde, sondern um das moderne Ägypten, um eine Nation, die wiederholt in einer Findungsphase steckt. Ägyptens Geographie und die Geschichte des Landes haben eine Art Nationalismus geprägt, bevor es überhaupt Nationen gab. Die Menschen, die hier lebten waren Ägypter und Ägypten war ihre Heimat. Und dies war dann auch der Tenor der meisten Beteiligten. Die prominente Anwältin und Menschenrechtsexpertin Dr. Mona Zulfikar hielt als Vorsitzende des Panels über „Rechte und Freiheiten in der neuen Verfassung“ ein überzeugendes Plädoyer für eine neue Verfassung, in der sich jeder Ägypter widerspiegeln können sollte, Muslime wie Christen, Liberale wie Islamisch-Konservative. Zumindest in dieser Zeit, in der man nach einer neuen Ordnung für Ägypten suche, sollten politische Lager keine Rolle spielen. Sie appellierte an einen staatsbürgerlichen Geist, den Sie während der revolutionären Unruhen im Frühjahr gesehen habe.

Eine neue Verfassung sei die konsequente Umsetzung der Forderungen der Revolution bedeuten, denn sie sei das Mittel, um dem Volk die Herrschaft über das Land zu verleihen. So soll ein Parlament eine größere Rolle spielen. Außerdem wurde die Ansicht vertreten, dass die Zeit des starken Präsidenten vorbei sei. Ägypten brauche einen repräsentativen Präsidenten und einen starken Premierminister.
Doch ich sah den Zuhörern an, dass sie nicht wirklich an einen Wandel glaubten. Wortmeldungen gaben zu bedenken, dass in Ägypten momentan kein Gesetz herrsche, lediglich der Anspruch einer wie auch immer gearteten Ordnung auf Kosten der Freiheit. Viele gehen davon aus, dass selbst nach nun angekündigten Wahlen im November diesen bzw. Januar nächsten Jahres diese Situation der Unsicherheit über Jahre hinweg anhalten könne. 

Schließlich fasste der Journalist und Politikwissenschaftler Ammar Ali Hassan treffend zusammen: „Wir benötigen eine Kultur der Demokratie, denn wie kann es Demokratie geben ohne Demokraten? Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach…“