31.05.2011

Frühling in Syrien


Von Paula Manstetten

Folge 1 einer Serie über den arabischen Frühling in Syrien. Frau Manstetten ist Studentin an unserem Institut.

Vor ein paar Tagen schrieb mir ein syrischer Freund: „Uns geht es gut, Gott sei Dank, hier ist alles wieder normal.“ Das mag auf den ersten Blick absurd klingen, bedenkt man, dass es in Syrien seit Beginn der Unruhen Mitte März eigentlich täglich Verhaftungen und Tote gab. Von mehr als 1000 Toten geht man derzeit aus, mindestens 8000 Menschen wurden verhaftet. Im Augenblick scheint weder ein Sturz des Regimes, noch ein Ende der Proteste in Sicht zu sein. 

Die hiesige Berichterstattung legt nahe, dass sich die Proteste auf das ganze Land ausgeweitet haben, und irgendwie stimmt das auch. Trotzdem sind die Demonstrationen, und das übersieht man leicht, lokal begrenzt auf einzelne Stadtviertel und Dörfer und haben nur wenige Städte, und auch nur zwischenzeitlich, mehr oder weniger gänzlich erfasst. Für diese Städte, so zum Beispiel für die südsyrische Stadt Der’a, in der die Protestbewegung gewissermaßen ihren Anfang nahm und in die am 24.04. die Armee einrückte, ist ein „Normalzustand“ freilich in unendlich weite Ferne gerückt. 

Vielerorts kann man aber weiterhin einen relativen Alltag erleben. Selbst wenn im Nachbarviertel Demonstranten und Sicherheitskräfte zusammenstoßen, kann es schließlich sein, dass man davon erst im Nachhinein durch die Medien, oder aber gar nicht erfährt. Ich selbst habe das mehrfach so erlebt, bevor ich Syrien Ende April auf Aufforderung des Auswärtigen Amtes verlassen habe. In meinem Nachbarviertel, Barzeh, wagten sich die Bewohner (darunter auch eine gute Freundin von mir) drei Tage lang nicht auf die Straße, da Sicherheitskräfte von den Dächern aus auf Demonstranten schossen. Ich hörte davon erst Tage später von meiner Freundin. Wie man die aktuellen Ereignisse in Syrien erlebt, hängt insofern gänzlich davon ab, wo man sich befindet und ob man Menschen kennt, die in irgendeiner Weise direkt betroffen sind: sei es als Demonstranten, als Angehörige von Todesopfern oder Inhaftierten oder eben auch als Sicherheitskräfte und Mitarbeiter des Geheimdienstes. 

Im Gegensatz zur ägyptischen Opposition, der es gelang, Millionen Bürger zu mobilisieren, gehen in Syrien „Tausende“, an Wochenenden auch mal „Zehntausende“ auf die Straße. Und die restlichen Syrer? Neben all denen, die die Ansichten der Opposition teilen, aber zu große Angst haben, um auf die Straße zu gehen, gibt es viele Syrer, die sich Ruhe und Ordnung zurückwünschen und ihren Präsidenten behalten wollen. Wie hier die Zahlenverhältnisse sind, lässt sich natürlich nicht wirklich einschätzen – wie wir überhaupt vor dem Dilemma stehen, eigentlich gar nicht zu wissen, was in Syrien genau passiert. Unabhängige Medien sind nicht mehr zugelassen und berichten nun zum großen Teil von libanesischen Dörfern nahe der syrischen Grenze aus, die Staatsmedien haben derweil die Protestbewegung zur bewaffneten  Verschwörung aus dem Ausland erklärt. 

Die Opposition stellt ununterbrochen Amateurvideos von Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen ins Internet, die man u.a. über Facebook und Twitter verfolgen kann. Insbesondere der Nachrichtensender al-Jazeera hat sich von Beginn der Proteste an auf die Seite der Demonstranten geschlagen und sendet hauptsächlich eben solches Videomaterial. (Der Syrien-Live-Blog von al-Jazeera lässt sich unter der Adresse http://blogs.aljazeera.net/liveblog/syria verfolgen). Obwohl ich davon ausgehe, dass diese verwackelten und verpixelten Videos uns Dinge zeigen, die tatsächlich vorfallen, sind sie doch eben nur kleine Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Überspitzt gesagt sieht ein al-Jazeera-Gucker das Land überrollt von einer Protestbewegung, die Freiheit fordert, ein Staatsmedien-Gucker sieht Syrien dagegen von ausländischen Mächten bedroht und von einem reformbereiten Präsidenten nach bestem Bemühen gegen diese Verschwörung beschützt. Wahrscheinlich gibt weder ersteres noch letzteres auch nur annähernd ein Bild davon ab, was tatsächlich geschieht. Vor allem aber habe ich immer mehr das Gefühl, dass es in einem Fall wie Syrien, wo uns (und auch den Syrern selbst) meist die harten Fakten fehlen, eben auch nicht mehr entscheidend sein kann, was diese harten Fakten sind. Viel mehr zählt dann der subjektive Eindruck, den der Einzelne von der Lage hat und was er aus diesem Eindruck für Konsequenzen zieht. Und wie so oft sehen die meisten Leute ja das, was sie sehen wollen. So wundert ein Satz wie „Hier ist alles wieder normal“ aus Syrien vielleicht auch nicht mehr. Es gibt immer so viele Wirklichkeiten, wie es Menschen gibt, die diese wahrnehmen. 

Nur unterscheiden sich diese Wirklichkeiten selten so sehr voneinander wie derzeit in Syrien. (Gründe hierfür gibt es zahlreiche, und eine besondere Stellung kommt wohl einer Art „Medienkrieg“ zu, den v.a. al-Jazeera und die Staatsmedien ausfechten. Hierum wird es in Folge 2 ausführlich gehen).

Dieser Tage steigt die Zahl der Todesopfer in Syrien zwar stetig, aber doch recht langsam, die Lage beruhigt sich also nicht eigentlich, eskaliert aber zumindest im Augenblick auch nicht. Gekocht wird auf vergleichsweise kleiner Flamme und vielerorts mag man in Syrien das Gefühl haben, das Leben sei zur Normalität zurückgekehrt. Ich denke aber doch, dass jeder Syrer weiß, dass es dort nie wieder sein wird wie vorher – das Undenkbare ist geschehen: die Macht des seit 40 Jahren herrschenden Assad-Clans ist in Frage gestellt worden, ein Schlag, von dem er sich, wenn überhaupt je wieder, nur schwer erholen wird. 

***

Eine „syrische Revolution“ hatte wohl niemand erwartet, selbst nach dem Umbruch in Tunesien und Ägypten nicht. In meinem Bekanntenkreis wurden die dortigen Ereignisse aufmerksam verfolgt. Vor allem bei der ägyptischen Revolte fieberten wir mit, klebten fast täglich stundenlang vor dem Fernseher, warteten gespannt auf angekündigte Reden Mubaraks, berauschten uns an diesem unglaublichen Gefühl der Macht der Masse, die man ununterbrochen live auf dem Tahrir-Platz sah. Die Witze, die über Mubarak kursierten, machten auch in Syrien die Runde, wenn sie auch eher hinter vorgehaltener Hand erzählt wurden. Fast unvorstellbar blieb, dass es in Syrien zu ähnlichen Entwicklungen kommen könnte. Zu flächendeckend schienen die Überwachung der Bevölkerung und die brutale Unterdrückung jeglicher Opposition. Ich selbst weiß bis heute nicht, ob meine Freunde recht hatten, wenn sie mir rieten (und das auch schon lange vor den Protesten), auf der Straße und am Telefon, ebenso auch in Emails, niemals über politische Ereignisse, die Syrien betreffen, zu sprechen, im Internet bestimmte Seiten nicht zu besuchen. Obwohl ich mich dementsprechend sehr zurückhielt, blieb ein Rest Angst.  Ich erlebte zum ersten Mal dieses beklemmende und einengende Gefühl, mich nicht offen über Dinge äußern zu dürfen, die mich beschäftigten. Ich fühlte mich nicht direkt überwacht, aber wie in Benthams Panopticum reicht ja schon das Gefühl einer potentiellen Überwachung aus, um den Menschen in seinem Tun einzuschränken. Und etwas beunruhigte es mich doch, dass meine Eltern, wenn sie mich in den letzten zwei Monaten auf meinem syrischen Handy anriefen, immer wieder einen unbekannten Mann an die Leitung bekamen.
 
Baschar al-Assad und seine Frau
Zu groß schien auch der Rückhalt des Präsidenten Baschar Al-Assad in der Bevölkerung. „Unser Präsident ist gut, nur die Leute um ihn herum sind schlecht“, war das, was ich in letzter Zeit von vielen Bekannten und auch Unbekannten ungefragt zu hören bekam. Man kann sich hier angesichts der jetzigen Vorfälle kaum mehr trauen, so etwas zu sagen, aber: auf den ersten Blick ist er wirklich eine eher sympathische Erscheinung. Er wirkt eben genau wie das, was er eigentlich einmal war: ein Augenarzt, der in England studiert hat. Im Fernsehen sieht er aus wie ein strebsamer, harmloser Schuljunge mit schmalem Gesicht und kaum Kinn, nervös und aufgeregt, wenn er eine Rede halten muss. Auch sonst gibt er sich gerne volksnah: Freunde erzählten mir, man könne ihm manchmal im Park oder im Restaurant begegnen.



Ich selbst habe ihn einmal kurz vor Weihnachten im Damaszener Opernhaus erlebt, wo es ein unsäglich kitschiges Weihnachtsmusical der christlichen Gemeinden von Damaskus zu sehen gab. Er und seine bildhübsche Frau waren, so schien es zumindest, ganz ohne Sicherheitskräfte da, als sie in den Saal kamen, stand das gesamte Publikum auf und begrüßte sie mit tosendem Applaus. Die beiden nahmen diesen Applaus bescheiden und freundlich lächelnd und winkend entgegen. Meine syrischen Freunde hatten einen ganz seligen Blick…Und, das muss ich hier glaube ich doch betonen: diese Begeisterung schien mir absolut nicht gespielt, das ganze erschien mir eben nicht wie die gezwungene Hulderweisung eines durch und durch unterdrückten Volkes. Das mag freilich auch damit zusammenhängen, dass hauptsächlich Christen anwesend waren. Sie gehören zu einer der Minderheiten in Syrien, der es unter Assad stets verhältnismäßig gut ging.

Ganz abgesehen von seiner Ausstrahlung rechnet man Baschar al-Assad hoch an, dass es ihm gelungen ist, Syrien zu einem Land der „Sicherheit“ und „Stabilität“ zu machen – ob das wirklich sein Verdienst ist, sei einmal dahingestellt – und das inmitten zwischen den instabilen Nachbarländern Libanon und vor allem Irak (aus dem seit 2003 Hunderttausende Flüchtlinge nach Syrien kamen und Miet- und Lebensmittelpreise in die Höhe trieben) und trotz des angespannten Verhältnisses zu Israel, das noch immer Teile des Golan besetzt hält. Auch mit seiner (nach außen hin) harten Linie gegen Israel und seiner (zumindest rhetorischen) Solidarität, ja geradezu Verbrüderung mit Palästina – an jedem offiziellen Gebäude in Syrien hängen nicht nur syrische, sondern auch palästinensische Fahnen – fand und findet Baschar al-Assad  Zustimmung in vielen Teilen der Bevölkerung.


„Anzeige“ auf der Titelseite der Tishreen-Zeitung
vom 14.04.2011: „Gott ist mit dir…dein Volk ist mit dir -
Die Nation ist stärker als die Fitna (gemeint ist damit
hier der ausländischen Gruppierungen
zugeschriebene Versuch, Zwietracht zu säen) -
Syrien vereint uns - Sicherheit und Stabilität
sind unser Fundament.“


Ein weiterer Grund, warum eine Revolution in Syrien eher unwahrscheinlich schien, war, dass Armut, Arbeitslosigkeit und willkürliche Schikane, im Gegensatz zu Ägypten und Tunesien, noch nicht die kritische Grenze überschritten hatten. Ich muss allerdings dazu sagen, dass meinem Eindruck nach viele Syrer auch einfach nicht auf die Idee kamen, gewisse Probleme der Regierung zuzuschreiben. Das mag damit zusammenhängen, dass Politik stets ein Tabuthema war und dementsprechend der Grad der Informiertheit in der Bevölkerung eher gering war. Viele meiner syrischen Freunde lernen deutsch, englisch oder französisch und planen, nach Europa zu gehen – möglicherweise dauerhaft. Dort könne man besser leben und arbeiten. „Und warum nicht anschließend nach Syrien zurückkehren und sich bemühen, die Umstände dort zu verbessern?" war dann immer meine Frage. Ich glaube, kaum einer dieser Freunde würde auf die Idee kommen, hier eine Verbindung zu ziehen und seine schlechten Arbeitsaussichten der langsamen und korrupten Regierung zuzuschreiben. Das mag freilich nur für meinen Freundeskreis gelten, mit Verallgemeinerungen muss ich mich hier zurückhalten.

Dennoch war die syrische Regierung sichtlich beunruhigt, als es zu den Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen kam, und unternahm vorsorglich einige Schritte, wie um einem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen: YouTube und Facebook wurden legalisiert, Angestellte bekamen eine Lohnerhöhung „aufgrund der gestiegenen Heizkosten“, vor allem aber kündigte Baschar al-Assad am 31. Januar in einem Interview mit demWall-Street-Journal an, dass die Zeit für Reformen gekommen sei.
Es hat alles nichts geholfen – Syrien ist mitten in einem Umbruch begriffen. Doch gestaltet sich der, wie ja nicht anders zu erwarten, ganz verschieden von anderen arabischen Ländern. 

***

Dass in Syrien wirklich „etwas“ am Laufen war, bekam ich erst ca. 10 Tage nach Beginn der Unruhen zu spüren, und zwar in der Küstenstadt Latakia. Ich studierte zu dieser Zeit an der Universität Damaskus, war aber nun unterwegs auf einer kleinen Reise durch Syrien mit einem deutschen Freund. Wir hatten die Ereignisse über das Internet verfolgt, das Auswärtige Amt hatte bereits die übliche Warnung herausgegeben, sich von größeren Menschenansammlungen fernzuhalten. Aus irgendeinem Grund hielten wir jedoch Latakia für besonders sicher, wohl wegen seines sehr hohen alawitischen und christlichen Bevölkerungsanteils – von diesen Konfessionen war kaum Protest zu erwarten. 

Nun war Latakia auf einmal eine ganze Nacht lang (es war die Nacht vom 24. auf den 25.03.) ununterbrochenen von Autohupen und vom Krachen von Feuerwerkskörpern erfüllt. Am früheren Abend hatten wir noch gescherzt, es gäbe heute wohl außergewöhnlich viele Hochzeiten zu feiern. Gegen zwei Uhr nachts war ich so beunruhigt von diesem ohrenbetäubenden Lärm, dass ich im Schlafanzug auf die Straße vor dem Hostel lief und zwei Männer anhielt, die vorbeiliefen. Auf die Frage, was los sei, sagten sie. „Ein Fest! Wir feiern alle unseren Präsidenten!“ Diese Autokorsos und nächtlichen Feste für den Präsidenten wurden wenig später ganz alltäglich. Immer wieder sah man Autokolonnen voller junger Männer und Frauen, die sich aus den Fenstern und aus der Dachluke hängten oder auf der Ladefläche von Kleinlastern drängten, vollbehängt mit syrischen Fahnen und Portraits des Präsidenten. Sie hupten, grölten, machten das Victory-Zeichen. Diese Feierei hatte manchmal etwas extrem Aggressives an sich, und wie sollte sie auch nicht, schließlich wurde in diesen Tagen auf einmal eine jahrzehntealte Ordnung in Frage gestellt, auf der das Leben dieser Menschen aufbaute.

Gegen-Demonstration für al-Assad
Die Gegenstimme zu dieser Baschar-Huldigung ließ nicht auf sich warten. Am nächsten Tag, einem Freitag, kam es in Latakia zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, unter anderem in der Nähe des Tetrapylons, eines der wenigen Relikte, das dieser modernen Küstenstadt aus seiner antiken Tradition als Handelsstadt geblieben ist. Noch am Abend zuvor hatten wir unter den Säulen Thymianbrot gegessen, nun sahen wir auf Amateurvideos im Internet, wie eine lärmende Menschenmenge daran vorbeizog und ihre Solidarität mit Der’a kundtat. Abends schlug uns ein Pole aus dem Hostel vor, die Straßen anzuschauen, in denen die Demonstrationen stattgefunden hatten und vielleicht noch stattfanden. Die Innenstadt von Latakia war nahezu menschenleer, die meisten Geschäfte geschlossen. In der Hauptstraße war die Stimmung gespenstig, vor allem wahrscheinlich, weil der Strom abgeschaltet worden war. Der Boden war bedeckt von Scherben und herausgerissenen Steinen, mitten auf der Straße lag ein umgedrehtes Auto, an mehreren Stellen qualmten noch Barrikaden aus Mülleimern vor sich hin. Wir begegneten mehreren jungen Männern, die uns sagten, wir sollten auf keinen Fall weiter die Straße hinunter gehen. In der Ferne, am Ende der Straße, konnte man vereinzelt Schüsse und Krankenwagensirenen hören. Mir für meinen Teil reichte das völlig, aber die beiden anderen wollten noch weiter, der Pole machte Fotos. An einer Straßenecke sah ich in dann auf einmal einige dieser durchsichtigen Schutzschilde für Polizisten an der Wand lehnen. Auf dem Boden davor stapelten sich Helme. 

Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, dass hinter den Schilden Männer auf dem Boden kauerten, an die Hauswände gedrängt, zum Teil schlafend. Das sollten also die Männer sein, die heute gewaltsam gegen die Proteste vorgingen und einige Demonstranten töteten? Wenn man sie hier so schlafen sah, konnte man sie eher für arme Kerle halten. Wenige Meter weiter standen mehrere Busse und Autos voller schlafender Männer, offensichtlich Sicherheitskräfte und Männer vom Geheimdienst. Vielleicht mussten sie hier in Erwartung der Demonstrationen des nächsten Tages schlafen. Auf dem Rückweg begegneten wir noch Männern vom Geheimdienst, die auch Passanten anzuhalten schienen, doch ließ man uns unbehelligt weiterziehen.
Die Stimmung in Latakia war aufgeladen und angespannt, Größeres schien sich anzubahnen. So reisten wir am nächsten Mittag Richtung Damaskus ab, noch am selben Tag eskalierte die Lage in Latakia und wenig später wurde die Stadt vom Militär abgeriegelt.

Dieses Erlebnis blieb das Aufregendste, das ich von der syrischen Revolte mitbekommen habe. Auf verstörende Weise bekam ich schon hier zu spüren, dass sich ein zunehmend tieferer Graben durch die Bevölkerung zu ziehen begann, ein Graben, an dessen Rändern sich sowohl die Pro-Assad-Aktivisten als auch die Oppositionellen zu radikalisieren begannen.

16.05.2011

Händchenhaltende Syrer

Von Paula Manstetten

Vorbemerkung der Redaktion:
Der folgende Text bezieht sich auf den Artikel »Ein kurzes Jahr an der Uni Damaskus«, der am 10. Mai 2011 auf ZEIT-Online veröffentlicht wurde. Frau Manstetten ist Studentin an unserem Institut.

Letztes Wochenende erschien in der Onlineausgabe der ZEIT ein Artikel über mich – als deutsche Studentin an der Universität Damaskus.  Zeitungsartikel sind, wenn man sie nicht selbst schreibt, nie ganz so, wie man es sich gewünscht hätte. Daher möchte ich im Folgenden einige Anmerkungen loswerden und manches klarstellen.

Der Kontakt zu der Journalistin, die übrigens selbst  noch eine Studentin ist, kam zufällig zustande, und ich sah ihre Anfrage, einen Artikel über mich schreiben zu dürfen, als Chance, mit einigen Vorurteilen über Syrien aufzuräumen. Ich nahm sie in eine Vorlesung an der Uni und auch zu mir nach Hause in meine Gastfamilie mit. Wir führten ein langes Gespräch, insbesondere darüber, wie sich der Alltag in Syrien meistern lässt und wie es einer Ausländerin wie mir gelingen kann, sich in Syrien zu »integrieren« – wenigstens bis zu dem Grade, dass man sich nicht mehr als Außenseiter fühlt. Aufgrund der politischen Lage änderte sich im Nachhinein das Thema des Artikels, und von unserem Gespräch blieben leider nur einige Marginalien stehen, die, wie ich meine, doch ein etwas verzerrtes Bild von Syrien (und vielleicht auch von mir) vermitteln könnten.


01.05.2011

»Live At The Mosque«

Was wären die US-amerikanische Musikgeschichte und das dazugehörige Entertainment-Bizness des 20. Jahrhunderts ohne Moscheen gewesen?

Von Marco Schöller

Die Freimaurer-Bewegung der sogenannten »Shriners«, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in den USA entstanden ist und bis heute lebendig ist, hat, wie hierzulande vielleicht nicht bekannt oder schon wieder in Vergessenheit geraten ist, der Welt eine der kuriosesten Spielarten des westlichen Orientalismus beschert:
Sie geben sich arabische Namen, unterteilen sich in »Caravans«, treffen sich in »Oasen« und haben sich als Kopfbedeckung den Fez, als Symbole Krummschwert, Stern und Halbmond erwählt (was deutsche Liebhaber von Laurel & Hardy-Filmen aus »Die Wüstesöhne« / »Sons of the Desert« von 1933 kennen werden, wo »Dick & Doof« eben eine Zusammenkunft der Shriners besuchen). Symbolik und Tracht der Shrines sind demnach im 20. Jh. eher »osmanisch«, während noch im 19. Jh. ein eher »arabisierendes«  Auftreten dominiert, wie auf dem obigen Photo der »Officers« des New Yorker Mecca Temple zu sehen ist.