28.02.2011

Wie die USA zum ersten Mal offizielle Kontakte mit islamischen Potentaten knüpften / 4

Eine denkwürdige Geschichte in mehreren Episoden – Vierter und letzter Teil

Ein historischer Essay von Marco Schöller


Man wird sich erinnern: Um sich der Gunst des osmanischen Sultans zu versichern und drohende Strafmaßnahmen abzuwenden, weil er sich gegen die Interessen der Osmanen mit Frankreich verbündet hatte, plante der Dey von Algier, Mustafâ, im Herbst des Jahres 1800 dem Sultan Geschenke zu übersenden. Weil der Dey dazu kein ausreichend großes oder genügend bewaffnetes Schiff zur Verfügung hatte, hielt er sich an die Amerikaner, die mit der großen Fregatte »George Washington« in Algier eingelaufen waren, und beauftragte sie, die Geschenke nach Istanbul zu bringen. Die US-Vertreter O’Brien und Bainbridge versuchten, den Dey von dieser Idee abzubringen, doch ohne Erfolg. Und so segelte dann im Oktober 1800 eine US-amerikanische Fregatte unter algerischer »Piratenflagge« nach Istanbul ...

VII
Die George Washington machte sich, nachdem sie vom Dey gewissermaßen »gekapert« worden war, am 19. Oktober 1800 auf den Weg von Algier nach Istanbul. An der Spitze des mittleren Hauptmastes – dem höchsten Punkt in der Takelage eines Dreimasters – mußten die Amerikaner die algerische Flagge aufziehen. Diese soll angeblich den Kopf 'Alîs samt Turban gezeigt haben, aber sicher ist das nicht; tatsächlich kennen wir die Flagge des Deys nicht. Was das Aufziehen der Flagge betrifft muß man wissen, daß unter den Seeleuten das Fahren unter fremder Flagge als größtmögliche Schande angesehen wurde. Vor der Abfahrt hatte deshalb O’Brien mit dem Dey erfolglos diskutiert, ob man die Flagge nicht am Vormast hissen könne. Dies hätte signalisiert, daß das Schiff unter einer anderen als der eigentlichen Flagge fuhr, denn auch gekaperte Schiffe beflaggte man am Vormast: So wäre deutlich gewesen, daß das Schiff per force, wie sich O’Brien ausdrückte, und nicht unter der eigenen, sondern unter anderer Flagge unterwegs war. Die Flagge am Hauptmast wies hingegen das Schiff als »Flaggschiff« aus, wie es eigentlich nur dem kommandierenden Offizier oder einem Admiral zustand. Aber der Dey ließ sich nicht umstimmen, und so wurde die Flagge am Hauptmast aufgezogen. Doch kaum hatte man die Hafenbucht von Algier verlassen, soll Bainbridge die Flagge wieder eingeholt haben, als man außer Sichtweite war.

An Malta vorbei segelte man in Richtung Bosporus, und die Seereise wurde weniger wegen der herbstlichen Witterung, sondern vor allem wegen der Überfüllung des Schiffes ein Albtraum. An Bord befanden sich nämlich, neben der regulären Besatzung von 131 Mann, der algerische Botschafter und dessen Begleitung von 100 Personen, 100 schwarze Frauen und deren Kinder, vier Pferde, 151 Schafe, 25 Rinder, jeweils vier Löwen, Tiger (!) und Antilopen, zwölf Papageien und Geschenke im Wert von über $1.000.000. Wenn es sich während der dreiwöchigen Reise ergab, daß das Schiff im Zickzack gegen den Wind kreuzen mußte, dann postierte sich zur Gebetszeit einer der Muslime am Schiffskompass und dirigierte von dort aus die Betenden, welche Richtung nach Mekka sie einzunehmen hatten. Am 9. November lief das Schiff in der Meerenge vor Istanbul ein.

Bainbridge und die Amerikaner waren sich nicht sicher, wie sie in Istanbul empfangen werden würden. Immerhin kam es auf diese Weise zum ersten Kontakt zwischen den Vereinigten Staaten und dem Osmanischen Reich, der halbwegs offiziell war. Die Fregatte lag unter amerikanischer Flagge vor Istanbul, und der Empfang war, was die Amerikaner betraf, herzlich. Obwohl der türkische Offizier, der an Bord kam, noch nie von einer Nation namens United States gehört hatte, brachte er als Friedensgruß ein Lamm und einen Blumenstrauß als Willkommensgeschenk. Es wird auch berichtet, daß der Sultan von seinem Palast aus die besternte amerikanische Flagge sah und daraus schloß, daß diese United States ähnliche Sitten und Gesetze hätten wie die Türken, die ja auch einen Stern auf ihrer Fahne trugen.

Vor Ort ergaben sich dann kleinere Zwischenfälle und Mißverständnisse, die aber mit Hilfe des britischen Konsuls, Lord Elgin, schnell geklärt werden konnten. Alles in allem war der Aufenthalt der Amerikaner in Istanbul ein voller Erfolg, denn man schloß zahlreiche Bekanntschaften. Bekannt wurden die Amerikaner unter anderem mit einem deutschen Grafen, der die Gärten des Sultans betreute, und mit dem englischen Orientreisenden Edward Daniel Clarke. (Clarke berichtet über die Ankunft des amerikanischen Schiffes und die weiteren Ereignisse im dritten Band seiner Reiseschilderungen: Travels in Various Countries of Europe, Asia and Africa … Fourth Edition, Bd. III, S. 77-79.) Für die Zukunft vereinbarte man einen Austausch von Diplomaten zwischen den USA und dem Osmanischen Reich, und fürs erste erhielten die Amerikaner türkische Schutzpässe für ihre weiteren Fahrten.

Der Empfang für den Botschafter des Deys war hingegen frostig. Dieser selbst wie auch die 100 auf der George Washington angereisten Türken wurden in Geiselhaft genommen und bis auf weiteres interniert; ob das auf Betreiben der Briten geschah, wie mancherorts behauptet wird, ist nicht gesichert, aber wahrscheinlich. Aber auch der Sultan hatte gute Gründe, auf den Dey in Algier nicht gut zu sprechen zu sein, denn er verübelte seinem Vasallen in Algier die zu nachgiebige Haltung gegenüber Frankreich. Der Großadmiral der osmanischen Marine spuckte auf das Schreiben des Deys, das ihm übergeben worden war, und trampelte dann darauf herum – nach anderen Berichten habe der Sultan selbst so gehandelt, was aber wenig glaubhaft ist. Als konkrete Maßnahme verfügte der Sultan jedenfalls, der Dey müsse Frankreich umgehend den Krieg erklären und außerdem eine neue »Reparationszahlung« von einer Million Piaster zahlen, die innerhalb von 60 Tagen in Istanbul abzuliefern war. Die algerischen Geschenke hatten also nichts auszurichten vermocht, und der Dey war in einer schwierigen Lage, als die George Washington am 21. Januar 1801 wieder in der Bucht von Algier ankerte.

VIII
Ganz offensichtlich mußte nun der Dey, wollte er sich dem Willen des Sultans unterwerfen und die geforderte Summe nach Istanbul überstellen, ein weiteres Mal die Dienste des amerikanischen Schiffes in Anspruch nehmen. Das aber hatte auch Kapitän Bainbridge geahnt, der deshalb nicht an der Mole, sondern in der Bucht außerhalb der Reichweite der Hafenbatterien Anker geworfen hatte. Die Forderung des Deys, er müsse in seinem Auftrag ein zweites Mal nach Istanbul segeln, lehnte er kategorisch ab. Diesmal aber gab der Dey nach und garantierte der Fregatte ein sicheres Einlaufen in den Hafen von Algier. Bei einer Audienz mit dem Dey, die zuerst stürmisch verlief, präsentierte Bainbridge den türkischen Schutzbrief und rettete auf diese Weise die Situation und sich selbst. Am nächsten Tag, dem 24. Januar 1801, erklärte der Dey Frankreich, zum zweiten Mal nach 1799, den Krieg.

Der Dey, der in seiner Haltung gegenüber Frankreich nun schon seit mehreren Jahren hin und her changierte, hatte nun wieder dem osmanisch-britischen Druck nachgegeben. Nach der Kriegserklärung an Frankreich gab er 400 venezianische, maltesische und sizilianische Gefangene frei, die verschleppt worden waren und zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme britische Schutzbriefe besaßen. Alle Franzosen, einschließlich des Commissaire général Thainville, ließ er in Ketten legen, und nur die Fürsprache der Amerikaner Bainbridge und O’Brien konnte erreichen, daß der Dey seine Meinung änderte und den Franzosen befahl, die Regentschaft innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Thainville wurde ausgewiesen, wie von Großbritannien bereits im August 1800 gefordert worden war, und schiffte sich am 30. Januar in Begleitung von etwa 60 Landsleuten nach Alicante ein, wohin sie von der amerikanischen Fregatte George Washington gebracht wurden.

So endete der erste Kontakt der USA mit dem Dey in Algier und dem Osmanischen Reich. Aus der Rückschau erscheint es kurios, daß die USA in die meisten Ereignisse ungewollt hineingezogen wurden – und schon gar nicht einen diplomatischen Kontakt mit dem Osmanischen Reich herstellen wollten. Aber die USA bekamen im Mittelmeer keine Atempause, denn schon im Frühjahr 1801 kam es zum ersten »offiziellen« Krieg zwischen einer islamischen Macht und den USA: Nach einem Streit über die Höhe des jährlichen Tributs, den die Vereinigten Staaten an Tripoli zu zahlen hatten, erklärte der dortige Bey im März 1801 den USA den Krieg. Es dauerte aber noch einige Zeit, bis sich die Amerikaner in ihre Rolle als kriegführende Macht im Mittelmeer mit etwas Selbstbewußtsein einfanden. Zunächst sah man sich immer noch als eine »schwache Macht«, die kaum in der Lage sei, sich gegen Algier (und nicht zuletzt auch gegen die anderen europäischen Mächte, die dort tätig waren) zur Wehr zu setzen. In diesem Sinn schrieb der amerikanische Konsul O’Brien am 7. Februar 1801 nach Lissabon:
»Es fröstelt mich aus Angst um unsere wertvollen Schiffe und Bürger in diesem Meer. Wir sind mit unserem Tribut in Verzug, haben kein Geld und keine Korsaren, und werden von allen Aasgeiern bedroht. Algier, ein Piratenstaat, sucht Beschäftigung für seine Korsaren (…), und wir werden die Opfer sein« (State Papers and Publick Documents of the United States IV, S. 362.)
Und als man sich dann ab Frühsommer 1801 mit der Regentschaft Tripoli im Krieg befand, der den Einsatz aller verfügbaren Kräfte der USA erforderte, wurde man umso vorsichtiger. Im Mai 1801 wies man deshalb Konsul O’Brien an, er möge alles tun, um einen Bruch mit dem Dey zu vermeiden, weil man angesichts des Konflikts mit Tripoli keinen Nebenkriegsschauplatz gebrauchen konnte. Mit dem Dey von Algier galt es also, weiterhin in Einvernehmen zu bleiben. So führten die USA ab 1801 ihren ersten Krieg gegen eine islamische Macht, den Dey in Tripoli. Das gehört nicht mehr zu unserer Geschichte. Aber sich daran zu erinnern muß in unseren Tagen, da Libyens Hauptstadt wieder von blutiger Gewalt heimgesucht wird, besonders traurig stimmen.

ENDE


Literatur

  • Allen, Gardner W.: Our Navy and the Barbary Corsairs, Boston – New York 1905.
  • Barnby, H.G.: The Prisoners of Algiers. An Account of the Forgotten American-Algerian War, 1785–1797, London – New York 1966.
  • Bevans, Charles (Hg.): Treaties and Other International Agreements of the United States of America, 1776-1949. Vol. 5: Afghanistan – Burma, Washington 1970.
  • ––––– (Hg.): Treaties and Other International Agreements of the United States of America, 1776-1949. Vol. 9: Iraq – Muscat, Washington 1972.
  • Clarke, Edward Daniel: Travels in Various Countries of Europe, Asia and Africa … Fourth Edition, Band III, London 1817.
  • Lambert, Frank: The Barbary Wars. American Independence in the Atlantic World, New York 2005.
  • Lane-Poole, Stanley: The Barbary Corsairs. Fourth Edition, London 1890.
  • The Life of the Late Gen. William Eaton; Several Years an Officer in the United States’ Army, Consul at the Regency of Tunis on the Coast of Barbary (…). Principally Collected from his Correspondence and Other Manuscripts, Brookfield 1813.
  • Plantet, Eugène: Correspondance des Deys d’Alger avec la Cour de France 1579–1833, recueillie dans les dépôts d’archives des Affaires Étrangères, de la Marine, des Colonies et de la Chambre de Commerce de Marseille (…), 2 Bände, Paris 1889 .
  • A Short History of Algiers, with a Concise View of the Origin of the Rupture between Algiers and the United States (…). Third Edition, Improved, New York 1805.
  • State Papers and Publick Documents of the United States, from the Accession of George Washington to the Presidency, Exhibiting a Complete View of Our Foreign Relations since that Time. Third Edition, 12 Bände, Boston 1819.
  • Stevens, James Wilson: An Historical and Geographical Account of Algiers; Comprehending a Novel and Interesting Detail of Events Relative to the American Captives, Philadelphia 1797.
  • Underhill, Updike: The Algerine Captive; or, the Life and Adventures of Doctor Updike Underhill, Six Years A Prisoner among the Algerines. Two Volumes in One, Hartford 1816.
  • Upham, Charles W.: The Life of Timothy Pickering, Band III, Boston 1873.
  • Winik, Jay: The Great Upheaval. America and the Birth of the Modern World, 1788‒1800, London ‒ New York 2008.

27.02.2011

Bayn al-'Asrayn - zur anstehenden Verfassungsänderung zwischen den Republiken

Im Kabinettssaal wird Mubaraks Portrait
am 13.02.2011 entfernt. Der Aufbau einer
neuen Republik beginnt...
Ein Gastbeitrag von Björn Bentlage

Die zweite ägyptische Republik endete am 13.02.2011 mit der Machtübernahme des Militärs. Dass nach der sechsmonatigen Übergangszeit eine neue, dritte Republik beginnen wird, deren angemessene Verfassung erst durch Diskussion und Kompromiss gefunden werden muss, ist schon jetzt deutlich. Doch zwischen den beiden Republiken liegt die Änderung der Verfassung von 1971, die jetzt ansteht, und den Übergang erst ermöglichen soll. In nur zehn Tagen hat ein eingesetzter Ausschuss von acht Richtern und Juristen einen Änderungsentwurf ausgearbeitet. Die Details der Eingriffe in die Verfassung werden bestimmen, wie demokratisch und sauber der Übergang zu einer zivilen Regierung ablaufen kann. Sie regeln die wichtigsten Grundsätze der Präsidentschaft- und Parlamentswahlen und ordnen bereits jetzt das Machtgefüge der Staatsgewalten und die Partizipation der ägyptischen Zivilgesellschaft neu.

Im Folgenden werden die sechs Verfassungsartikel vorgestellt, deren Änderung nun ansteht. Die wahrscheinlichen Lösungen sind keine ad-hoc Einfälle des Ausschusses, sie gehen vielmehr auf jahrelange Diskussionen unter Juristen und politischen und gesellschaftlichen Akteuren zurück und fanden in direktem Bezug zu den Verhältnissen und Praktiken unter dem Regime Mubaraks statt.

25.02.2011

„Es war nur der Anfang ...“

Marokkos Proteste vom 20. Februar 2011

Von Swantje Boulouh-Bartschat, M.A.

Nicht nur im geographischen Sinn stellt Marokko auch in den Tagen der ‚arabischen Revolution‘ eine Randerscheinung dar. Erfolgreiche Despotenvertreibung in Tunesien, Massenaufstände in Ägypten und Algerien – da gehen Meldungen über 5 Tote, 128 Verletzte und fast genauso viele Verhaftete in Marokko hierzulande nahezu unter. Doch hat die Protestwelle nun auch das westlichste Land der islamischen Welt erreicht – entgegen der vielerorts geäußerten Ansicht, dort bleibe es ruhig und das marokkanische Volk bedürfe keiner Proteste. Wie wenig zutreffend diese Annahme ist, beweisen nicht nur zahlreiche, insbesondere über Youtube verbreitete Aufnahmen von Demonstrationen in einigen marokkanischen Städten.

Mohammed VI.
In dem Land herrschen trotz einer liberaleren Linie des Königs Mohammed VI. gravierende Missstände sozialer, politischer und ökonomischer Natur. So waren bereits Ende letzten Jahres in Rabat u.a. Studentenproteste zu beobachten, die auf die Perspektivlosigkeit von Absolventen hinwiesen. Vergangenen Sonntag schließlich kam es nach weiteren, einzelnen Versammlungen zu landesweiten Kundgebungen. Von Oujda über Tanger und Fes bis hin zu Marrakesch und Agadir fanden Demonstrationen statt, deren Gesamtteilnehmeranzahl auf wenige Hundert bis hin zu Zehntausenden beziffert wird. So ungenau und gleichzeitig unsicher diese Angaben sind, so vielfältig sind die Forderungen der Demonstranten.
„Es gibt in Marokko viel sozialen Sprengstoff: Eine hoffnungslose junge Generation träumt von Europa. Die Islamisten werden immer stärker und würden sogar Wahlen gewinnen, wenn man sie denn ließe. Die Volksgruppe der Berber, Marokkos Urbevölkerung, fühlt sich in der von den Arabern dominierten Gesellschaft benachteiligt. In der von Marokko besetzten Westsahara schwelt ein Konflikt, der oft zu gewaltsamen Zusammenstößen führt.“
Sozialer Sprengstoff in Marokko: Der „Partykönig“ auf dem Pulverfass (sn.at / 07.02.2011)

Es geht vordergründig und im Gegensatz zu den übrigen nordafrikanischen Ländern nicht um den Sturz eines Monarchen. Vielmehr wird die Einschränkung seiner Machtbefugnisse gefordert, also eine konstitutionelle Monarchie, die bereits auf Papier existiert – aber eben nur dort. Hinzu kommen unter anderem Forderungen nach Beseitigung der Korruption und Durchsetzung der Pressefreiheit, die im Vergleich zur Herrschaftszeit Hasans II. (1961-1999) in den vergangenen Jahren bereits Lockerungen erfahren hat. Doch hinkt sie immer noch weit hinter dem her, was man im demokratischen Sinne unter Pressefreiheit versteht. Entsprechend schwer lässt sich folglich die aktuelle Berichterstattung aus dem Land einschätzen.

Die Koordinatoren der landesweiten Proteste vom 20. Februar 2011 sind ungeachtet der Anzahl an Teilnehmern zufrieden – „Unsere Demonstration wäre schon ein Erfolg gewesen, selbst wenn man nicht so viele Leute hätte mobilisieren können – allein aufgrund der Tatsache, dass sie überhaupt stattgefunden hat.“ Und dies sei erst der Anfang. In der Tat ging der Aufruf zum Protest via Facebook in dieser Woche in die zweite Runde. Doch auch Aufrufe zu Gegendemonstrationen verbreiten sich zunehmend. Bereits in diesen Tagen könnte sich also das marokkanische Volk erneut versammeln. Dabei bleibt abzuwarten, ob es sich wie zuvor seinem scheinbar grenzenlosen Respekt dem König gegenüber unterwirft und im Gegensatz zu den nach Rücktritt der jeweiligen Monarchen bzw. Herrscher schreienden Nachbarländern bei der Forderung nach Machteinschränkung bleibt. Die Erinnerungen an den mit ‚eiserner Hand‘ regierenden Vater Mohammeds VI. bis vor elf Jahren sind noch nicht verblasst und entsprechend bewusst sind sich zumindest Teile des marokkanischen Volkes über die Änderungen durch den jungen, moderneren König. Doch der hohen Arbeitslosenquote insbesondere unter jungen Leuten, der verbreiteten Korruption und der unübersehbar tiefen Kluft zwischen Arm und Reich wird auch die Beliebtheit von „M 6“ (= Mohammed VI.) auf Dauer nicht gewachsen sein.

„Der schöne Schein vom demokratischen Wandel“
(qantara.de / 22.02.2011)
Interview mit der marokkanischen Bloggerin Zineb El Rhazoui: Sie ist eine der Koordinatorinnen der Bewegung "20. Februar", die am vergangenen Sonntag über die Kampagne "Ich bin Marokkaner!" zahlreiche Demonstranten zu einem Marsch für Demokratie und soziale Gerechtigkeit in mehreren marokkanischen Städten mobilisiert hat. Claus Josten hat sich mit ihr unterhalten.

Ein Aufruf zur Demo am 20. Februar auf Youtube:


Eine Bilanz über 10 Jahre Herrschaft Mohammeds VI.: „Das große Missverständnis?
(qantara.de / 22.07.2009)
Nach nunmehr zehnjähriger Herrschaft kann König Mohammed VI. zwar auf einige politische und ökonomische Erfolge zurückblicken. Allerdings habe sich Marokko während seiner Regentschaft immer mehr in eine absolute Monarchie verwandelt, kritisieren Menschenrechtsaktivisten. Eine Bilanz von Sonja Hegasy.

Warum sich die Proteste Marokkos von den anderen unterscheiden: „Marokko will eine Königsdemokratie“ 
(FAZ.net / 22.02.2011 / Joseph Hanimann)
Hau ab! Dieser Schlachtruf aller Demonstrationen im arabischen Raum ist in Marokko nicht zu hören. Niemand verlangt dort die Abdankung des Monarchen Mohammed VI. Stattdessen erhofft man neben der Demokratie auch eine Reform des Königtums.

Aktuelle Presseschau: Arabische Revolution / Islam-Debatte

Neben den tragischen Ereignissen in Libyen waren in den letzten Tagen weiterhin die allgemeinen Entwicklungen in der arabischen Welt Hauptthemen in westlichen Medien. Und seit der jüngsten Publikation von Patrick Bahners' Buch Die Panikmacher (München: C.H. Beck Verlag) und dem Angriff von Necla Kelek auf die Islam-Äußerungen von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist auch die innerdeutsche Islam-Debatte neu entbrannt.


Revolutionen in der arabischen Welt

Bertrand Badie : "Les sociétés prennent leur revanche en Tunisie, Egypte et Libye"
(Le Monde / 23.02.2011)

The project for a new Arab century:
The birth pangs of a new Middle East are being felt, but not in the way many outsiders envisioned
(Aljazeera.net / Mohammed Khan /  22.02.2011)

Machtstrukturen in Libyen: Zerrissene Stammesbande
(FAZ.net / Hans-Christian Rößler / 22.02.2011)

Auf den ersten Blick gleicht Libyen seinen nordafrikanischen Nachbarländern Tunesien, Ägypten und Algerien. Doch in Gaddafis Wüstenstaat haben sich viel stärker als in den Nachbarländern traditionelle Strukturen erhalten – und sie spielen in Krisenzeiten eine noch größere Rolle.
Unruhen in Bahrain: "Wir sind alle Bahrainis – keine Sunna, keine Schia!"
(qantara.de / 22.02.2011 / Sabine Damir-Geilsdorf)
In Bahrain spitzt sich der Konflikt zwischen der Opposition und der von der sunnitischen Königsfamilie beherrschten Regierung weiter zu. Mittlerweile sind auch Aufrufe zum Sturz der Monarchie zu hören. Über die historisch bedingten Ursachen für das Aufbegehren der Bevölkerung informiert Sabine Damir-Geilsdorf.
The Arab Revolts: Ten Tentative Observations
(jadaliyya.com / Mouin Rabbani / 21.02.2011)

Robert Fisk: These are secular popular revolts – yet everyone is blaming religion
(The Independent / 20.02.2011)
Our writer, who was in Cairo as the revolution took hold in Egypt, reports from Bahrain on why Islam has little to do with what is going on.
Umbruch in der arabischen Welt: Der Westen muss auf seinen Orient verzichten
(tagesspiegel.de / Caroline Fetscher / 20.02.2011)
Linke wie rechte Mythen von der arabischen Welt zerfallen, seit Millionen junger Menschen dort aufbegehren. Die neue Fremde verstört - die alte war so schön vertraut.
Paris, Jerusalem, Algier: Der Nahe Osten im Umbruch und das Schweigen der Intellektuellen
(WELT-Online / 19.02.2011 / Sascha Lehnartz, Michael Brogstede & Boualem Sansal)



Islam-Debatte / Kritik der Islamkritik

Patrick Bahners "Die Panikmacher": Wider die Sarrazin-Methode
(fr-online / 23.02.2011 / Christian Schlüter)
Die Islamkritik verspricht wenn schon nicht Aufklärung, so doch immerhin Aufregung und Auflage: Dieser Tatsache geht Patrick Bahners in seiner hervorragende Analyse „Die Panikmacher“ kühlen Kopfes auf den Grund - und legt sich mit hauptamtlichen Islamophoben an.
Islam-Debatte: Das ist Rechtskulturrelativismus
(FAZ.net / Mathias Rohe / 22.02.2011)
Geheimkommando Scharia-Import? Die Legende vom heimlichen Umbau des Rechtssystems gehört zu den Erfindungen der Islamkritik. Der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe antwortet auf Necla Kelek.
Der Mann, der gegen Islamkritiker zu Felde zieht
(WELT-Online / 22.02.2011 / Alan Posener)

Islamkritik: Lust an der Herabsetzung
(ZEIT-Online / 21.02.2011 / Thomas Assheuer & Ijoma Mangold)
In seinem Buch "Die Panikmacher" warnt Patrick Bahners vor hysterischem Alarmismus. Ein Gespräch über Staat, Gesellschaft, Glauben und Islam.
Islamkritiker: Die Panikmacher
(FAZ.net / 16.02.2011 / Patrick Bahners)
Muslime können Revolutionen machen. Das hat die Welt gesehen. Muslime können keine Demokraten werden. Das redet uns die Islamkritik ein.

24.02.2011

"Nubische Garden"

Der Einsatz schwarzafrikanischer* Söldner in Libyen setzt eine unselige, über 1000-jährige Tradition arabischer Autokraten fort

Von Marco Schöller

I
Seit Freitag hat es zunächst wenige und unsichere, dann immer mehr und bestätigte Nachrichten gegeben, daß das Gaddafi-Regime in Libyen Söldner aus subsaharischen Staaten einsetzt, um gegen das libysche Volk vorzugehen. Inzwischen ist das unbestreitbar, nicht zuletzt auch dank der Photos und Videos aus Libyen, die im Internet und den internationalen TV-Kanälen kursieren. Mehrere Videos zeigen überwältigte Söldner, tot oder lebendig.

Auch über die Herkunft dieser Söldner weiß man inzwischen mehr, denn es scheint sich v.a. um Soldaten aus Guinea und dem Tschad, möglicherweise auch aus Niger und Nigeria zu handeln; entsprechende Dokumente, die z.B. eine Verbindung zu Guinea belegen, wurden bei überwältigten Söldnern gefunden. Die Frage der Herkunft war über mehrere Tage unsicher: Zuerst hieß es, sie stammten aus Mali, und im Internet meldete man auch, daß "koreanische" Söldner und solche aus Bangladesh beteiligt seien. Letztere Meldung konnte nicht bestätigt werden. Bereits am Samstag wurde nach französischen Angaben berichtet, die Söldner seien Separatisten aus dem Sudan und dem Tschad, die in Libyen Trainingslager hätten und eigentlich für den Kampf in Darfur gedacht seien. Gleichzeitig wurde mehrfach gemeldet, Söldner würden für den Kampf in Libyen erst eingeflogen. Über die Anwerbung und den Transport der Söldner kursierten dann am Montag und gestern zahlreiche Gerüchte, deren Wahrheitsgehalt sich nicht überprüfen läßt. So hieß es, das libysche Regime plane, Flugzeuge ziviler Fluggesellschaften auf libyschen Flughäfen zu requirieren, um Söldner einzufliegen; ein Gesandter Gaddafis soll sich in Kairo (umsonst) darum bemüht haben, Luftraum für diesen Zweck "einzukaufen". Schließlich wurde behauptet, daß in mehreren subsaharischen Staaten – Guinea und Nigeria wurden explizit genannt – Handzettel kursieren sollen, die einen Tagessold von $ 2000 oder mehr versprachen, falls sich Männer zum Kampf in Libyen meldeten. Alle diese Meldungen sind nicht bestätigt.
Videos, die schwarzafrikanische Söldner zeigen sollen

23.02.2011

Die TV-Offensive: Ägyptens Militärregierung nimmt Stellung

Vier Stunden und drei Generäle zur besten Sendezeit

Von Daniel Roters

Mona El Shazly moderiert die Sendung
"10 Uhr Abends" auf dem ägyptischen
Sender Dream TV. Sie sprach mit den
Generälen über die Zukunft Ägyptens.
Die ägyptische Militärregierung äußerte sich am gestrigen Abend zum ersten Mal in einem gut vierstündigen Gespräch zu den Plänen für die kommenden Monate bis zu einem Verfassungsreferendum und Wahlen. Historisch war der Auftritt von drei der für die momentan für die Führung des Landes verantwortlichen 19 Generäle, weil die ägyptische Öffentlichkeit nie so medienwirksam und so ausführlich über die politischen Prozesse in ihrem Land informiert wurde. Die Sendung "10 Uhr Abends" ist in Ägypten besonders beliebt. In der gleichen Sendung hatte sich Wael Ghoneim den Fragen der Moderatorin Mona El Shazly gestellt. Ghoneim entschuldigte sich in dem emotionalen Interview bei allen Ägyptern für die Toten der Revolution. Der Google-Marketingdirektor für die MENA-Region hatte die Facebook-Gruppe "Wir sind alle Khaled Said" gegründet, deren Mitglieder ein Teil der Pro-Demokratiebewegung in Ägypten sind. 

Die Generäle sprachen in der Sendung vom vergangenen Abend auch mit dem Journalisten Wael Al Abrashi und dem Arzt Dr. Shady Ghazali Harb, der in London eine Gruppe der "Gesellschaft zur Veränderung Ägyptens" gegründet hatte. Auch Zuschauer konnten in der Sendung anrufen, um mit den Gästen zu disuktieren. Erste Reaktionen von Zuschauern sind positiv: Man vertraue der Armee weiterhin und man bewundere das Umsichtige Handeln der Armee während der Revolution.

Folgende Punkte sprachen General Mohamed Al Asaar, General Mokhtar El-Mollah und General Mamdouh Shahin an:

La Révolution? C'est Moi!

Mu'ammar al-Gaddafi ist der Anführer der Revolution, ich bin kein Präsident, der zurücktreten kann. Wenn ich ein Amt hätte, dann würde ich zurücktreten! ... Das ist mein Land, das Land meiner Großväter und eurer Großväter! ... Ich werde das Land nicht verlassen, ich werde als Märtyrer sterben!
Revolution! Revolution! ... Diese Revolution ist unsere Revolution! Wenn ich mit den Jugendlichen sprechen kann, werde ich sie überzeugen. Ich wünschte, all diese jungen Leute könnten zu mir gebracht werden. Wenn sie nicht Gaddafi folgen, wem dann? Leuten mit Bärten?


>>> Nachtrag 24.02.2011

Inzwischen ist eine sehr gute Analyse dieser Gaddafi-Rede in Le Monde erschienen:
Kadhafi : le discours et les symboles

22.02.2011

Die vom Inferno künden

 

Noch ist es kein Erdloch

Das vielleicht letzte Bild eines Diktators:
Libysches Fernsehen, Dienstag 22.02.2011, 01:07 Uhr





















Der ganze, mehr als skurrile 20-Sekunden Auftritt eines offenbar Geistesgestörten hier:

Gaddafis Wetterbericht

Gaddafis Botschaft:
«Ich wollte mit den jungen Leuten auf dem Grünen Platz (in der Innenstadt von Tripolis) reden und mit ihnen die Nacht verbringen, doch dann kam der gute Regen. Hiermit zeige ich: Ich bin in Tripolis und nicht in Venezuela. Hört nicht auf die Ansagen der streunenden Hunde!»

>>>> Nachtrag um 20:09 Uhr:
Gudrun Harrer soeben unter derstandard.at: "Muammar al-Gaddafis trauriger Regenschirm"
Das Lachen über die Verrücktheiten von Oberst Muammar al-Gaddafi ist einem angesichts der libyschen Opfer längst im Hals steckengeblieben. Sein Auftritt Dienstagnacht, der beweisen sollte, dass er in Tripolis ausharrt, hat jedoch Chancen als die bizarrste Rede eines abtretenden Diktators in die Geschichte einzugehen: Der vor sich hin murmelnde Oberst mit dem Regenschirm im alten Auto vor der bröckelnden Fassade hat Zweiflern in seinem eigenen Land höchstens gezeigt, dass der Mann nicht mehr ganz bei sich ist.

21.02.2011

Der Volksaufstand in Libyen geht weiter, aber wie?

Reflexionen über das Nachrichtenwirrwarr einer Revolution im Medien-Blackout

Von Marco Schöller

Die Entwicklungen in Libyen sind weiterhin nur schwer erkennbar. Zwar werden in den letzten 24 Stunden viele Videoclips, Handyvideos und Photos über das Internet oder die internationalen TV-Kanäle verbreitet, aber deren Interpretation ist oft schwierig. Die zahlreichen Nachrichten, die auf meist nicht nachvollziehbaren Kanälen minütlich eintickern, sind eher eine Gerüchteküche als verwertbare Informationen.

Benghazi 20.02.2011
Gesichert scheint im Moment, daß mehrere Orte im Westen Libyens – namentlich Benghazi, al-Badyâ' und Tobruk – vom Regime nicht mehr kontrolliert werden. Meldungen über Internet und Telefon sprechen davon, diese Städte seien »befreit«, folglich in der Hand der Aufständischen; mehrere Videos und viele Photos scheinen das zu belegen. Ein Anrufer bei BBC, der sich in Benghazi vor Ort befand, sprach aber am Sonntagabend davon, daß in der Stadt »Chaos und Anarchie« herrsche. Gegen 22:35 hieß es im Live-Blog von Aljazeera, daß Pro-Gaddafi Milizen, die in einer Kaserne in Benghazi eingeschlossen seien, »vom Mob abgeschlachtet werden«. Andere Sicherheitskräfte seien in Richtung Flughafen geflohen.

Unsicher und verwirrend waren am Sonntagabend die Meldungen bezüglich einzelner Personen oder Gruppen. Etwa Shaikh Sâdiq al-Ghiryânî: Dieser hatte im Verlauf des Sonntags dazu aufgerufen, gegen das Regime zu kämpfen, und das als »die Pflicht eines jeden einzelnen Gläubigen« bezeichnet. (Obwohl er in diesem Zusammenhang meines Wissens nicht explizit von »Dschihâd« gesprochen hat, bezieht sich diese Aussage doch darauf, denn der Dschihâd gilt normalerweise als eine »Pflicht der Gemeinschaft«, nicht als eine »Pflicht jedes Einzelnen« - al-Ghiryânî hätte also die Obligation zum Widerstand strenger gefaßt als eine Aufforderung zum Dschihâd.) Am Abend wurde gemeldet, al-Ghiryânî sei festgenommen, dabei auch angespuckt und verprügelt worden. Und seitdem wurde sowohl berichtet, er befinde sich wieder oder immer noch in Freiheit, oder er sei immer noch inhaftiert. Wir wissen es nicht. Oder Abdallâh as-Sanûsî und sein Sohn: Die beiden leiten den libyschen Inlandsgeheimdienst, gelten allgemein (und zurecht) als »Erzverbrecher« und sollen einigen Meldungen zufolge in Benghazi ums Leben gekommen sein. Das wurde aber wenig später dementiert; tatsächlich seien sie aus der Stadt geflohen. Nichts davon läßt sich bestätigen.

20.02.2011

The Revolution Is Not Televised

In Libyen ereignet sich gerade ein landesweites Massaker ... und die Weltöffentlichkeit bekommt es bisher nur am Rande mit

Von Daniel Roters und Marco Schöller

Was geschieht gerade in Libyen – in diesen Minuten, diesen Stunden, diesen Tagen? Wir wissen es nicht genau, und die meisten Nachrichten sind unbestätigt. Die Medien, die noch in Ägypten Tag und Nacht über den Verlauf der Ereignisse berichteten, haben keine Möglichkeit, aus Libyen zu senden. Die einzige Informationsquelle ist das Internet: Videos auf Youtube und anderen Seiten, Twitter, Nachrichtenticker auf Facebook. Auch Aljazeera, CNN und BBC, die keine Reporter oder Kameras vor Ort haben, sind auf die Informationen angewiesen, die über Telefon oder Internet verbreitet werden. Wir werden gerade Zeuge einer Revolution im Mediendunkel.

Unzweifelhaft ist, daß in Libyen inzwischen vielerorts kriegsähnliche Zustände herrschen: in Benghazi, in al-Baida', in weiteren Städten im Landesinneren und seit gestern auch in Tripoli. Auf einem Video wird gezeigt, wie Aufständische in Tobruk ein Gaddafi-Denkmal niederreißen. Militär, Sondertruppen des Geheimdienstes und, wie vielfach berichtet wird, schwarzafrikanische Söldner sind im Einsatz gegen die Aufständischen.

19.02.2011

Zur Geschichte des Islams in Tunesien, Folge 1

Tâhir al-Haddâd (1899-1935): Tunesiens verkannter Reformer, Tunesiens nationales Symbol
 

Erster Teil

Von Iman Hajji


Büste al-Haddâds in El Hamma (Gabès)
»Die Zeit der Aktion ist gekommen, denn heute brauchen wir Werke mehr denn eifrige Worte« schrieb der tunesische Sozialkritiker Tâhir al-Haddâd im Jahre 1933 – damals im Schatten des französischen Protektorats. Denselben Aktionsdrang verspürten nun acht Jahrzehnte später seine Landsleute, als sie auf die Straße gingen, um gegen den tunesischen Diktator Ben-Ali zu protestieren – ganz im Sinne al-Haddâds, der davon ausging, daß Tyrannei immer auch Freiheit hervorbringt.

Zeitgemäß ist al-Haddâd jedoch nicht nur in dieser Hinsicht. Die multiplen Identitäten Tunesiens reichen vom arabischem Nationalismus und der maghrebinischen Einheit bis hin zur Mittelmeerromantik. Der tunesischen Gesellschaft wird indes seit geraumer Zeit im Vergleich zu anderen arabischen Ländern eine gewisse Modernität zugesprochen, die in erster Linie auf den frauenfreundlichen Gesetzten beruht, die das tunesische Personenstandsrecht kennt. Das Code du Statut Personnel (majallat al-ahwâl al-shakhsîya) wurde am 13. August 1956 vom damaligen Premierminister und späteren Präsidenten Bourguiba erlassen. Die Vorrechte des Mannes wurden darin drastisch beschnitten, die Polygamie wurde unter Gefängnis- und Geldstrafe gestellt, die gerichtliche Scheidung institutionalisiert, die fortan Männer und Frauen fordern konnten, und der jabr – das Recht des Vaters, Minderjährige gegen ihren Willen zu verheiraten – wurde abgeschafft. Das Code du Statut Personnel gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der Ära Bourguibas. Dabei stellte die Verkündung des Codes gewissermaßen eine Würdigung der Gedanken al-Haddâds dar, die er im Jahre 1930 in seinem Werk Imra'atunâ fî l-sharî'a wa-l-mujtama' (»Unsere [d.h. die tunesische] Frau in Scharia und Gesellschaft«) veröffentlichte.

18.02.2011

Gegen Auslegungswillkür imprägniert?

Von Marco Schöller

Heute hat Hartmut Krauss unter dem Titel "Chancengleichheit für die kritische Vernunft" eine Antwort auf Sabine Leutheuser-Schnarrenbergers FAZ-Artikel "Jeder Religion die gleiche Chance" vom 10. Februar 2011 veröffentlicht.

In seiner Antwort, ja tatsächlich einer Widerrede, führt er zahlreiche Argumente ins Feld, die zum größten Teil fragwürdig sind. Ich möchte hier nur auf einen Punkt eingehen, der mir besonders wichtig erscheint, zumal er immer wieder in der Islam-Debatte auftaucht. Dieser Punkt liest sich im Text von Krauss wie folgt:

17.02.2011

"Die Nichte eines Schopfheimers"


In den letzten Tagen und Wochen finden sich in deutschen Lokalzeitungen zahlreiche "Erlebnisberichte", die von der ägyptischen Revolution handeln. Dabei kommen Deutsche zu Wort, die beruflich in Ägypten tätig waren oder noch sind. Der Tenor der jeweiligen Berichte reicht von sensationalistisch bis sachlich, doch nicht selten erfährt man interessante Dinge am Rand der "großen Politik".

16.02.2011

Tariq al-Bishri, Islamdemokrat und Verfassungsvater

Von Thomas Bauer


Nach dem Sturz Mubaraks stellt sich die alles entscheidende Frage: Wie ernst meinen es die Militärs mit der Demokratisierung Ägyptens? Die Biographien der obersten Militärs sind nicht allzu vielversprechend, und wichtige Forderungen der Opposition wie die Aufhebung des Ausnahmezustands – obwohl in den letzten 30 Jahren tatsächlich noch nie so viel „Ausnahmezustand“ war wie jetzt – und die Freilassung politischer Gefangener bleiben vorerst unerfüllt. Doch jetzt setzt der Militärrat ein Hoffnungssignal, wie es erfreulicher nicht hätte sein könnte: Als Vorsitzender des Rats zur Reform der Verfassung wird Tariq al-Bishri  – in deutschen Medien zumeist Tarek al-Bischri geschrieben – nominiert.

Aufgabe des Rats ist es, in nur zehn Tagen eine neue Verfassung zu erarbeiten, die in einer Volksabstimmung verabschiedet werden soll. Im Augenblick gibt es wohl keine wichtigere Aufgabe, und die Nominierung al-Bishris ist eine kleine Sensation. Die deutschen Medien haben dazu aber nichts weiter zu sagen als die Tatsache zu vermelden, dass auch ein Mitglied der Muslimbrüderschaft dem Rat angehören wird, Sobhi Saleh (übrigens eine durchaus respektable Person). Aber was ist damit gesagt? Nichts weiter als dass einer der wichtigsten oppositionellen Bewegung eine Stimme eingeräumt wird, was man uneingeschränkt begrüßen muss. Auf eine neue Verfassung wird dies jedoch kaum Einfluss haben.

Wie geht es weiter in Ägypten?

 Ägypten: Die Revolution nach der Revolution (Berliner Zeitung / 15.02.2011 / Julia Gerlach)
Die Revolution in Ägypten geht in die nächste Runde und kehrt damit an ihren Ursprung zurück. War es den Jugendlichen doch zunächst um soziale und wirtschaftliche Forderungen gegangen: Sie wollen bessere Jobs, Wohnungen und einen gerechten Lohn. Kurz: Eine Zukunft. Im Laufe des Protestes wich diese Forderungsliste dem einen lauten Ruf: "Mubarak hau ab!". Jetzt ist Präsident Mubarak ist weg, zurückgezogen in seiner Villa in Scharm Al Scheikh und sofort sind die alten Forderungen wieder da. Und noch viele mehr.

Ägyptische Wendehälse (Berliner Zeitung / Textarchiv / 15.02.2011 / Julia Gerlach)
Exponierte Träger des alten Systems präsentieren sich jetzt als Kritiker. Andere fürchten um ihre Freiheit.
Es gibt im Arabischen bisher noch keine wörtliche Übersetzung für "Wendehals". Doch Formulierungen wie "Der, der die Farbe seiner Haut ändert", wie etwa ein Chamäleon, sind in aller Munde. Natürlich gibt es aktuell, wenige Tage nach dem Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak auch am Nil viele Ägypter, die ganz auf Seiten Mubaraks standen, bis sie Freitag um 18 Uhr -als der Rücktritt verkündet wurde - zu glühenden Anhängern der Revolution wurden. 

Ägypten: Arbeit an neuer Verfassung - Zehn Juristen, zehn Tage Zeit (sueddeutsche.de / 15.02.2011)
Ägypten auf dem Weg zur Demokratie: Nach Mubaraks Sturz hat der regierende Militärrat einen Verfassungsausschuss eingesetzt. Das neue Gesetzeswerk soll schon bald vorliegen - doch noch gibt es viele Fragen.


Die Geschichte umschreiben: Ein Schriftsteller und sein Buchprojekt über Ägypten (deutschlandradio kultur / 15.02.2011)
Ursprünglich wollte der in Deutschland lebende arabischstämmige Schriftsteller Abbas Khider ein Buch über die Hoffnungslosigkeit der arabischen Intellektuellen verfassen. Doch dann wendete sich das Blatt. Bewegt schildert er seine Erlebnisse auf dem Tahrir-Platz in Kairo und nennt sie eine "Hochzeit für die Freiheit". Das Geheimnis der Bewegung sei ihre Einfachheit, so Khider.


Fier d'être un Egyptien! (lemonde.fr / 15.02.2011 / Khaled Al Khamissi)
Croyez-moi si vous voulez, mais les eaux du Nil ont dansé de joie au rythme du peuple célébrant la chute du dictateur. Les vagues se trémoussaient pour célébrer la fin du cauchemar qui nous privait d'oxygène depuis trente ans. Les millions de voix tremblant de puissance scandent : "Relève la tête… tu es Egyptien". Sautant en l'air, le doigt pointé l'un vers l'autre, on crie : "Toi, t'es Egyptien !" La fierté d'être Egyptien a remplacé l'envie de fuir une patrie où l'on était privé de tous les droits de citoyen.

Egypt: The Age of Freedom has Begun. Amen! (huffingtonpost.com / 15.02.2011 / Muqtedar Khan)
We are witnessing the rebirth of the Arab World. Mubarak resigns and with him ends the age of dictators, repressions and lack of freedom in Egypt. If Egypt becomes democratic, it does not have to become a perfect democracy overnight, it will suffice that it begins transition to democracy in earnest. Egypt is the intellectual and cultural leader of the Arab world and enjoys the affection and respect of all Muslim nations. If Egypt embraces democracy, democracy will become the norm in the Arab World.

"Wir müssen den Ägyptern vertrauen" (tagesspiegel.de / 15.02.2011)
Die Freiheitsrevolution in Ägypten verdient uneingeschränkte Unterstützung, findet der ehemalige Außenminister Genscher. Der Militärführung muss klar sein, dass ihre Machtdauer begrenzt ist.

Wir sollten mehr Vertrauen in die Friedfertigkeit demokratischer Staaten haben. Auch die Militärführung in Kairo hat Klarheit geschaffen. Die von Ägypten geschlossenen Verträge werden nicht angetastet. Das gilt auch und vor allem für den Friedensvertrag mit Israel.
Die Europäische Union muss ihre Mittelmeerpolitik nunmehr – und das ohne Zögern – ausrichten auf die Hilfe bei der Erfüllung der Erwartungen der tunesischen und der ägyptischen Freiheitsrevolutionäre. Mehr Freiheitschancen müssen auch mehr Lebenschancen für sie bedeuten.

The Tough Task Facing the Egyptian Military (iwpr.net / 15.02.2011 / Ehab Kotb)


Unruhe nach Machtwechsel: Zusammenstöße in Ägypten fordern Tote (SPIEGEL-Online / 15.02.2011 / dpa)
Vier Tage nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubarak bleibt die Lage am Nil unruhig: Bei Auseinandersetzungen zwischen entflohenen Häftlingen kamen mehrere Menschen ums Leben. Die EU prüft die Sperrung von Konten früherer Mitglieder des Mubarak-Regimes.


Why Tahrir Infuriates the Neo-Cons (jadaliyya.com / 15.02.2011 / Shiva Balaghi)
It wasn’t the spectre of “a democratic Iraq” or the spark of American missiles or the ideology of MEPI democratization that triggered the people’s revolution in the Arab world. They did it on their own. And Obama just let them. He let them have their democratic uprising without sending a single U.S. soldier along to help them out. The press was talking about a democracy tsunami across the Arab world—and it didn’t have a Made in the USA label on it. This was the neo-cons’ worst nightmare.

Der Fall der arabischen Mauer (fr-online / 15.02.2011 / Ulrich Beck)
Was haben der Aufstand in Tunesien und der Aufstand in Ägypten mit dem Zusammenbruch der Berliner Mauer gemeinsam? Nicht nur das Unvorhergesagte und Unberechenbare, vielmehr das Unvorstellbare geschah und geschieht. „Wahnsinn“ ist das Wort damals und jetzt, das den Zusammenbruch der Gewissheiten auf den Punkt bringt. Wer vor drei Wochen vorausgesagt hätte, was heute Tatsache ist – dass zwei der autoritären Regime der arabischen Welt zusammengebrochen sind, und die anderen beben –, wäre für verrückt erklärt worden.

Der Machtwechsel in Ägypten: Politisch isoliert, falsch beraten (FAZ.net / 15.02.2011 / Rainer Hermann)
Allmählich wird bekannt, wie es zum Rücktritt Husni Mubaraks kam. Erst drängte ihn sein Sohn Gamal, im Amt zu bleiben. Dann verdrängte ihn Verteidigungsminister Tantawi. Er ist der neue starke Mann in Kairo.

Revolution in Ägypten: "Das ist jetzt mein Land" (taz.de / 14.02.2011 / Karim al-Gawhary)
In Kairo räumen die Demonstranten den Tahrir-Platz auf. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die Armee will in sechs Monaten Neuwahlen abhalten.
Noch vor wenigen Wochen hat er sich mit seinem Stuhl wahrscheinlich an einer der Straßenkreuzungen an den Reihen der wartenden Fahrzeuge entlanggeschoben, um bei Rot an deren Fenster zu klopfen und ein wenig Geld zu erbetteln. Heute lächelt er und antwortet auf die kurze Frage, was er denn da mache, mit einem kurzen: "Das ist jetzt mein Land." Dann taucht er den Pinsel wieder ein und beugt sich in Zeitlupe wieder herunter.
Ägypten kommt nicht zur Ruhe (tagesanzeiger.ch / 14.02.2011 / dpad)
Tausende Ägypter haben für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen demonstriert. Die Armee rief zum sofortigen Ende der Streiks und Proteste auf – ohne Erfolg.

Egypt's revolution has just begun (english.aljazeera.net / 12.02.2011 / Adrian Crewe)
The transition to civilian rule will not be easy - if the military are capable of delivering on their promises.

* * * 

>>>> Eine wichtige Ressource für die aktuelle Berichterstattung über Ägypten: Ägyptenticker

15.02.2011

Die Achse der Freiheit? Iran - Ägypten...

Von Fereshte Teyfouri Hedjazi 

Der Ruf nach Freiheit und Demokratie in Ägypten und das Verlangen nach einem korrekten Wahlverlauf erinnert an die Massenbewegung und Proteste in Iran im Juni 2009 nach der Präsidentenwahl. Hier protestierten die Iraner gegen Wahlfälschungen und forderten Demokratie und Freiheit. Sie zogen mit dem Ruf: „Where is my vote?“ durch die Straßen und zeigten allen Menschen der Welt, wie Ernst sie ihre Wahl nahmen und den Wunsch nach Beteiligung an politischen Entscheidungen. Diese wurde durch den Wahlbetrug unterdrückt und eliminiert. Sie demonstrierten den herrschenden Eigenwillen des Molla Regimes und gaben ihre Unzufriedenheit kund. Die Opposition versuchte die Armee für sich zu gewinnen und die Soldaten dazu zu bewegen, von brutalem Verhalten abzulassen. Kurzfilme von Amateuren bezeugen rührende Szenen, beispielsweise das Verteilen von Blumen und Bonbons an Soldaten. Diese Szenen geben Hinweise auf die Brüderlichkeit, die religiöse Verbundenheit und kulturelle Identität.

Obwohl die blutigen Auseinandersetzungen, Verhaftungen und die Anwendung barbarischer Foltermethoden in den Gefängnissen diese Bewegung anscheinend zum Stillstand gebracht hat, entstand doch die „grüne Bewegung“, die einen anderen Weg als den Kampf eingeschlagen hat und ein anderes Vorgehen wählt. Die Ähnlichkeit der Ereignisse in Iran mit denen in Ägypten ist erstaunlich. Manche sagen, dass die „Nachbeben“ der ersten Erschütterungen im Iran erscheinen jetzt in Ägypten und in anderen Ländern mit totalitärem Regime. Auch in Ägypten hat es Tote und Verletzte gegeben. Auch hier wurden Demonstranten, Reporter, Blogger und Befürworter der Demokratie verhaftet.

Das Ergebnis der Demonstrationen in Ägypten wird zeigen, inwieweit die Ähnlichkeit im Endpunkt besteht. Eines kann man aber mit Sicherheit sagen: Die Zeiten der totalitären Regime sind vorbei. Die Länder, die sich aus wirtschaftlichen Interessen zurückziehen, oder weiter diese Regimes unterstützen, wissen auch, dass diese keinen dauerhaften Bestand haben können. Sie wissen sehr gut, dass die Rechte der Menschen an politische und wirtschaftliche Aspekte gekoppelt sind. Die Werte der Menschlichkeit sind überall gleich. Überall wollen die Menschen ihre Rechte genießen. Wir befinden uns in einer Epoche der Geschichte, in der wir von globalen Rechten sprechen. Ich meine Rechte, die nicht von irgendwelchen Ideologien diktiert werden, sondern für alle Menschen auf dieser Erdkugel gelten.



Anmerkung der Redaktion:







Ab Do. 24.02. läuft der Film Green Wave im Kino in Münster, teilw. in Farsi / OmU.

Am Samstag, den 26.02., wird der Film um 20.30 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs Ali Samadi Ahadi gezeigt.

"Die Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 sollten einen Wechsel bringen, aber entgegen allen Erwartungen wurde der ultrakonservative Populist Mahmud Ahmadineschad im Amt bestätigt. So deutlich das Ergebnis ausfiel, so laut und berechtigt waren dann auch die Vorwürfe der Wahlmanipulation. Die anhaltenden „Wo ist meine Stimme?“- Protestdemonstrationen wurden von staatlichen Milizen immer wieder mit brutalen Übergriffen aufgerieben und aufgelöst. Private Aufnahmen von Handys oder Fotokameras zeugen von dieser maßlosen Gewalt.Als bewegende Dokumentarfilm-Collage bebildert „The Green Wave“ das dramatische Geschehen und erzählt von den Gefühlen der Menschen hinter der Revolution."

14.02.2011

Aktuelle Presseschau zum Thema "Internet-Revolution"

Über die Rolle der "sozialen Netzwerke" im Internet für die Revolutionen in der arabischen Welt wird in den westlichen Medien weiterhin kontrovers diskutiert:

"Die Ägypter wollen dasselbe wie wir" (welt.de / 14.02.2011 / Mara Delius)
Der Kulturwissenschaftler Jan Assmann über ein Land im Umbruch: Wie sehr wird das neue Ägypten durch die Bilder der Antike verstellt, wie viel bedeutet den Ägyptern selbst ihre Vergangenheit? Jan Assmann, renommierter Ägyptologe und Begründer der Theorie des kulturellen Gedächtnisses, hat sich sein wissenschaftliches Leben lang mit solchen Fragen beschäftigt.

Auszug: "Das ist der interessanteste Aspekt an der Situation in Ägypten. Menschenrechte sind Angelegenheit des öffentlichen Bewusstseins und Teil eines universalen Rechtsgefühls, auch in jenen Ländern, in denen Unterdrückung herrscht. Wer uns das vorgemacht hat, ist Gandhi. Dessen Aktivismus appellierte an das Rechtsbewusstsein der Engländer. Jetzt ist der Adressat die gesamte Weltöffentlichkeit. Mittlerweile bieten Facebook, Twitter und die Handyfotografie ganz neue Möglichkeiten, so ein Regime vor der ganzen Welt an den Pranger zu stellen. Früher war die Information der Öffentlichkeit eine Sache des Staatsfernsehens. Die Weltöffentlichkeit blickte da nicht durch, und die Machthaber konnten machen, was sie wollten. Jetzt kann sich auch der Westen nicht mehr erlauben, sich einfach dumm zu stellen. Deswegen finde ich solche Medien großartig."

Post-revolution, Facebook's political relevance in Egypt endures
(almasryalyoum.com/en / 14.02.2011 / Valentina Cattane)
Much has been written about how the success of Egypt's recent revolution showed how social networking website Facebook represents a threat to entrenched, authoritarian governments throughout the world. More recently, however, Facebook has taken on an additional role as a space in which to convene and discuss how to build a nation’s future. What Facebook has managed to accomplish was to make those traditionally disinterested in politics increasingly engaged in it through online discussions.

Young Arabs who can't wait to throw off shackles of tradition (guardian.co.uk / 14.02.2011 / Jack Shenker, Angelique Chrisafis, Lauren Williams, Tom Finn, Giles Tremlett, Martin Chulov)
The frustrated generation at the heart of the protests tell how their progress is being stifled by unemployment and corruption.
Auszug: "The wave of Arab protest has acquired some lazy epithets: the WikiLeaks revolution, the Facebook uprising, the Twitter revolt. In reality, it's more complex than that. But social media does play a big role in the lives of young Arabs. Some estimates put at more than 100 million the number of new media users across the Arab world. In Tunisia, around one in five young people use Facebook. To circumvent the state's cyber-oppression, finger-length memory sticks, which allowed users to connect to the internet anonymously, began being distributed by local Pirate party activists. Blocked sites suddenly became accessible, and a virtual veil protected those sharing images, videos and information on the ground."

Revolution nach Plan (FAZ.net / 14.02.2011 / Rainer Herrmann)
Die Initiatoren der Proteste in Ägypten hatten sich zuvor mit Mitstreitern aus Tunesien und einer Gruppe von erfahrenen Aktivisten in Serbien beraten - vor allem über das Internet. Sie folgten einer über lange Zeit entwickelten Strategie.

Facebook-Revolte - Die Ägypter haben es vorgemacht (tagesspiegel.de / 14.02.2011 / Andreas Pflitsch)
Das Internet sorgt für eine Vielfalt der Meinungen. Welche Rolle den neuen Medien in Nordafrika zukommt, wurde nun auf einem internationalen Workshop am Berliner Zentrum Moderner Orient diskutiert.

Une blogueuse syrienne condamnée à cinq ans de prison (Le Point.fr / 14.02.2011)
Agée de 19 ans et arrêtée en décembre 2009, Tal Al-Mallouhi est accusée d'intelligence avec un pays étranger.

Gutenberg In The Middle East (theatlantic.com / 14.02.2011)
"After Mubarak left, [Google's Wael] Ghonim said on CNN that he wanted to meet Mark Zuckerberg to thank him for Facebook and the ability to make that page. After the Reformation in Europe, Martin Luther thanked Johannes Gutenberg. Printing, he said, was "God's highest and extremest act of grace." Good revolutionaries thank their tools and toolmakers. ..."
La révolution Facebook en marche (lemonde.fr / 14.02.2011 / Marie Ansquer)
Voilà l’Égypte libérée de son tyran. Moubarak est parti. En deux mois, deux dictateurs ont été délogés de leur palais. Un clou chassant l’autre, le risque de contagion est bien réel. Les réseaux sociaux sur internet n’ont pas encore terminé leur travail de libérateurs du monde.

Die „Facebook-Revolution“ – Gedanken zum Einfluss des Internets auf politische Umbrüche (carta.info / 14.02.2011 / Christoph Kappes)
Wenn Diktatoren fallen und Demonstranten Facebook feiern, wenn US-Politiker anonyme Facebook-Accounts fordern und Angela Merkel Twitter lobt, wird es Zeit, die Dinge zu sortieren. Eine ausführliche Reise durch das Themendreieck Netz, Politik & Bürger mit drei kleinen Rant-Bemerkungen.

Den Anfang machte Ägyptens «Facebook-Girl» (aargauerzeitung.ch / 13.02.2011 / Christian Nünlist)
Die «Jugendbewegung 6. April» von Israa Abdel-Fattah steht hinter dem Sturz von Despot Hosni Mubarak . Die Bloggerin war die erste Frau, die in Untersuchungshaft wegen politischer Agitation war.

Revolution online: Arabiens Freiheit kommt aus dem Netz (Zeit-Online / 12.02.2011 / Gero von Randow)

UN Secretary Rice On Facebook And Twitter: “Governments Are Increasingly Cognizant Of Their Power”
(techcrunch.com / Alexia Tsotsis / 12.02.2011)
The outcome of today’s events in Tahrir Square is still “to be continued,” and the scope of influence of Twitter and Facebook on the protests in Egypt, Tunisa, Yemen and now Syria is subject to endless debate. But Rice is right, there’s no denying that social media has a powerful effect on social movements, but as to its exact magnitude we can only begin to speculate, fittingly, hopefully, on Twitter.

YouTube, star de la Tunisie d’après Ben Ali (tekiano.com / 11.02.2011)
Des sites web auparavant censurés en Tunisie, se sont déjà hissés à tête du classement établi par Google. Selon le géant de Mountain View, YouTube se classe à la seconde place juste derrière le terme Ben Ali.

Die Revolution der Jugend (Frankfurter Neue Presse / Susanne Keeding / 11.02.2011)
Es ist eine Revolution der Jugend. Die Generation Facebook begehrte auf gegen die Despoten, die sich selbst bereicherten, aber ihnen keine Perspektive schenkten. Und die Alten zogen mit, stolz auf ihre Kinder, die sich öffentlich zu sagen trauten, was sie selbst nur hinter verschlossenen Türen anzudeuten wagten.

Facebook, porte-voix des révoltes arabes (L'Express / Pauline Tissot / 11.02.2011)
En Egypte et en Tunisie, les manifestations se sont d'abord jouées sur le réseau Facebook. Dans le reste du monde arabe, Internet a désormais conquis les milieux d'opposants.

Forget the Facebook idealists. It's the Brotherhood we should fear (dailymail.co.uk / Richard Pendlebury / 11.02.2011)
It is clear, though, that in Cairo the new ‘Facebook opposition’ is dazzled by the prospect of change. In the background, the Brotherhood adjusts its tie, smiles, glosses over its deeply conservative Islamic core values, and waits for the door to be opened. A spokesman admitted earlier this week that religious aims had been put ‘on the back burner’.

"Ich habe nur meine Tastatur benutzt" (tagesspiegel.de / Martin Gehlen / 11.02.2011)
"Betet für Ägypten", hackte er in seine Computertastatur, und "Wir haben Angst". Auf welche Weise der Blogger Wael Ghonim zur Stimme der jungen Demonstranten wurde.

«Lügen verbreiten sich so schnell wie die Wahrheit» (tagesanzeiger.ch / Michèle Binswanger / 10.02.2011)
Was bewirken Facebook & Co. im Nahen Osten? Und wie nutzen die Machthaber sie für eigene Propaganda? Journalist und Buchautor David Bauer über die politische Bedeutung neuer Medien.

Die schöne neue Welt von Facebook: „ttt“ über eine Internetplattform in der Kritik (hr-online / 10.02.2011)
Vor allem soziale Netzwerke wie Facebook sollen dazu beigetragen haben, dass sich Hundertausende junger Menschen organisierten und zu Protestmärschen versammelten. Facebook habe das Potenzial, einen Volksaufstand zu befördern – sagt der kanadische Computerwissenschaftler David Kirkpatrick. Er gibt in seinem Buch „Der Facebook Effekt“, das jetzt auf Deutsch erscheint, spannende Inneneinsichten in das Unternehmen um den ehemaligen Studenten Mark Zuckerberg.

Ägyptische Blogger und die Proteste "Es gibt kein Zurück mehr" (sueddeutsche.de / Karin El Minawi / 09.02.2011)
Die Wut aus dem Netz: Ägyptens Blogger stehen im Zentrum der Revolte und müssen deshalb um ihr Leben fürchten. Doch einschüchtern lassen sie sich nicht - viele haben nichts mehr zu verlieren.

Revolutionskatalysator Twitter: Die 140-Zeichen-Stimme des Volkes (theeuropean.de / Firas Al-Atraqchi / 09.02.2011)
Kein Social-Media-Kanal kann eine Revolution auslösen. Doch Facebook und Twitter waren die Katalysatoren, die der entrechteten Bevölkerung in Tunesien und Ägypten eine Stimme gaben und die Massen in ihrem Kampf gegen den Status quo bestätigten.

Beschleuniger der Verzweiflung (tagesanzeiger.ch / Martin Kilian / 09.02.2011)
In den USA ist eine Debatte über soziale Netzwerke entbrannt: In welchem Ausmass fördern sie Aufstände wie in Ägypten?

Virtuelle Revolution? (dw-world.de / 08.02.2011)
Welche Rolle spielen soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter bei gesellschaftlichen Veränderungen? Kommen Revolutionen aus dem Internet?

Revolution offline: Die Umstürze brauchen kein Internet – es kann die Demonstranten sogar gefährden (ZEIT-Online / 03.02.2011 / Evgeny Morozov)


NACHTRAG 16.02.2011

Die Analyse der Social Media Revolution in der Arabischen Welt (Ägypten, Tunesien, Web 2.0)
(tobesocial.de / 16.02.2011)
Welche Rolle spielt das Web 2.0-3.0 und die Social Media Dienste wie Twitter, Youtube und Facebook bei den Protesten in der arabischen Welt? Wie haben sich die Social Medien in den letzten 3-12 Monaten im arabischen Raum entwickelt?
Die Demonstrationen und Umstürze im arabischen Raum zeigen, dass Social Media-Instrumente wie Blogs, Facebook, Youtube und Twitter eine immer größere Bedeutung für die Mobilisierung von Menschenmassen erhalten.

Facebook-Ikonographie der tunesischen Revolution - Teil II

Im folgenden einige Beispiele für Icons, die explizite politische Botschaften haben oder auf Schlüsselereignisse der tunesischen Revolution verweisen.
Arabische Begriffe und Slogans mit englischer Übersetzung.

(1) "14. Janvier 2011" = Tag der Flucht des Präsidenten Ben-Ali aus Tunesien


(2) "Sidi Bouzid" = Ort der versuchten Selbstverbrennung von Muhammad Bouazizi am 18. 12. 2010, was heute in Tunesien als symblischer Beginn der Revolution gefeiert wird.


(3a) "Revolution!"


(3b) "Revolution until Victory!"


(4) "Justice!"


(5) Verschiedene Slogans


(6) Bildbotschaften


(7) Solidarität mit den Demonstranten in Ägypten



13.02.2011

Wie die USA zum ersten Mal offizielle Kontakte mit islamischen Potentaten knüpften / 3

Eine denkwürdige Geschichte in mehreren Episoden – Teil 3

Ein historischer Essay von Marco Schöller


V
Am 14. Mai 1798 starb der alte Dey von Algier, Hasan, an den Folgen einer Krankheit, und sein Neffe Mustafâ trat als neuer Dey an seine Stelle. Fünf Tage später stach die französische Flotte – die größte Expeditionsarmee zur See seit dem 16. Jahrhundert! – von Toulon in Richtung Ägypten in See. Napoleon, damals noch bekannt als Bonaparte, war auf dem Weg in den Orient.

Der neue Dey Mustafâ 'Alî war ein »harter Hund«, dem jede Neigung zur Diplomatie, wie sie seinem Onkel Ḥasan noch in einem gewissen Maß zu eigen gewesen war, gänzlich abging. Als arrogant, jähzornig und habgierig, dazu als zur Grausamkeit, wenn nicht zum Wahnsinn, neigend beschrieben ihn zeitgenössische Beobachter. Er selbst war nicht erpicht darauf, das Amt anzutreten, weil er Angst um sein Leben hatte und wußte, auf welchem Schleudersitz er sich nun befand. Noch kurz zuvor hatte er mitansehen müssen, wie türkische Soldaten in den Palast des Deys eingedrungen waren und dort plünderten, während Dey Hasan auf dem Krankenbett lag. Kaum war aber Dey Hasan verstorben, machte sich Mustafâ als erste »Amtshandlung« an die Ausplünderung der Familie seines Onkels, wobei er unter anderem dessen Verwandten einsperren ließ, um von ihnen zu erfahren, wo Hasan seine Reichtümer versteckt hatte.

Nicht weniger zimperlich ging der neue Dey mit den Konsuln der europäischen Mächte um. Er verlangte von ihnen neue Geldgeschenke, wie es ja überhaupt üblich war, einem neuen Dey zur Amtseinführung eine beträchtliche Summe auszuhändigen. Ansonsten wurde er bei Audienzen auch handgreiflich, und als er dem schwedischen Konsul Brand einen Säbelhieb (oder einen Dolchstoß) versetzen wollte, rettete sich dieser, indem er geistesgegenwärtig die eigene Waffe zog: »Mehr als einmal setzte er sich der ganzen Wuth des Deys durch seine Vorschläge aus: dieser stach sogar einmal mit einem Dolch nach ihm, und nur ein Zufall rettete ihn von dieser augenscheinlichen Lebensgefahr.« (Politisches Journal 1800, 1. Band, Monatsstück Februar, S. 202)

Mit diesem neuen, unberechenbaren Dey bekamen es nun die Vertreter der USA zu tun, die in dieser Zeit den Weg nach Algier fanden. Als außenpolitische Greenhorns hatten sie dabei alle Mühe, sich in diesem maghrebinischen Intrigennest zurechtzufinden. Wie das alles vor sich ging, und was man von Dey Mustafâ zu erwarten hatte, kann man einer Schilderung aus der Feder von William Eaton entnehmen, der im Februar 1799 eine Audienz beim neuen Dey erhielt. Doch kurz die Vorgeschichte: Eaton war seit Juli 1797 Konsul der Vereinigten Staaten in Tunis und hatte zusammen mit James L. Cathcart, dem neu ernannten Konsul in Tripoli, die Vereinigten Staaten Ende Dezember 1798 auf der Brigg Sophia verlassen. Im Schlepptau hatten sie mehrere amerikanische Schiffe, die in Algier abzuliefern waren. Eaton und Cathcart kamen am 9. Februar 1799 in Algier an und erlebten dort am 22., nachdem sie die Schiffe übergeben hatten, eine Audienz beim Dey. Eaton beschrieb später das Geschehen im Stil eines Mark Twain:
Die Konsuln O’Brien, Cathcart und ich selbst, die Kapitäne Geddes, Smith, Penrose und Maley begaben sich vom Amerikanischen Haus in den Hof des Palastes. Wir nahmen unsere Kopfbedeckungen ab, betraten die Halle und stiegen ein gewundenes Labyrinth mit fünf Treppenfluchten empor, bis wir zu einem schmalen, dunklen Einlaß gelangten, der in ein enges Zimmer führte, etwa zwölf auf acht Fuß. Das war der Raum für Privataudienzen. Wir zogen unsere Schuhe aus und gingen in die Höhle hinein (denn eine solche schien es), in die Licht aus kleinen, mit Eisengittern bewehrten Öffnungen fiel. Man präsentierte uns einem riesigen, ungepflegten Untier, das auf einer niedrigen Bank auf seinem Rumpf saß, bedeckt von einem bestickten Samtkissen, die Hinterbeine wie ein Schneider oder ein Bär übereinandergeschlagen. Als wir uns ihm näherten, streckte es seine Vorderpfote aus, als wolle es etwas zu essen haben. Unser Führer rief aus: »Küßt die Hand des Deys!« Der Generalkonsul verbeugte sich sehr galant und küßte sie; wie folgten einer nach dem anderen seinem Beispiel. Das Tier schien gerade guter Stimmung und folglich harmlos zu sein; es grinste mehrmals, gab aber nur wenige Laute von sich. Nachdem wir diese Zeremonie vollführt und einige Momente in Agonie still gestanden hatten, durften wir gehen, um unsere Schuhe und anderen Gegenstände zu nehmen und den Bau zu verlassen. (…) Könnte irgendjemand glauben, daß sieben Könige Europas, zwei Republiken und ein Kontinent an dieses hochgestellte Biest Tribut zahlen, dessen ganze Seemacht doch nicht zwei Linienschiffen gleichkommt? Und doch ist es so! (Life of General Eaton [Brookfield 1813], S. 59 f.; noch zit. in Allen, Our Navy, S. 63 f.)
William Eaton hatte insofern recht, als die pekuniären Aspekte der Beziehungen mit den europäischen Staaten dem neuen Dey besonders am Herzen lagen. Schon bei der ersten Audienz, die er dem französischen Konsul Moltedo gewährte, verlangte er, Frankreich solle endlich seine Schulden, die es bei ihm hatte, begleichen. Ebenso schlug er in seinem ersten Schreiben an das Direktorium in Paris, im Juni 1798, sofort einen fordernden Ton an, der nichts Gutes verhieß. Er brachte eine noch ausstehende Kreditrückzahlung unverblümt zur Sprache und beklagte sich auch über andere Mißstände.

VI
Durch die Expediton Bonapartes war im Sommer 1798 der gesamte Mittelmeerraum in Aufruhr versetzt worden, und durch den französischen Angriff auf Ägypten war auch das Osmanische Reich in die französischen Revolutionskriege hineingezogen worden. Den Dey von Algier brachte die französische Ägypten-Expedition in eine heikle Lage: Zum einen unterstand er, wenn auch nur formell, der Oberhoheit des osmanischen Sultans, zum anderen profitierte er von der Freundschaft und von den Handelbeziehungen mit Frankreich. Wie aber mit zwei Seiten gute Beziehungen aufrechterhalten, die sich nun als Feinde gegenüberstanden? Und Frankreich war in dieser Zeit sowohl in Europa als auch in Algier einigermaßen isoliert, während sich Großbritannien und andere europäische Staaten darum mühten, den Dey von Algier ganz auf die Seite der Osmanen und somit in eine antifranzösische Koalition zu ziehen. Das hatte schließlich Erfolg, und am 21. Dezember 1798 erklärte der Dey Frankreich den Krieg.

Doch die Beziehungen zwischen der Regentschaft Algier und Frankreich kühlten sich nur ab, wurden aber nicht feindselig: beide Seiten versetzten sich Nadelstiche, aber es kam zu keinem offenen Konflikt. Das Jahr 1799 verging in diesem Zustand des »kalten Krieges«, und ab dem Frühjahr 1800 unternahm Frankreich wieder größere Anstrengungen, den Kriegszustand zu beenden. Französische Versprechungen und die Hoffnung des Deys, von einem Frontenwechsel zu profitieren, führten am 20. Juli 1800 zu einem unbefristeten Waffenstillstand, der in Algier von Dey Mustafâ und dem französischen Konsul Thainville unterzeichnet wurde. Am 30. September schloß man dann einen »Vorfriedensvertrag«, und Dey Mustafâ schrieb an Bonaparte, er erkenne ihn als rechtmäßigen Herrscher über Frankreich und als Konsul an.

Die erneute Einigung zwischen der Regentschaft Algier und Frankreich brachte nun wieder Großbritannien und das Osmanische Reich auf den Plan, denen die Einigung Algier mit Frankreich natürlich nicht gelegen kam. Beide Mächte übten also Druck auf den Dey aus, damit dieser sich wieder von Frankreich abwende. Die britische Regierung trat mit dem Sultan in Istanbul in Kontakt und forderte ihn auf, gegenüber der Regentschaft energisch zu agieren und den Dey zur Raison zu rufen. Dieses konzertierte Bedrohungsszenario, das bis in das Jahr 1801 hinein andauerte, führte schließlich dazu, daß der Dey dem osmanisch-britischen Druck wieder nachgab und seine Haltung gegenüber Frankreich erneut revidierte.

In dieser brenzligen Lage im Herbst 1800 – als der Dey sich wieder mit Frankreich verbündet hatte und Großbritannien sowie das Osmanische Reich begonnen hatten, in Algier gegen Frankreich zu agitieren – wurden die USA mehr oder weniger zufällig in diese explosive Situation hineingezogen. Dabei kam es zu einem recht kuriosen Vorfall, in dessen Verlauf sich der Dey die außenpolitische Unbedarftheit der Vereinigten Staaten zunutze machte. Im September 1800 war nämlich die Fregatte George Washington unter Kapitän William Bainbridge nach Algier gekommen, um dort den fälligen Tribut zu übergeben. Die nötigen Geschäfte wurden abgewickelt, bis im Oktober der Dey vom amerikanischen Konsul O’Brien verlangte, man müsse ihm die Fregatte für eine Mission nach Istanbul zur Verfügung stellen. Hintergrund war eben der osmanisch-britische Druck auf die Regentschaft Algier, der seit Abschluß des Vorfriedens mit Frankreich wieder zugenommen hatte – und der Sultan und Großbritannien standen mit Frankreich ja im Krieg.

Um sich der Gunst des Sultans zu versichern und drohende Strafmaßnahmen abzuwenden, gedachte der Dey ihm Geschenke zu übersenden. Für die amerikanische Seite war dieses Anliegen problematisch, hatte man doch keinerlei Beziehungen mit dem Osmanischen Reich und in Istanbul weder einen Konsul noch einen Ansprechpartner. Und obwohl der Dey die erwünschte Mission als eine besondere Ehre für die Vereinigten Staaten darstellte, die in vorangegangenen Jahren England oder Spanien zugefallen sei, waren die Amerikaner wenig geschmeichelt. Konsul O’Brien und Kapitän Bainbridge versuchten mit allerlei Argumenten, sich aus der Affäre zu ziehen: Man habe keine Verträge mit Portugal, den italienischen Staaten oder dem Osmanischen Reich, weshalb die zu befahrenden Gewässer unsicher seien; man kenne die Gewässer nicht usw. Zunächst konnten sie den Dey tatsächlich davon überzeugen, daß er seine Mission lieber mit einem britischen Schiff abwickeln solle. Die Briten, denen ja daran gelegen war, daß der Dey sich möglichst rasch wieder auf die Seite des Osmanischen Reichs schlage, entsandten ein Kriegsschiff, doch der Dey änderte erneut seine Meinung und bestand wieder auf dem amerikanischen Schiff. Die Amerikaner waren aber immer noch unwillig, im Auftrag des Deys nach Istanbul zu segeln.

Der Dey war jedoch nicht umzustimmen und drohte nun damit, die George Washington beschießen, die Besatzung gefangennehmen und alle amerikanischen Handelsschiffe aufbringen zu lassen, wenn die Mission nicht durchgeführt werde; auch würde er den USA den Krieg erklären. Die Amerikaner gaben nach. Kapitän Bainbridge sollte später sagen, er habe es vorgezogen einzulenken, statt den Ausbruch eines Krieges zu riskieren. Und so segelte dann im Oktober 1800 eine US-amerikanische Fregatte unter algerischer »Piratenflagge« nach Istanbul ...

FORTSETZUNG FOLGT
(Die vollständigen Literaturangaben wird der vierte und letzte Teil enthalten)