23.01.2011

Gold im Ärmel: Gier und Moral eines Autokraten, Tunesien Anno Dazumal


Von Marco Schöller

Golddinar, geprägt unter Ziyâdat-Allâh
Über die Cliquenwirtschaft des Ben-Ali-Regimes ist die westliche Öffentlichkeit in den letzten Tagen ausführlich unterrichtet worden. Mit der Ausbeutung des Landes zur persönlichen Bereicherung verbindet man inzwischen v.a. den Namen von Laila Trabelsi, der Gattin des gestürzten tunesischen Präsidenten. Ob sie tatsächlich nicht weniger als 1,5 Tonnen Gold außer Landes brachte, scheint kaum glaubhaft und wurde von der tunesischen Staatsbank bereits dementiert; vermutlich wird es wahr sein. Ob sie kurz vor ihrem Abflug sagte: »Packt erst das Gold ein und hängt dann alle auf!« ist nicht zu klären. Die BILD-Zeitung taufte sie »die gierige Leila«, in ausländischen Medien wurde sie als »Imelda Marcos von Tunis« betitelt.



Mit ihrer Gier nach Gold und ihrem skrupellosen Vorgehen, sich dieses zu verschaffen, steht Frau Trabelsi in einer unseligen Tradition. Auch in Tunesien. Der arabische Chronist Abu l-Arab, dessen Schriften im wesentlichen die Region "Ifriqiya" behandeln, also in etwa das Staatsgebiet des heutigen Tunesiens, berichtet uns eine Episode aus der Herrschaftszeit von Ziyâdat-Allâh ibn Ibrâhîm (reg. 817–838). Dieser gehörte der Dynastie der Aghlabiden an, die sich um 799/800 von der Kontrolle der abbasidischen Kalifen (die in Bagdad residierten) unabhängig gemacht und eine lokale Herrschaft begründet hatten. Tunis existierte in jener Zeit bereits, aber die Aghlabiden hatten ihren Sitz in Kairouan, der ersten muslimischen Stadt im östlichen Nordafrika.

Eines Tages nun ließ der besagte Ziyâdat-Allâh die vornehmsten Juristen und Richter, also die wichtigsten Vertreter der Staatsbürokratie, zu sich vorladen. Als schließlich alle beisammen saßen, ließ Ziyâdat-Allâh einen Krug bringen, der mit Münzen und wertvollen Gegenständen angefüllt war. Er leerte ihn vor sich aus, und Golddinare, Arm- und Fußschmuck, Halsketten und anderes mehr kamen zum Vorschein. Wie Abu l-Arab mitteilt, stammten das Geld und die Wertgegenstände aus Orten im Süden Tunesiens, wo sie von den Schergen des Herrschers als Steuern eingetrieben oder auch konfisziert worden waren. Als Ziyâdat-Allâh den Krug leerte, soll er frohlockt haben: »Bei Gott, seht nur! Und sie haben das alles nicht freiwillig herausgerückt!« Dann begann der Herrscher, die Objekte an die Anwesenden zu verteilen, und alle ließen sich von Ziyâdat-Allâh eine Handvoll in den Ärmel stecken. Als die Reihe an Abû Yahyâ Ibn al-Hakam kam, sprach dieser zu Ziyâdat-Allâh: »Du hast uns doch gesagt, das alles sei dir nicht freiwillig gegeben worden. Wie also könnten wir es dann annehmen?« Dann wandte sich um und ging davon. Ziyâdat-Allâh rief ihm nach: »Was bist du doch für ein edler Mensch, O Ibn al-Hakam!«

Damit endet – reichlich abrupt, wenn auch nicht ohne »Moral« – die Geschichte. Offenbar war Ziyâdat-Allâh nicht weiter zu beeindrucken und entließ den kritischen Beamten mit einer zynischen Bemerkung. Der Herrscher machte damit seine bewußte und fast trotzige Nichtbeachtung der herrschenden Moral deutlich: Zwar wußte er, wie sich ein »edler Mensch« verhalten sollte, aber er scherte sich nicht darum. Immerhin ließ er es geschehen, daß man ihm das vorhielt. Die Herrscher in vormodernen Zeiten zogen es nämlich meist vor, zumindest im islamischen Kulturraum, »Kritiker« und »Oppositionelle« gewähren zu lassen, in der berechtigten Hoffnung, ihnen dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie gewissermaßen ins Leere laufen zu lassen. Und in vielen Fällen hat das funktioniert. Es waren doch andere Zeiten.

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