17.12.2011

Das ägyptische Volk braucht keine Zugeständnisse

Von Daniel Roters

Politische Straßenkunst in der Muhammad Mahmoud Straße
in Kairo, die Botschaft deutlich. (Foto: Muhammad Moneib)
Die Zelte auf dem Tahrir-Platz brennen nieder. Menschen werden eingekesselt. Einzelne werden von Dutzenden von Soldaten niedergeschlagen und verprügelt.

Für den amtierenden und vom Militärrat eingesetzten Premierminister Kamal Al Ganzouri zeigen die Bilder dieses Wochenendes ein "Gegenangriff auf die Revolution des 25. Januars". In seiner Rede am Samstag Mittag (17.12.2011) mahnte er die Jugend, die Revolution nicht zu gefährden. Er sprach von der ökonomischen Krise durch die Verunsicherung ausländischer Investoren, über das Haushaltsdefizit und bekräftigte, dass keine Gewalt gegen Demonstranten eingesetzt werden würde. Bei den Ausschreitungen am Freitag sind mindestens 8 Menschen gestorben und mehrere hundert Menschen verletzt worden. Über die Toten und Verletzten kein Wort. Keine Worte der Beruhigung und keine Worte zur Deeskalation.

Al Ganzouri sprach während der heutigen Pressekonferenz nicht über die Gründe der erneuten Proteste. Die sogenannte "Occupy Cabinet" Bewegung hatte seit zwei Wochen vor dem Regierungssitz des amtierenden Kabinetts unter Kamal Al Ganzouri kampiert. Sie fordern eine zivile, souveräne Regierung und den Rücktritt von Al Ganzouri, der das Amt des Premierministers bereits unter Hosni Mubarak von Januar 1996 bis zum Oktober 1999 ausführte. Auch der amtierende Innenminister Mohamed Ibrahim steht unter massivem Druck.

Ibrahim hatte unter anderem eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sudanesischen Flüchtlingen gefahren, die gegen Willkür der ägyptischen Asylpolitik demonstriert hatten. Im Dezember 2005 ließ der damalige Polizeichef des Giza-Bezirks Ibrahim ein Protestlager im Stadtteil Mohandiseen räumen. Durch den Angriff der bewaffneten Bereitschaftspolizei kam es zu einer Massenpankik unter den Flüchtlingen. Mindestens 10 von ihnen starben. Dies alles geschah in Sichtweite des Büros der Vereinten Nationen in Ägypten.

Al Ganzouri handelt unverantwortlich. Er kriminalisiert die Forderung der Demonstranten und pflegt weiterhin die paternalistische Rhetorik eines Hosni Mubarak oder eines Omar Suleiman, der im Frühjahr 2011 die Jugend gebeten hatte, sich doch ein wenig zu beruhigen.

Sollte Al Ganzouri keiner handlungsfähigen Regierung vorstehen, dann wären deutliche Worte angebracht. Wie stark und eigenständig die handelnden Akteure in Ägypten sind, wird nicht oder nur unzureichend diskutiert.

Al Ganzouri musste als Premierminister für die Demonstranten als Option indiskutabel sein. Sein Vorgänger Essam Sharaf war der Protestbewegung genehmer. Er hatte frühzeitig deutlich gemacht, dass er die Forderungen der Bewegung unterstützte. Doch sein Rücktritt im vergangenen Monat muss als Zeichen gewertet werden, dass die militärischen Führer des Landes nicht bereit sind, das Feld zu räumen.

Die Medienberichterstattung hat die stattfindenden Wahlen in Ägypten oft als eine Art Zugeständnis des Militärrats an das ägyptische Volk gewertet. Der Wahlprozess in mehreren Phasen wurde von offizieller Seite unter anderem damit begründet, dass Wahlfälschungen minimiert werden sollten. Dies schien Beobachtern plausibel und die Kritik hielt sich in Grenzen. Es scheint so, als wollte man unbedingt glauben, dass ausgerechnet das ägyptische Militär bereit sei, die Macht auf eine autonome zivile Regierung zu übertragen.

Während nun also bis in das Frühjahr hinein gewählt wird, sehen wir nun ein Theater, welches vor unseren Augen aufgebaut wird. Auf dem Rücken der Toten und Geprügelten soll vermittelt werden, dass Ägypten nicht bereit sei für eine demokratisch gewählte Regierung.

Die Bider sprechen für sich. Wir erinnern uns an Menschenschlangen vor den Wahllokalen, Diskussionen über Kandidaten und Programme.

Die Bilder dieses Wochenendes müssen nicht kommentiert werden.

Die Wahlen werden unter Umständen ins Leere laufen und dies nicht, weil die Ägypter und ihre politischen Vertreter nicht bereit sind, sich selbst zu regieren, sondern weil die militärischen Führer des Landes dies unter allen Umständen verhindern wollen.

Dies war 1952 der Fall und auch 2012 wird dies der Fall sein. Das ägyptische Militär wird das Land führen und die Revolution und deren Opfer für sich vereinnahmen.

"Zugeständnisse" seitens des Militärs sind keine Wohltätigkeiten. Sie sind ein Kauf von Zeit. Von Zugeständnissen zu schreiben und zu sprechen ist ein Hohn angesichts der massiven Verletzungen von Menschenrechten.

10.12.2011

Rezension: Karim El-Gawhary - Tagebuch der arabischen Revolution

 Von Daniel Roters

Kein anderer deutschsprachiger Journalist nutzt die neuen Medien so intensiv wie Karim El-Gawhary, Leiter des ORF-Büros in Kairo. Mit seinem neuen Buch "Tagebuch der arabischen Revolution" beweist er, dass er ein Näschen hat für innovativen, spannenden und trotzdem unaufgeregten Journalismus.

El-Gawhary begann sich ein halbes Jahr vor den Ereignissen des Frühlings 2011 mit Facebook und Twitter zu beschäftigen. Auch ein Weblog mit dem Titel Arabesken berichtete fortan aus der Region. Nur wenige nahmen ein leises Brummen, ein sonores Grummeln in Tunesien oder Ägypten wahr. Zum Glück war auch Karim El-Gawhary einer von ihnen. Dank seines Internet-Journalismus liegt uns nun mit "Tagebuch der arabischen Revolution" ein Zeitdokument vor.

Texte aus seinem Blog, Statusmeldungen aus dem Facebook und sogar Transkiptionen von Live-Schaltungen des ORF zu Karim El-Gawhary packen mich. Ich fühle mich als erlebte ich alles noch einmal. Die Tage der Anspannung, der Traurigkeit, der Sorge um meine lieben Freunde in Kairo. Ich habe tatsächlich während des Lesens  den Eindruck, ich sei in Tunesien, in Libyen und in Ägypten gleichzeitig. Jede Seite ist ein Abbild der Ereignisse aus dem Frühjahr, ein Art gedruckte Zeitmaschine auf 237 Seiten.

Und es ist authentisch: Im Gegensatz zu anderen Journalisten hat El-Gawhary nicht nur ein paar laue Sommernächte in Kairo oder Bengasi verbracht, um dann ins ein Flugzeug zu steigen und gen Westen zu fliegen. Er war vor Ort, bei den Menschen und ihren Geschichten.

Spannend, journalistisch präzise und vor allem herrlich unaufgeregt ist El-Gawharys Journalismus. Zwischen zwei Buchdeckeln findet der Leser die Essenz aus mehreren Monaten, in denen die Welt den Atem anhielt und in Richtung arabischer Welt blickte. Nach der Lektüre weiß der Leser dann auch, warum El-Gawharys Artikel nicht nur informieren, sondern mitreißen: Sein Texte sind aber nicht nur gründlich und präzise recherchiert, sondern auch persönlich - ohne dem Leser unangenehm aufzufallen. Gefällt mir!

Tagebuch der arabischen Revolution von Karim El-Gawhary, erschienen bei Kremayer & Scheriau (Wien) im September 2011