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Carlos Latuff |
Von Kristin Jankowski und Daniel Roters
"Wer einmal das Wasser des Nils getrunken hat, muss den Nil wiedersehen", sagt man in Ägypten gerne. Bereits vor der Revolution haben viele ägyptische Aktivisten Solidarität von Ausländern erfahren, noch bevor die Zensur, noch bevor die Staatsmacht überhaupt ahnte, dass jemals eine Demokratiebewegung in Ägypten die Massen für sich einnehmen konnte.
Bereits im Vorfeld des Volksaufstandes tauchten an wenigen Stellen in Kairo hier und dort Plakate, Karrikaturen und Grafitis auf, die abseits der Medienzensur den Wunsch nach Partizipation nach 30 Jahren der Mubarak-Herrschaft ausdrückten.
Eine Zeichnung in einer Ausgabe von 1878, die einen Europäer gedemütigten Felachen zeigt. |
Was würde der wohl erste arabischsprachige Cartoonist und Karikaturist James Sanua (1839-1912) zu seinen geistigen Nachfahren sagen, die auf seinen Spuren wandeln? In jedem Fall gingen die Aktivisten in Kairo und anderen Städten Ägyptens neue Wege und nutzten moderne Kommunikationstechnologie, um dem Protest gegen das ägyptische Regime durch Texte und Bilder Ausdruck zu verleihen.
James Sanuas Zeitschrift Abu Naddara (Der Mann mit der Brille) erschien ab 1877 und kommentierte auf satirische Art und Weise das politische Tagesgeschehen in Ägypten. Khedive Ismail war nicht amüsiert über die in Satire verpackte Kritik an seiner Finanzpolitik, die Ägypten mehr und mehr in die Arme der Europäer trieb. Schließlich ließ Ismail die Zeitschrift verbieten und Sanua musste ins Exil nach Paris gehen. Dort führte er seine Zeitschrift nun zweisprachig fort. In französischer und arabischer Stimmung machte er satirisch Stimmung gegen die Engländer, die Ägypten zu einer Kolonie der informellen Herrschaft degradiert hatten.
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Nach der Revolution ist vor der Revolution. Der General kann nicht schlafen, weil das Volk "Demokratie!" ruft. |
Kristin Jankowski sprach mit dem brazilianischen Cartoonisten Carlos Latuff, der mit seinen politischen Cartoons während des ägyptischen Volksaufstandes für Aufmerksamkeit sorgte.
Vor ein paar Tagen bin ich am Tahrir-Platz vorbeigegangen und habe dort einen Demonstranten gesehen, der mit einem breiten Lächeln einen deiner Cartoons in den Händen hielt. Deine Kunst wurde Teil der Aufstände. Denkst du, dass Kunst Menschen befreien kann?
Carlos Latuff: Nur die Menschen können Menschen befreien. Kunst wird ihnen als Werkzeug dienen. Ein Revolutionär kann alle möglichen verfügbaren Werkzeuge nutzen, angefangen bei einem Mobiltelefon bis hin zu einer Waffe. Kunst ist eines dieser Werkzeuge.
Du lebst zur Zeit in Rio de Janeiro in Brasilien, ziemlich weit entfernt von Ägypten. Warum ist es wichtig für dich, die jetzige politische Situation in Ägypten zu dokumentieren? Warum setzt du dich so ein?
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Eine Ägypterin auf dem Weg zu einer Demonstration. Auf dem Rücken prangt ein Twitter-Hashtag "#July8", dem Tag der Demonstrationen zum "Schutze der Revolution". |
Wie verändern die derzeitigen Ereignisse in Ägypten dein Leben?
Carlos Latuff: Ich neige dazu mich Bewegungen zugehörig zu fühlen, an deren Ziele ich glaube. Es wird dann sehr persönlich...
Die Ägypter fordern Demokratie und Freiheit ein. Die Armee ist immernoch and der Macht. Was denkst du sind die Erfolge der Aufstände bis jetzt?
Carlos Latuff: Ich glaube, dass die Ägypter auf den Straßen bleiben werden. Ich bin sicher, dass es nicht ihr Ziel war Mubaraks Diktatur mit einer Militärdiktatur zu ersetzen. Märtyrer starben nicht umsonst. Die Ägypter werden ringen bis eein demokratisches System herrscht.
Du hast innerhalb einer kurzen Zeit Berühmtheit in Ägyptene erlangt. Menschen teilen deine Cartoons auf Facebook und tragen sie auf Demonstrationen mit sich. Was ist deine Botschaft an die Ägypter, die mitmachen bei diesem Kampf gegen das System?
Carlos Latuff: Meine Cartoons sind meine persönliche Art und Weise meine Solidarität mit den Ägyptern auszudrücken. Es ist meine Art zu sagen: "Ich bin bei euch, mit Herz und Seele".
Du hast eine Serie von Cartoons gezeichnet, die internationale Politiker als Monster darstellen. Wer ist das Monster hier in Ägypten? Was meinst du?
Carlos Latuff: Da gibt es viele. Mubarak zu stürzen hieß nicht, dass es gelungen sei, Ägypten von Schmutz der widerlichen korrupten Charaktere zu befreien.
Einige Leute - insbesondere die Linken - sagen, dass der weltweite Widerstand gegen das globale System des Kapitalismus und der Ungerechtigkeit gerade begonnen habe. Denkst du auch so?
Carlos Latuff: Inshallah!
Künstler sind meist Träumer, Menschen voller Fantasie. Manchmal ist deren Kunst eine Art und Weise die Grausamkeit der Welt zu verarbeiten. Wovon träumst du?
Carlos Latuff: Ich versuche meine Kunst nicht in den Dienst meiner eigenenTräume zu stellen, sondern in den Dienst der Träume anderer. Ich habe keine Träume mehr.
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Am 23. Juli, dem Tag der Feiern zur ägyptischen Revolution von 1952, wurden Demonstranten, die gegen die Militärrgierung demonstrierten in Abbasiya/Heloopolis anegriffen. |
Carlos Latuff: Nicht in der nächsten Zeit. Der ägyptischer Militärrat (SCAF) würde mich sofort am Flughafen verhaften lassen.
Das Interview mit Carlos Latuff erschien zuerst auf "Transit", dem Li-lak Blog des Goethe Instituts in Kairo und wurde hier ins Deutsche übersetzt.