28.02.2011

Wie die USA zum ersten Mal offizielle Kontakte mit islamischen Potentaten knüpften / 4

Eine denkwürdige Geschichte in mehreren Episoden – Vierter und letzter Teil

Ein historischer Essay von Marco Schöller


Man wird sich erinnern: Um sich der Gunst des osmanischen Sultans zu versichern und drohende Strafmaßnahmen abzuwenden, weil er sich gegen die Interessen der Osmanen mit Frankreich verbündet hatte, plante der Dey von Algier, Mustafâ, im Herbst des Jahres 1800 dem Sultan Geschenke zu übersenden. Weil der Dey dazu kein ausreichend großes oder genügend bewaffnetes Schiff zur Verfügung hatte, hielt er sich an die Amerikaner, die mit der großen Fregatte »George Washington« in Algier eingelaufen waren, und beauftragte sie, die Geschenke nach Istanbul zu bringen. Die US-Vertreter O’Brien und Bainbridge versuchten, den Dey von dieser Idee abzubringen, doch ohne Erfolg. Und so segelte dann im Oktober 1800 eine US-amerikanische Fregatte unter algerischer »Piratenflagge« nach Istanbul ...

VII
Die George Washington machte sich, nachdem sie vom Dey gewissermaßen »gekapert« worden war, am 19. Oktober 1800 auf den Weg von Algier nach Istanbul. An der Spitze des mittleren Hauptmastes – dem höchsten Punkt in der Takelage eines Dreimasters – mußten die Amerikaner die algerische Flagge aufziehen. Diese soll angeblich den Kopf 'Alîs samt Turban gezeigt haben, aber sicher ist das nicht; tatsächlich kennen wir die Flagge des Deys nicht. Was das Aufziehen der Flagge betrifft muß man wissen, daß unter den Seeleuten das Fahren unter fremder Flagge als größtmögliche Schande angesehen wurde. Vor der Abfahrt hatte deshalb O’Brien mit dem Dey erfolglos diskutiert, ob man die Flagge nicht am Vormast hissen könne. Dies hätte signalisiert, daß das Schiff unter einer anderen als der eigentlichen Flagge fuhr, denn auch gekaperte Schiffe beflaggte man am Vormast: So wäre deutlich gewesen, daß das Schiff per force, wie sich O’Brien ausdrückte, und nicht unter der eigenen, sondern unter anderer Flagge unterwegs war. Die Flagge am Hauptmast wies hingegen das Schiff als »Flaggschiff« aus, wie es eigentlich nur dem kommandierenden Offizier oder einem Admiral zustand. Aber der Dey ließ sich nicht umstimmen, und so wurde die Flagge am Hauptmast aufgezogen. Doch kaum hatte man die Hafenbucht von Algier verlassen, soll Bainbridge die Flagge wieder eingeholt haben, als man außer Sichtweite war.

An Malta vorbei segelte man in Richtung Bosporus, und die Seereise wurde weniger wegen der herbstlichen Witterung, sondern vor allem wegen der Überfüllung des Schiffes ein Albtraum. An Bord befanden sich nämlich, neben der regulären Besatzung von 131 Mann, der algerische Botschafter und dessen Begleitung von 100 Personen, 100 schwarze Frauen und deren Kinder, vier Pferde, 151 Schafe, 25 Rinder, jeweils vier Löwen, Tiger (!) und Antilopen, zwölf Papageien und Geschenke im Wert von über $1.000.000. Wenn es sich während der dreiwöchigen Reise ergab, daß das Schiff im Zickzack gegen den Wind kreuzen mußte, dann postierte sich zur Gebetszeit einer der Muslime am Schiffskompass und dirigierte von dort aus die Betenden, welche Richtung nach Mekka sie einzunehmen hatten. Am 9. November lief das Schiff in der Meerenge vor Istanbul ein.

Bainbridge und die Amerikaner waren sich nicht sicher, wie sie in Istanbul empfangen werden würden. Immerhin kam es auf diese Weise zum ersten Kontakt zwischen den Vereinigten Staaten und dem Osmanischen Reich, der halbwegs offiziell war. Die Fregatte lag unter amerikanischer Flagge vor Istanbul, und der Empfang war, was die Amerikaner betraf, herzlich. Obwohl der türkische Offizier, der an Bord kam, noch nie von einer Nation namens United States gehört hatte, brachte er als Friedensgruß ein Lamm und einen Blumenstrauß als Willkommensgeschenk. Es wird auch berichtet, daß der Sultan von seinem Palast aus die besternte amerikanische Flagge sah und daraus schloß, daß diese United States ähnliche Sitten und Gesetze hätten wie die Türken, die ja auch einen Stern auf ihrer Fahne trugen.

Vor Ort ergaben sich dann kleinere Zwischenfälle und Mißverständnisse, die aber mit Hilfe des britischen Konsuls, Lord Elgin, schnell geklärt werden konnten. Alles in allem war der Aufenthalt der Amerikaner in Istanbul ein voller Erfolg, denn man schloß zahlreiche Bekanntschaften. Bekannt wurden die Amerikaner unter anderem mit einem deutschen Grafen, der die Gärten des Sultans betreute, und mit dem englischen Orientreisenden Edward Daniel Clarke. (Clarke berichtet über die Ankunft des amerikanischen Schiffes und die weiteren Ereignisse im dritten Band seiner Reiseschilderungen: Travels in Various Countries of Europe, Asia and Africa … Fourth Edition, Bd. III, S. 77-79.) Für die Zukunft vereinbarte man einen Austausch von Diplomaten zwischen den USA und dem Osmanischen Reich, und fürs erste erhielten die Amerikaner türkische Schutzpässe für ihre weiteren Fahrten.

Der Empfang für den Botschafter des Deys war hingegen frostig. Dieser selbst wie auch die 100 auf der George Washington angereisten Türken wurden in Geiselhaft genommen und bis auf weiteres interniert; ob das auf Betreiben der Briten geschah, wie mancherorts behauptet wird, ist nicht gesichert, aber wahrscheinlich. Aber auch der Sultan hatte gute Gründe, auf den Dey in Algier nicht gut zu sprechen zu sein, denn er verübelte seinem Vasallen in Algier die zu nachgiebige Haltung gegenüber Frankreich. Der Großadmiral der osmanischen Marine spuckte auf das Schreiben des Deys, das ihm übergeben worden war, und trampelte dann darauf herum – nach anderen Berichten habe der Sultan selbst so gehandelt, was aber wenig glaubhaft ist. Als konkrete Maßnahme verfügte der Sultan jedenfalls, der Dey müsse Frankreich umgehend den Krieg erklären und außerdem eine neue »Reparationszahlung« von einer Million Piaster zahlen, die innerhalb von 60 Tagen in Istanbul abzuliefern war. Die algerischen Geschenke hatten also nichts auszurichten vermocht, und der Dey war in einer schwierigen Lage, als die George Washington am 21. Januar 1801 wieder in der Bucht von Algier ankerte.

VIII
Ganz offensichtlich mußte nun der Dey, wollte er sich dem Willen des Sultans unterwerfen und die geforderte Summe nach Istanbul überstellen, ein weiteres Mal die Dienste des amerikanischen Schiffes in Anspruch nehmen. Das aber hatte auch Kapitän Bainbridge geahnt, der deshalb nicht an der Mole, sondern in der Bucht außerhalb der Reichweite der Hafenbatterien Anker geworfen hatte. Die Forderung des Deys, er müsse in seinem Auftrag ein zweites Mal nach Istanbul segeln, lehnte er kategorisch ab. Diesmal aber gab der Dey nach und garantierte der Fregatte ein sicheres Einlaufen in den Hafen von Algier. Bei einer Audienz mit dem Dey, die zuerst stürmisch verlief, präsentierte Bainbridge den türkischen Schutzbrief und rettete auf diese Weise die Situation und sich selbst. Am nächsten Tag, dem 24. Januar 1801, erklärte der Dey Frankreich, zum zweiten Mal nach 1799, den Krieg.

Der Dey, der in seiner Haltung gegenüber Frankreich nun schon seit mehreren Jahren hin und her changierte, hatte nun wieder dem osmanisch-britischen Druck nachgegeben. Nach der Kriegserklärung an Frankreich gab er 400 venezianische, maltesische und sizilianische Gefangene frei, die verschleppt worden waren und zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme britische Schutzbriefe besaßen. Alle Franzosen, einschließlich des Commissaire général Thainville, ließ er in Ketten legen, und nur die Fürsprache der Amerikaner Bainbridge und O’Brien konnte erreichen, daß der Dey seine Meinung änderte und den Franzosen befahl, die Regentschaft innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Thainville wurde ausgewiesen, wie von Großbritannien bereits im August 1800 gefordert worden war, und schiffte sich am 30. Januar in Begleitung von etwa 60 Landsleuten nach Alicante ein, wohin sie von der amerikanischen Fregatte George Washington gebracht wurden.

So endete der erste Kontakt der USA mit dem Dey in Algier und dem Osmanischen Reich. Aus der Rückschau erscheint es kurios, daß die USA in die meisten Ereignisse ungewollt hineingezogen wurden – und schon gar nicht einen diplomatischen Kontakt mit dem Osmanischen Reich herstellen wollten. Aber die USA bekamen im Mittelmeer keine Atempause, denn schon im Frühjahr 1801 kam es zum ersten »offiziellen« Krieg zwischen einer islamischen Macht und den USA: Nach einem Streit über die Höhe des jährlichen Tributs, den die Vereinigten Staaten an Tripoli zu zahlen hatten, erklärte der dortige Bey im März 1801 den USA den Krieg. Es dauerte aber noch einige Zeit, bis sich die Amerikaner in ihre Rolle als kriegführende Macht im Mittelmeer mit etwas Selbstbewußtsein einfanden. Zunächst sah man sich immer noch als eine »schwache Macht«, die kaum in der Lage sei, sich gegen Algier (und nicht zuletzt auch gegen die anderen europäischen Mächte, die dort tätig waren) zur Wehr zu setzen. In diesem Sinn schrieb der amerikanische Konsul O’Brien am 7. Februar 1801 nach Lissabon:
»Es fröstelt mich aus Angst um unsere wertvollen Schiffe und Bürger in diesem Meer. Wir sind mit unserem Tribut in Verzug, haben kein Geld und keine Korsaren, und werden von allen Aasgeiern bedroht. Algier, ein Piratenstaat, sucht Beschäftigung für seine Korsaren (…), und wir werden die Opfer sein« (State Papers and Publick Documents of the United States IV, S. 362.)
Und als man sich dann ab Frühsommer 1801 mit der Regentschaft Tripoli im Krieg befand, der den Einsatz aller verfügbaren Kräfte der USA erforderte, wurde man umso vorsichtiger. Im Mai 1801 wies man deshalb Konsul O’Brien an, er möge alles tun, um einen Bruch mit dem Dey zu vermeiden, weil man angesichts des Konflikts mit Tripoli keinen Nebenkriegsschauplatz gebrauchen konnte. Mit dem Dey von Algier galt es also, weiterhin in Einvernehmen zu bleiben. So führten die USA ab 1801 ihren ersten Krieg gegen eine islamische Macht, den Dey in Tripoli. Das gehört nicht mehr zu unserer Geschichte. Aber sich daran zu erinnern muß in unseren Tagen, da Libyens Hauptstadt wieder von blutiger Gewalt heimgesucht wird, besonders traurig stimmen.

ENDE


Literatur

  • Allen, Gardner W.: Our Navy and the Barbary Corsairs, Boston – New York 1905.
  • Barnby, H.G.: The Prisoners of Algiers. An Account of the Forgotten American-Algerian War, 1785–1797, London – New York 1966.
  • Bevans, Charles (Hg.): Treaties and Other International Agreements of the United States of America, 1776-1949. Vol. 5: Afghanistan – Burma, Washington 1970.
  • ––––– (Hg.): Treaties and Other International Agreements of the United States of America, 1776-1949. Vol. 9: Iraq – Muscat, Washington 1972.
  • Clarke, Edward Daniel: Travels in Various Countries of Europe, Asia and Africa … Fourth Edition, Band III, London 1817.
  • Lambert, Frank: The Barbary Wars. American Independence in the Atlantic World, New York 2005.
  • Lane-Poole, Stanley: The Barbary Corsairs. Fourth Edition, London 1890.
  • The Life of the Late Gen. William Eaton; Several Years an Officer in the United States’ Army, Consul at the Regency of Tunis on the Coast of Barbary (…). Principally Collected from his Correspondence and Other Manuscripts, Brookfield 1813.
  • Plantet, Eugène: Correspondance des Deys d’Alger avec la Cour de France 1579–1833, recueillie dans les dépôts d’archives des Affaires Étrangères, de la Marine, des Colonies et de la Chambre de Commerce de Marseille (…), 2 Bände, Paris 1889 .
  • A Short History of Algiers, with a Concise View of the Origin of the Rupture between Algiers and the United States (…). Third Edition, Improved, New York 1805.
  • State Papers and Publick Documents of the United States, from the Accession of George Washington to the Presidency, Exhibiting a Complete View of Our Foreign Relations since that Time. Third Edition, 12 Bände, Boston 1819.
  • Stevens, James Wilson: An Historical and Geographical Account of Algiers; Comprehending a Novel and Interesting Detail of Events Relative to the American Captives, Philadelphia 1797.
  • Underhill, Updike: The Algerine Captive; or, the Life and Adventures of Doctor Updike Underhill, Six Years A Prisoner among the Algerines. Two Volumes in One, Hartford 1816.
  • Upham, Charles W.: The Life of Timothy Pickering, Band III, Boston 1873.
  • Winik, Jay: The Great Upheaval. America and the Birth of the Modern World, 1788‒1800, London ‒ New York 2008.

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