05.07.2011

Frühling in Syrien (Folge 2)

Folge 2 einer Serie über den arabischen Frühling in Syrien. Frau Manstetten ist Studentin an unserem Institut. 
Von Paula Manstetten

Seit nunmehr über 100 Tagen ist Syrien von Unruhen erschüttert, von einer Revolte, von der derzeit wohl niemand mehr so recht glaubt, dass sie noch ein „gutes“ Ende nehmen könnte. Anlass zur Hoffnung gab, dass  am vergangenen Montag erstmals eine von der syrischen Regierung genehmigte Zusammenkunft von über hundert Oppositionellen in einem Damaszener Hotel stattfand (siehe http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/06/20116283558545951.html und http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/offene-debatte-im-hotel/). Doch einmal mehr haben dieses Treffen, die Reaktionen der Medien und die der oppositionellen Gruppierungen gezeigt, wie komplex und unübersichtlich die Lage in Syrien ist. Zeigt die Tatsache, dass dieses Treffen zustande kommen konnte, dass sich die Opposition von der Regierung instrumentalisieren lässt? Oder kommt hier der Reformwille Baschar al-Assads zum Ausdruck, der sich bereit zeigt, auf die Forderungen der Opposition einzugehen? Jedenfalls gab es Proteste seitens einiger oppositioneller Gruppierungen, die zu keinem Dialog bereit sind, solange Baschar al-Assad nicht zurücktritt. Ebenfalls Proteste gab es von Unterstützern des Assad-Regimes. Die syrische Bevölkerung ist gespalten, die Opposition ist es auch.
***
An der ath-Thawra-Straße(=“Revolutions“straße) in Damaskus –
in der Mitte zu sehen ein Propagandaplakat, unterlegt mit der syrischen Fahne:
„JA zur gemeinsamen Anstrengung und Arbeit – NEIN zum Bürgerkrieg“
Während es ab Mitte März in zahlreichen syrischen Städten kleinere und größere Demonstrationen gab, die zum Teil blutig niedergeschlagen wurden und während bereits die Armee im Einsatz war, um weitere Proteste zu unterdrücken, erlebte ich Damaskus bis zum Ende meines Aufenthalts in Syrien (Ende April) als verhältnismäßig ruhig – unwirklich ruhig, könnte man vielleicht sagen. In gewisser Weise ist die Hauptstadt bis heute erstaunlich unberührt geblieben von der Art von Unruhen, die wir in den westlichen Medien zu sehen bekommen,  diese spielen sich dort in erster Linie in den Vororten oder in einzelnen Stadtvierteln ab, deren Grenzen sie nicht überschreiten. Solange ich in Damaskus war, schien die Revolte unwirklich fern, man hätte gar nicht gewusst, dass es sie gab, hätten die Medien nicht täglich die Unruhen in die Wohnzimmer  getragen, hätte sich nicht auf einmal das Straßenbild politisch aufgeladen.

Das Propagandaministerium leistete offensichtlich exzellente Arbeit, die von eifrigen regimetreuen Bürgern in Eigenregie multipliziert wurde. Der Wind der „Krise“ war in jedem Winkel von Damaskus angekommen, wenn auch auf ganz andere Art und Weise als durch Proteste: Am auffälligsten in Form von syrischen Flaggen und Portraits des Präsidenten in den Straßen, an Kreisverkehren, Bushaltestellen, in Geschäften, aufgeklebt auf Autos und Busse. Ein Großteil der normalen Werbeflächen, die sonst für Duschgels, Kaugummis und Ugarit-Cola warben, wurde nun genutzt, verschiedenste Propagandaplakate zu zeigen. Aus Musikgeschäften und Autos dröhnten nationalistische Lieder, in denen es immerzu um das geliebte Syrien und den geliebten Präsidenten ging, und im vormals als eher langweilig verschrienen Staatsfernsehen, das nun neuerdings anstelle des Senders al-Jazeera in vielen Haushalten, Geschäften, Imbissstuben oder beim Friseur lief, konnte man ebenfalls ständig Musik zur Stärkung des Nationalgefühls hören. Diese Propaganda sickerte mehr und mehr in den Alltag ein, es war unmöglich, ihr nicht ständig zu begegnen. 

„Wir sind alle mit dir“
Die Unruhen: „Eine Verschwörung aus dem Ausland“
Gleich nach meiner Heimkehr aus Latakia erlebte ich im Linienbus nach Damaskus die ersten Früchte der laufenden Propagandamaschinerie. Der Busfahrer hatte das Radio eingeschaltet, berichtet wurde von ausländischen Gruppierungen, die sich ins Land eingeschlichen hätten, um einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Das Radio sendete dann ein „Verhör“ mit einem dieser Verbrecher, doch klang es eher wie ein Interview, ein nettes Geplänkel, wenn man nur auf den Klang der Stimmen und die Sprache achtete. Inhaltlich hatte es das Gespräch in sich. Der Betreffende „gestand“, er sei aus Ägypten, sei dort an der Revolution beteiligt gewesen und nun nach Syrien gekommen, um das Land zu destabilisieren. Er habe außerdem die amerikanische Staatsbürgerschaft. Ob er schon einmal in Israel gewesen sei? „Ja, so etwa drei Mal…“. Er verkörperte insofern fast alle syrischen Feindbilder in einem – es hätte nur noch gefehlt, dass er sich als radikaler Muslimbruder ausgegeben hätte.

Obwohl Präsident Baschar al-Assad mittlerweile immer wieder erwähnt, es gebe ja durchaus Forderungen nach Reformen, die eine gewisse Legitimität hätten, werden Regierung und syrische Staatsmedien bis zum heutigen Tag nicht müde, alle Unruhen auf eine hinterhältige Verschwörung zu schieben. Die zahllosen Todesfälle, die auch die syrischen Medien nicht allesamt totschweigen können, werden zum Ergebnis der Brutalität bewaffneter Gruppen erklärt, die angeblich wahllos auf Passanten schießen und Sicherheitskräfte und Soldaten töten. Von den Protesten in vielen Städten und deren blutiger Niederschlagung berichten die Staatsmedien freilich nicht, wohl aber al-Jazeera, al- ‘Arabiyya, BBC etc., alles Sender, die man in Syrien empfangen kann und die, bevor der Arabische Frühling Syrien erreicht hatte, weit häufiger eingeschaltet wurden als die Staatsmedien.

Ich selbst amüsierte mich anfangs noch über den schier unerschöpflichen Erfindungsreichtum der Presse. Ich dachte, diese Verschwörungstheorie hätte lachhaft erscheinen müssen, weil mir der Zusammenhang zwischen der tunesischen und ägyptischen Revolutionen und dem syrischen Aufbegehren gegen die Diktatur offensichtlich erschien; weil staatliche Medien dafür bekannt sind, Propaganda zu verbreiten. Doch verging mir das Lachen bald, als ich feststellte, dass ein Großteil meiner Bekannten und Freunde genau an diese Verschwörung glaubte und mir immer wieder erklärte, man müsse nun als Nation zusammenhalten. Sie hatten dementsprechend ein ganz anderes Bild von den Geschehnissen, als wir es im Westen vermittelt bekamen. Dass Menschen, die dem Regime ohnehin kritisch gegenüber stehen, den syrischen Medien kein Wort glauben, versteht sich von selbst. Aber all die, die aus welchen Gründen auch immer auf Seiten der Regierung stehen oder neutral und unpolitisch sind, sind leicht von dieser Propaganda beeinflussbar.

Ich musste die ganze Anti-Oppositions-Propaganda nicht nur durch die Nachrichten, sondern auch aus dem Mund meiner Freunde hören – man kann sich vielleicht vorstellen, wie belastend das für mich war, hatte ich doch anfangs mit vielleicht etwas blinder Hoffnung auf die Proteste geblickt, die mit unglaublichem Mut und Zähigkeit mehr Freiheit forderten. Die Süddeutsche Zeitung schrieb einmal, die Verschwörungstheorie mit all ihren Auswüchsen würden „nur die Allerdümmsten“ glauben, auf ARTE hieß es, „das ganze syrische Volk“ lehne sich nun gegen Assad auf. Ich wünschte, es wäre so einfach, denn dann wäre die Krise in Syrien vielleicht bereits gelöst.

Wer sollten eigentlich diese Verschwörer sein? Die an sich leere Aussage „bewaffnete ausländische Gruppen“ wurde vielleicht absichtlich unbesetzt gelassen bzw. mit ganz unterschiedlichen Inhalten gefüllt, Medienpropaganda mischte sich mit Gerüchten und Halbwahrheiten. Am Werk sah man u.a. Israel, die USA (bzw. den „Westen“), den Libanon, Saudi-Arabien, Muslimbrüder und Kurden.

Israel eignet sich in Syrien natürlich bestens als Feindbild, ebenso die USA. Da passte es wunderbar, als sich herausstellte, dass die USA wohl schon seit 2006 die syrische Opposition finanziell unterstützten, wie Mitte April durch WikiLeaks öffentlich wurde (http://www.washingtonpost.com/world/us-secretly-backed-syrian-opposition-groups-cables-released-by-wikileaks-show/2011/04/14/AF1p9hwD_story.html). Diese Unterstützung wurde (irgendwie natürlich auch zu recht) als direkter Angriff auf das Regime Assads gewertet. Als Barack Obama nach dem sog. „Karfreitagsmassaker“ die Gewalt in Syrien aufs Schärfste verurteilte, sandte das syrische Fernsehen in Dauerschleife, eine offizielle Quelle habe verlauten lassen, Obamas Aussage beruhe nicht auf einer objektiven Einschätzung der Lage. Überlegungen zu Sanktionen und zur Möglichkeit eines direkten Eingreifens in Syrien waren dann Wasser auf die Mühlen der syrischen Staatsmedien, die hierin die Bestätigung für ihre These sahen, dass die USA, ja der gesamte Westen es sich zum Ziel gesetzt habe, Assad zu stürzen.

Über die Anfänge  der Unruhen in Der’a kursierte u.a. folgendes Gerücht: ein dort ansässiger Stammesverband,  der sich enger mit seinen Stammesgenossen in Saudi-Arabien verbunden fühle als mit dem Staat Syrien, sei von Saudi-Arabien aus finanziell unterstützt worden, um Unruhen in Syrien zu schüren. Syrien pflegt traditionell enge Kontakte zum schiitischen Iran und zur schiitischen Organisation Hisbollah im Libanon – was dem sunnitisch geprägten Saudi-Arabien zweifelsohne mehr als nur ein Dorn im Auge ist, diese Tatsache machte die Geschichte in den Augen vieler plausibel.

Auch den Muslimbrüdern, die in Syrien seit Jahrzehnten aufs Schärfste verfolgt werden, schob man die Schuld an den Unruhen in die Schuhe. Diese Unterstellung spielt mit den Ängsten vor der Erstarkung radikal-islamischer Kräfte, die in einem multireligiösen Land wie Syrien natürlich besonders groß sind. Man muss allerdings sagen, dass sich Muslimbrüder bzw. tendenziell mit den Muslimbrüdern sympathisierende Syrer tatsächlich vergleichsweise stark an den Protesten zu beteiligen scheinen. Das legen verschiedene Videos, Flugblätter und gelegentliche Jihad-Aufrufe nahe. Früh wurde auch bekannt, dass der Administrator einer der Facebook-Gruppen der Opposition ein Muslimbruder ist, der sich in Schweden befindet. Was auch immer das konkret bedeuten mag – solche Details sind es leider, die das Bild der Opposition unter den bisher unbeteiligten Syrer mitprägen.


Tishreen-Zeitung von 14.4., Titelblatt:
„…terroristische Geständnisse: „Wir wurden von
ausländischer Seite mit Geld und Waffen ausgestattet,
um Sabotageakte in Syrien durchzuführen.“
Um die Verschwörungstheorie zu untermauern und gleichzeitig das aktive Vorgehen der Regierung gegen diese Bedrohung unter Beweis zu stellen, publizierten Zeitungen und Fernsehen immer wieder Bilder von gefassten „Terroristen“, deren Waffen- und Geldlagern. Auf dieser Schiene konnten dann auch die zahlreichen Festnahmen von Protestierenden insbesondere in den letzten zwei Monaten erklärt werden – es handele sich schließlich um mutmaßliche Terroristen. Auch aus Der’a hieß es offiziell, die Armee habe dort Jagd auf
Terroristen gemacht.

Nun ist es tatsächlich so, dass im Laufe der Proteste auch immer wieder Angehörige des Geheimdienstes, Soldaten und Offiziere zu Tode gekommen sind. Die große Frage ist nur, wie. Wie die Opposition, die jeden ihrer Toten als „Märtyrer“ bezeichnet, nannte die Presse diese Offiziere ebenfalls „Märtyrer“: gestorben im Kampf für das Vaterland. Sie wurden feierlich beigesetzt, Bilder der Begräbnisse füllten ganze Titelseiten der Zeitungen.

“The family of the martyrs expressed pride of their sons
who sacrificed their lives for the sake of defending the
Homeland's unity and stability. The martyrs' fellow colleagues
stressed their determination to confront the terrorist groups
which attempt at sabotaging the country in order to restore
security and calm and proceed with the reform process.”

 (so auf der Seite der Syrian Arab News Agency SANA)
Kurzmeldungen über Märtyrer aus der Armee kehrten im Radio in Dauerschleifen wieder. Als Täter beschuldigt wurden neben den üblichen bewaffneten Gruppierungen auch gewalttätige Demonstranten. Die Opposition hat derweil ein ganz andere Erklärung parat, die, sollte sie stimmen, wirklich schockierend ist: Diese Soldaten hätten sich geweigert, auf Demonstranten zu schießen, und seien daher exekutiert worden. Mittlerweile geht man davon aus, dass es tiefe Zerwürfnisse innerhalb der Armee gibt, ganze Einheiten dazu bereit sind, zu desertieren, wenn sich die Möglichkeit bieten sollte.
Wir wissen aber weiterhin nichts genaues; dass vereinzelte oppositionelle Gruppierungen sich bewaffnet haben und gegen die hart durchgreifende Armee kämpfen, scheint auch nicht ausgeschlossen zu sein, obwohl das wohl eher die Ausnahme ist. Das Problem ist wirklich, dass Syrien keine ausländischen Medien in die Orte lässt, in die die Armee einmarschiert ist, um „Jagd auf Terroristen“ zu machen.  Eine unabhängige Berichterstattung ist völlig unmöglich – damit müsste die Regierung natürlich eigentlich all ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Aber sie hat auch hier eine medienwirksame Strategie gefunden: Die ausländischen Medien seien von den Verschwörern instrumentalisiert, um das Chaos im Land zu vergrößern, berichten die Staatsmedien.

Im Krieg mit al-Jazeera

Propagandaplakate gegen
Al Jazeera
Wie schon zuvor in anderen arabischen Ländern, schlug sich der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera auf die Seite der Protestierenden. Insofern war seine Berichterstattung natürlich auch nicht mehr frei und „objektiv“, sondern hatte das Ziel vor Augen, auch in diesem Land den Sturz des Regimes voranzutreiben. Pro-Assad-Demonstrationen fanden dementsprechend kaum Beachtung oder wurden als „vom Regime erzwungen“ abqualifiziert, während aus all dem Videomaterial der Opposition oft nur die drastischsten und schockierendsten Szenen ausgesucht wurden. Al-Jazeera verleiht der Opposition eine laute Stimme, das ist sicherlich zu begrüßen.  Die Frage ist nur, ob es mit dieser Strategie gelingen kann, mehr und mehr Menschen aus der syrischen Bevölkerung gegen die Regierung zu mobilisieren. Denn die Staatspresse begann bereits sehr früh mit einer regelrechten Hetzkampagne gegen al-Jazeera, die nicht wirkungslos blieb.
Neben diesen Plakaten, die gegen den Sender verbreitet wurden, wurden immer wieder Demonstrationen vor al-Jazeera-Büros organisiert. Das syrische Fernsehen war fleißig damit beschäftigt, einzelne Berichte von al-Jazeera auseinander zu nehmen und als Lügen zu „entlarven“. Es wurde dann gezeigt, wie der Sender mit Hilfe von Fotoshop Bilder und Videos fälsche, alte Videos oder Videos aus anderen Ländern als Dokumente für die Ereignisse in Syrien verwende, Fake-Interviews sende (alles Methoden, mit denen wahrscheinlich gerade die Staatsmedien schon viel Erfahrung gesammelt haben!). Von hier war es nur ein kleiner Schritt dahin, zu behaupten, al-Jazeera sei mitverantwortlich für das Chaos im Land, sei Mittäter der Verschwörung. Es kann der syrischen Opposition nur schaden, wenn dann gelegentlich herauskommt, dass einige in Umlauf gebrachte Foltervideos tatsächlich aus dem Irak stammten oder dass die engagierte Bloggerin „A gay girl in Damascus“ tatsächlich ein 40jähriger Amerikaner war, der unter einem Pseudonym schrieb (http://www.washingtonpost.com/lifestyle/style/a-gay-girl-in-damascus-comes-clean/2011/06/12/AGkyH0RH_story.html).

(Selbst-)Darstellung  Baschar al-Assads in den Medien

Eine Gruppe auf Facebook:
„Die syrische Revolution
mit Baschar al-Assad“.
Derartige Gruppierungen schreiben sich
Assads vorgeblichen Reformwillen
auf die Fahnen und sehen hierin
die „richtige“ Revolution.
Das Bild von Assad, wie es die Staatsmedien darstellen, unterscheidet sich natürlich erheblich vom Bild des „Schlächters“, der „auf Demonstranten schießen lässt“ und der „seine Bluthunde auf die Opposition loslässt“, wie es in den westlichen Medien präsent ist. In den syrischen Medien zeigt sich Assad als jemand, der stark und entschlossen gegen die Verschwörung kämpft und der „sein Volk“ bittet, ihm den Rücken zu stärken. Gleichzeitig betont er seinen Willen zu Reformen und seine Bereitschaft, gegen Korruption und Arbeitslosigkeit aktiv zu werden.


Wenn die westlichen Medien berichten, Assad lasse seine Gegner brutal niederschießen, hört man im syrischen Fernsehen, dass der Präsident selbst immer wieder ein Ende des Blutvergießens gefordert habe und erklärt habe, er verbiete den Sicherheitskräften unter allen Umständen, auf friedliche Demonstranten zu schießen. Die Armee sei dagegen eingesetzt worden, um die Bevölkerung vor den terroristischen bewaffneten Gruppierungen zu schützen.
Am 30. März hielt Assad seine erste Rede seit Beginn der Unruhen. Sie wurde live übertragen und ich sah sie zusammen mit zwei syrischen Freunden. Es  ist lohnend, sich diese Rede einmal in Ausschnitten anzusehen. (Auf YouTube: http://www.youtube.com/watch?v=LUkrS5d23JE&feature=fvst – Die komplette Rede in englischer Übersetzung ist hier nachzulesen: http://www.sana.sy/eng/21/2011/03/30/pr-339334.htm).  Gleich zu Anfang stellte sich das Gefühl eines seltsamen Kontrasts zwischen Assad und seinen Zuhörern ein. Von den anwesenden Abgeordneten standen immer wieder einzelne auf und unterbrachen ihn in seiner Rede, um in übertriebenem Pathos Lobeshymnen auf ihn und nationalistische Gedichte vorzutragen. Im Vergleich zu diesen Abgeordneten wirkte Assad verständig und bedacht, gespielt locker. Er machte Witze, lachte selbst am lautesten über sie, dann gab er „freimütig“ zu, sich mit den Reformen – an denen man ja seit Jahren arbeite – „etwas“ verspätet zu haben. Man kann es leider nicht anders sagen: Wenn man ihn so sieht, ist es schwer, sich ihn als blutrünstigen Schlächter vorzustellen (was nicht heißt, dass er nicht trotzdem einer sein könnte).

Vielmehr habe ich zunehmend den Eindruck, dass er doch weit weniger Macht hat, als man annimmt, die Fäden also – möglicherweise mit seinem Einverständnis – hinter seinem Rücken gezogen werden. Die Familienstrukturen und die Machtverteilung im  Assad-Clan dürften recht kompliziert sein. Die Tatsache, dass Assad vielleicht ein Schwächling ist, spricht ihn aber von keiner Verantwortung frei – er ist und bleibt das Sinnbild dieser Diktatur. Am Abend nach der Fernsehansprache war auf al-Jazeera und in den meisten westlichen Medien zu lesen, das syrische Volk sei enttäuscht von dieser Rede, da Assad nur wage Versprechungen gemacht habe und zudem angekündigt habe, hart gegen jegliche Opposition durchzugreifen. (Die Reaktionen der Medien auf seine zweite und kürzlich auf seine dritte Rede waren übrigens in etwa dieselben). Mein Eindruck war ein ganz anderer. Meine Freunde waren zufrieden mit Assads Rede, beruhigt und optimistisch, dass die Unruhen nun bald vorüber sein würden.

In meinem Bekanntenkreis blieb das Bild von Assad auch weiterhin durchweg positiv. Schließlich erfüllte er augenscheinlich einige Forderungen der Opposition, indem er die Notstandsgesetzgebung aufhob und ein Gesetz verabschiedete, das Demonstrationen erlaubt. Dazu muss ich auch sagen, dass Syrer mir mehrfach sagten, sie hätten nie zuvor von diesem Ausnahmezustand gehört. Er betraf nur diejenigen, die sich politisch engagierten, unpolitische Menschen bekamen von ihm nichts zu spüren. „Sie haben den Ausnahmezustand aufgehoben, aber genau jetzt erleben wir doch einen Ausnahmezustand“, sagten manche.

***

Die Tatsache, dass Teile der syrischen Krise sich auch auf der Ebene der Medien abspielen, ist meiner Meinung nach zentral, will man auch nur annähernd verstehen (oder eher erahnen), was sich derzeit in Syrien abspielt. Und zwar „abspielt“ nicht im Sinne harter Fakten, sondern bezogen auf das Lebensgefühl der „normalen“, nicht unbedingt direkt betroffenen Menschen, ihre Ängste, ihre Einstellung zur Regierung und zur Opposition. Entscheidend für die weitere Entwicklung in Syrien wird neben dem Durchhaltevermögen der Opposition und der Positionierung der syrischen Armee eben auch die Tendenz der öffentlichen Meinung sein. Diese wird neben eigenen Erfahrungen vor allem durch die Medien geprägt, und da die „Wahrheit“ über die aktuellen Geschehnisse nicht greifbar ist, sind es die Konstruktionen der Wirklichkeit durch die Medien (und natürlich auch durch Gerüchte und Mund-zu-Mund-Propaganda), die die Stimmung in der Bevölkerung beeinflussen. Bevor wir nun, in unserer Ach-so-Aufgeklärtheit, all die Syrer auslachen, die der Version der von der Regierung gesteuerten Staatsmedien glauben, denen wir ja nachsagen würden, dass sie grundsätzlich lügen, sollten wir uns vielleicht fragen, wie oft wir selbst die Nachrichten, die wir hören, hinterfragen. Ich kann nur jedem raten, einmal die Website der syrischen Nachrichtenagentur zu besuchen (http://www.sana.sy/index_eng.html  ) und die Wirkung dieser suggestiven Berichterstattung am eigenen Leib auszutesten.

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