Ein Beitrag von Kristin Jankowski und Daniel Roters
Kristin hat die Revolution begleitet. Sie hat sie kommentiert und sie gefühlt. Die Angst, den Schrecken, die Hoffnung. Momente der Gemeinschaft und der Ausgelassenheit wechselten sich ab mit Momenten, in denen nicht deutlich war: Kommen wir hier lebend heraus? Eigentlich ist sie Journalistin, doch in diesen Momenten läuft alles wie in einer Zeitlupe. Zuletzt war sie noch in Österreich und hatte mit Medienvertretern über Journalismus und die Rolle der Medien in der ägyptischen Revolution gesprochen. Sie sprach auch über Journalismus in einer Situation, in der sie nicht nur Beobachterin, sondern auch Freundin, Seelentrösterin, Unterstützerin und Kämpferin für eine gerechte Sache ist.
Wir erinnern uns: Der Ausgang der langen Tage der Demonstrationen in Kairo wurde gefeiert. Der deutsche Außenminister und damalige FDP-Vorsitzende Westerwelle ließ sich mit seinem Kollegen Dirk Niebel auf dem Tahrir-Platz in Kairo ablichten. Das Signal: Deutschland ist bei euch! Hosni weg - alles gut? Die Medien haben von Ägypten abgelassen. Es ist Krieg in Libyen. Das drängt, das interessiert die Öffentlichkeit.
In diesen Tagen erlebt Ägypten aber wieder bzw. immer noch Tage der Trauer und des Zweifels. Die Demonstranten fragen sich: Wie lange halten wir noch durch? Jetzt werden sie von der Armee getötet. Von der Instanz, die noch während des Umsturzes des Diktators als Ordnungsmacht gepriesen wurde. Nun veröffentlicht Kristin ein Foto auf Facebook: Ich sehe eine Blutlache in der Straße vor dem Haus, in dem ich lebte.Tod.
Es folgt ein Gastbeitrag von Kristin Jankowski aus Kairo. Sie lebt nur wenige Meter vom Tahrir-Platz enfernt und erlebte den Kugelhagel, den die Armee auf die Demonstranten niedergehen ließ...
"Ich kann nicht verstehen, warum sie Patronen gegen uns einsetzen", sagte ein Demonstrant. Die Sonne war gerade aufgegangen und lukte zwischen den Häusern hervor. Er sah müde aus, seine Augen waren gerötet. "Die Armee kam wie Adler von allen Seiten und hat uns angegriffen. Ich habe mit meinen Freunden auf dem Tahrir-Platz gesessen. Und dann kamen sie von überall". Er schüttelt den Kopf, griff in seine Jackentasche und zuendete sich eine Zigarette an. "Wir haben friedlich demonstriert", fügte er hinzu. Sein Freund stand neben ihm. Er schaute sich um. Es war Samstag, der 9. April 2011, kurz nach 7 Uhr morgens. Ein Bus stand in Flammen. Dunkler Rauch zog ueber den Tahrir-Platz. Ich war müde, ich konnte nachts kaum schlafen - zu viele Schüsse waren zu hören.
Es war gegen 2 Uhr morgens als mich die Nachricht eines Freundes weckte. "Die Armee wird uns gleich angreifen. Kann ich notfalls zu dir kommen ?" Ich hatte rund eine Stunde geschlafen. Am Tag zuvor hatten tausende Demonstranten auf dem Tahrir-Platz demonstiert. Es war der größte Protest nachdem Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 zurueckgetreten war. Die Demonstranten forderten unter anderem Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten und seinen Gefolgsleuten. Der Protest richtete sich auch gegen die herrschende Armee. Ich stand auf, öffnete die Zimmertuer. Im Wohnzimmer lag Hend auf dem Sofa, sie hörte Musik und schaute auf den Bildschirm ihres Laptops. Ich setzte mich neben sie und erzählte ihr von der Nachricht, die ich erhalten hatte. Nur einige Minuten später zogen wir unsere Schuhe an und verließen die Wohnung. Wir wollten sehen, was vor sich ging.
Wir mussten nur um zwei Strassenecken gehen bis wir entdeckten, dass sich auf dem Tahrir-Platz immer noch zahlreiche Demonstranten versammelt hatten. Es war ein lautes Klopfen zu hören. Es kam mir bekannte vor. Ich erinnerte mich daran, dass ich das schon einmal gehoert hatte. Am 2. Februar 2011, als es zu schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und angeheuerten Banden des Mubarak-Regimes gab. Ich schaute mich um und sah einen jungen Mann, der mit einem Stock immer und immer wieder gegen eine Absperrung haute. Tack, tack, tack, tack. Wir gingen in Richtung Museum und sahen, wie Leute aufgebracht Steine sammelten und uns darauf hinwiesen, dass es gefährlich sei und wir lieber verschwinden sollten. Wollten wir aber nicht. Wir gingen weiter. An der Menschenmasse vorbei, die eine Reihe vor dem Museum bildeten. Sie hatten bereits eine Barrikade gebaut. Hend und ich machten noch einige Schritte bis wir die Militärpolizei sahen. "Da sind sie", sagte Hend. Sie hielt meine Hand. Wir blieben für einen Moment stehen, bis uns ein Bekannter bat, einige Schritte zurück zu gehen. Wir beschlossen uns zurück zum Tahrir-Platz zu machen. "Das ist nicht gut, das ist nicht gut", wiederholte Hend und schüttelte ihren Kopf. Wir sahen, wie einige Demonstranten auf eine Kreuzung liefen. Aufgebracht. Einige von ihnen hatten Stöcke in ihren Händen. Dann sahen wir graue Gestalten auf die Leute zurannten. Es war zu dunkel um im ersten Moment zu erkennen, um wen es sich bei diesen grauen Gestalten handeln würde. Als sie nach einigen Sekunden unter einer Strassenlaterne entlang liefen, war es deutlich zu sehen: Soldaten. "Lass uns schnell abhauen", rief Hend und zog mich durch die Menschenmasse. Die meisten Leute rannten hastig hin und her. "Lass uns schnell nach Hause. Hier wird es gefährlich", sie zog weiter an mir. Hinter uns hörten wir Schreie. In unserer Wohnung angekommen, griffen wir nach unseren Ausweisen, legten sie in die Taschen. Dann liefen wir die Treppen wieder runter. Wir kamen nicht weit. Ein Militaerpolizist hielt uns an einem Checkpoint an der Strassenkreuzung auf. "Wo wollt ihr hin ?" fragte er. Die Ausgangssperre hatte seit rund einer Stunde begonnen. "Wir wohnen hier", antwortete Hend. "Warum dürfen wir nicht weitergehen ?" hakte sie nach. "Notfall", lautete seine knappe Antwort.
Wir nahmen einen anderen Weg um zum Tahrir-Platz zu gelangen. Die Straßen waren dunkel und leer. Ein Auto hielt neben uns. Drei junge Männer sassen darin und schauten uns an: "Geht nicht weiter. Es ist gefährlich." sagte einer von ihnen. "Ach...wir machen was wir wollen. Haut ab und passt selbst auf euch auf", fauchte Hend sie an. Ich musste lachen.
Wir gingen einige Schritte bis wir von Weitem eine Menschenmasse in der Nähe des ägyptischen Museums sahen. Und dann fielen Schüsse. Immer und immer wieder. Hend griff nach meiner Hand. Zahlreiche Leute rannten auf uns zu. "Schnell", rief Hend. "Sie schießen auf uns." Wir liefen davon. Die Schüsse zischten durch die Luft. "Oh mein Gott, die Armee tötet Menschen", rief Hend. Ihre Stimme zitterte während wir auf der Straße rannten. Einige Männer ueberholten uns beim Laufen. "Schnell, schnell, haut ab" riefen sie uns zu. "Spring auf den Bürgersteig. Dort ist es dunkel", sagte ich zu Hend. "Okay" hörte ich sie antworten. An einer Kreuzung hielt Hend an. Sie zitterte :"Denkst du, dass die Armee Menschen tötet ? Denkst Du, dass sie gerade Leute erschossen haben ?" Ich hielt Hend in meinem Arm. "Nein, das waren nur Schüsse in den Himmel." Ich war mir ziemlich sicher, dass ich sie angelogen hatte. "Wir gehen jetzt nach Hause". Diesmal zog ich an ihrem Arm. Sie konnte kaum atmen. "Ich habe Angst, ich habe Angst" wiederholte Hend. Ich stütze sie. "Ich bringe dich schnell nach Hause". Sie nickte und holte tief Luft.
Schuesse. Von ueberall.
Es war 3:24 Uhr am morgen als ich auf die Uhr schaute. Ich schloss unsere Haustür auf.
Wir stellten uns auf den Balkon und schauten auf die Straße. Wir sahen Menschen hektisch hin und herlaufen. Es war kühl. "Hosni und die Armee sind eine Hand" hörten wir einige von ihnen rufen. Es bildete sich eine Gruppe von Leuten, die sich bückten. "Da liegt jemand am Boden", sagte Hend. Es war an der Straßenecke. Es war dunkel. "Oh mein Gott", sagte Hend. Sie griff nach meiner Schulter. Und klammerte sich an mir fest. "Jemand hat gerade gesagt, dass eine Ambulanz gerufen werden soll. Und ein anderer antwortete: Das macht keinen Sinn, er ist doch schon längst tot."
Am nächsten Tag werden wir ein Foto mit einer grossen Blutlache sehen. Dort, wo jemand auf dem Boden lag.
Die Schüße zischten weiterhin durch die Luft. Es schien, als ob sie von allen Seiten kommen wuerden. So nah. "Warum machen sie das ? Warum schießt die Armee ?" fragte Hend. "Das hört sich so an wie in einem Action-Film. Warum hören sie nicht auf ?"
An der anderen Strassenecke rannten Menschen davon. Soldaten liefen hinter ihnen her. Ich sah wie ein Soldat stehen blieb, seine Maschinenpistole richtete und schoss. Funken sprühten. Er schoss in die Richtung der Demonstranten. Immer und immer wieder.
"Das ist unfassbar", sagte Hend. "Lass uns versuchen zu schlafen, ich ertrage das nicht mehr".
Es war bereits früh am morgen. Ich schloss die Balkontür. Wir konnten nicht schlafen. Die Schüsse waren zu laut. "Es reicht", schimpfte Hend. "Stell dir einfach vor, dass es ein grosses Feuerwerk ist. Vielleicht hilft das. Oder fokussiere dich auf die zwitschernden Vögel", riet ich ihr. Sie musste lachen.
Immer wieder schreckten wir von den Schüssen auf und gingen zurück auf den Balkon. Es machte gar keinen Sinn zu probieren, ob wir bei dem Lärm schlafen können. Außerdem waren wir viel zu aufgebracht. Wir entschieden uns Kaffee zu machen und das Haus zu verlassen, wenn die Schüsse abgeklungen waren.
Gegen 6: 45 Uhr machten wir uns auf dem Weg zum Tahrir-Platz. Eine große Barrikade aus Stacheldrahtzaun, einer Tür und Eisenstaeben war vor dem Zugang zum Platz aufgebaut. Steine lagen auf der Straße. Glassplitter. Wir sahen den brennenden Bus von Weitem. "Das sieht aus wie in einem Kampfgebiet", stellte Hend fest. Die Gesichter der Demonstranten, die noch auf dem Platz waren, sahen müde und geschockt aus. Einige von ihnen saßen auf Kartons oder Teppichen. Sie rauchten Zigaretten, schwiegen oder starrten ins Nichts.
Andere diskutierten heftig, fuchtelten aufgebracht mit den Armen. Ich hatte das Gefühl, als ob der Kampf um Ägypten in eine neue Phase eingetreten sei.
"Wir haben drei Soldaten festgehalten und ihnen ihre Kleidung abgenommen", sagte ein Demonstrant. Auf der Verkehrsinsel baute einer seiner Freunde ein blaues Zelt wieder auf. "Das alte Regime herrscht immer noch. Jetzt befinden wir uns im Krieg gegen die Armee", stellte ein anderer Demonstrant fest. Er trug einen grauen Kapuzenpullover, er hatte Ringe unter den Augen. "Ich wurde in der letzten Zeit schon zweimal von der Armee festgenommen. Jedesmal haben sie mich geschlagen. Das kann ich akzeptieren. Aber ich kann es nicht akzpetieren, dass sie auf uns geschossen haben", sagte er weiter.
Eine ältere Frau kam auf uns zu. Sie trug ein Notizbuch in ihrer Hand. Sie weinte und wischte sich die Tränen mit dem Aermel vom Gesicht. Ich schaute auf das Buch. Verschmiertes Blut. Etwas Rotes klebte zwischen dem Blut. Vielleicht war es ein Stueck Haut. "Das ist das Blut meiner Kinder", rief die Frau. Sie ging schlurchzend an uns vorbei.
Ein junger Mann drehte sich zur Seite und lehnte sich mit dem Gesicht an eine Häuserwand. Er weinte.
"Die Armee wollte doch sicherlich nur die Offiziere festnehmen, die auf dem Tahrir-Platz waren. Warum haben sie uns so brutal angegriffen ?" fragte Demonstrant.
Es hatten sich zahlreiche Angehörige des Militärs unter den Protest am Freitag gemischt und ein Zelt aufgebaut. Sie forderten den Militärrat unter anderem auf, zügiger gegen die Korruptionsvorwürfe gegen Hosni Mubarak vorzugegehen. Eine Menschenkette, bestehend aus zahlreichen Demonstranten, sollte die Soldaten vor Angriffen schützen.
"Doch als die Armee kam, mussten wir alle weglaufen. Ich habe geweint und ich habe gesehen, wie einige der Offiziere, die wir vorher bewacht hatten, auch geweint hatten. Das war schrecklich. Momentan habe ich das Gefühl, als ob ich den Boden unter den Füßen verlieren würde. Ich will schweigen. Ich bin sehr traurig", sagte der Demonstrant. Er wischte sich Traenen vom Gesicht.
In einem Video ist der Angriff auf den Tahrir-Platz zu sehen.
An dem Morgen des 9. April 2011 wurden laut Militärrat 42 Personen festgenommen. Acht von ihnen waren angeblich Leute, die Armee-Uniformen trugen.
Drei Ausländer sollen unter den Festgenommen gewesen sein.
Die Zeitung "Al Masry al Youm" schreibt, dass Mediziner behaupten, zwei Männer seien getötet worden. Und 15 seien von Schüssen verletzt worden. Die Armee bestreitet das. Das Militär sagt, sie hätten mit Platzpatronen geschossen und es sei niemand davon umgekommen. Das staatliche Fernsehen behauptet, eine Person sei gestorben und 71 seien verletzt worden.
Seitdem ist der Tahrir-Platz wieder besetzt. "Es hat noch keine Revolution in Ägypten gegeben", kommentiere eine junge Demonstrantin. "Ich habe viel geweint", fuegte sie hinzu. Tränen steigen in ihren Augen auf. "Es wird alles gut, es wird alles gut."
Ich denke, sie weiß, dass sie sich irrt.
Kristin hat die Revolution begleitet. Sie hat sie kommentiert und sie gefühlt. Die Angst, den Schrecken, die Hoffnung. Momente der Gemeinschaft und der Ausgelassenheit wechselten sich ab mit Momenten, in denen nicht deutlich war: Kommen wir hier lebend heraus? Eigentlich ist sie Journalistin, doch in diesen Momenten läuft alles wie in einer Zeitlupe. Zuletzt war sie noch in Österreich und hatte mit Medienvertretern über Journalismus und die Rolle der Medien in der ägyptischen Revolution gesprochen. Sie sprach auch über Journalismus in einer Situation, in der sie nicht nur Beobachterin, sondern auch Freundin, Seelentrösterin, Unterstützerin und Kämpferin für eine gerechte Sache ist.
Wir erinnern uns: Der Ausgang der langen Tage der Demonstrationen in Kairo wurde gefeiert. Der deutsche Außenminister und damalige FDP-Vorsitzende Westerwelle ließ sich mit seinem Kollegen Dirk Niebel auf dem Tahrir-Platz in Kairo ablichten. Das Signal: Deutschland ist bei euch! Hosni weg - alles gut? Die Medien haben von Ägypten abgelassen. Es ist Krieg in Libyen. Das drängt, das interessiert die Öffentlichkeit.
In diesen Tagen erlebt Ägypten aber wieder bzw. immer noch Tage der Trauer und des Zweifels. Die Demonstranten fragen sich: Wie lange halten wir noch durch? Jetzt werden sie von der Armee getötet. Von der Instanz, die noch während des Umsturzes des Diktators als Ordnungsmacht gepriesen wurde. Nun veröffentlicht Kristin ein Foto auf Facebook: Ich sehe eine Blutlache in der Straße vor dem Haus, in dem ich lebte.Tod.
Daniel Roters
Es folgt ein Gastbeitrag von Kristin Jankowski aus Kairo. Sie lebt nur wenige Meter vom Tahrir-Platz enfernt und erlebte den Kugelhagel, den die Armee auf die Demonstranten niedergehen ließ...
"Ich kann nicht verstehen, warum sie Patronen gegen uns einsetzen", sagte ein Demonstrant. Die Sonne war gerade aufgegangen und lukte zwischen den Häusern hervor. Er sah müde aus, seine Augen waren gerötet. "Die Armee kam wie Adler von allen Seiten und hat uns angegriffen. Ich habe mit meinen Freunden auf dem Tahrir-Platz gesessen. Und dann kamen sie von überall". Er schüttelt den Kopf, griff in seine Jackentasche und zuendete sich eine Zigarette an. "Wir haben friedlich demonstriert", fügte er hinzu. Sein Freund stand neben ihm. Er schaute sich um. Es war Samstag, der 9. April 2011, kurz nach 7 Uhr morgens. Ein Bus stand in Flammen. Dunkler Rauch zog ueber den Tahrir-Platz. Ich war müde, ich konnte nachts kaum schlafen - zu viele Schüsse waren zu hören.
Kristin Jankowksi und ihre Freundin Hend Khattab bei einem Besuch in Alexandria. |
Wir mussten nur um zwei Strassenecken gehen bis wir entdeckten, dass sich auf dem Tahrir-Platz immer noch zahlreiche Demonstranten versammelt hatten. Es war ein lautes Klopfen zu hören. Es kam mir bekannte vor. Ich erinnerte mich daran, dass ich das schon einmal gehoert hatte. Am 2. Februar 2011, als es zu schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und angeheuerten Banden des Mubarak-Regimes gab. Ich schaute mich um und sah einen jungen Mann, der mit einem Stock immer und immer wieder gegen eine Absperrung haute. Tack, tack, tack, tack. Wir gingen in Richtung Museum und sahen, wie Leute aufgebracht Steine sammelten und uns darauf hinwiesen, dass es gefährlich sei und wir lieber verschwinden sollten. Wollten wir aber nicht. Wir gingen weiter. An der Menschenmasse vorbei, die eine Reihe vor dem Museum bildeten. Sie hatten bereits eine Barrikade gebaut. Hend und ich machten noch einige Schritte bis wir die Militärpolizei sahen. "Da sind sie", sagte Hend. Sie hielt meine Hand. Wir blieben für einen Moment stehen, bis uns ein Bekannter bat, einige Schritte zurück zu gehen. Wir beschlossen uns zurück zum Tahrir-Platz zu machen. "Das ist nicht gut, das ist nicht gut", wiederholte Hend und schüttelte ihren Kopf. Wir sahen, wie einige Demonstranten auf eine Kreuzung liefen. Aufgebracht. Einige von ihnen hatten Stöcke in ihren Händen. Dann sahen wir graue Gestalten auf die Leute zurannten. Es war zu dunkel um im ersten Moment zu erkennen, um wen es sich bei diesen grauen Gestalten handeln würde. Als sie nach einigen Sekunden unter einer Strassenlaterne entlang liefen, war es deutlich zu sehen: Soldaten. "Lass uns schnell abhauen", rief Hend und zog mich durch die Menschenmasse. Die meisten Leute rannten hastig hin und her. "Lass uns schnell nach Hause. Hier wird es gefährlich", sie zog weiter an mir. Hinter uns hörten wir Schreie. In unserer Wohnung angekommen, griffen wir nach unseren Ausweisen, legten sie in die Taschen. Dann liefen wir die Treppen wieder runter. Wir kamen nicht weit. Ein Militaerpolizist hielt uns an einem Checkpoint an der Strassenkreuzung auf. "Wo wollt ihr hin ?" fragte er. Die Ausgangssperre hatte seit rund einer Stunde begonnen. "Wir wohnen hier", antwortete Hend. "Warum dürfen wir nicht weitergehen ?" hakte sie nach. "Notfall", lautete seine knappe Antwort.
Wir nahmen einen anderen Weg um zum Tahrir-Platz zu gelangen. Die Straßen waren dunkel und leer. Ein Auto hielt neben uns. Drei junge Männer sassen darin und schauten uns an: "Geht nicht weiter. Es ist gefährlich." sagte einer von ihnen. "Ach...wir machen was wir wollen. Haut ab und passt selbst auf euch auf", fauchte Hend sie an. Ich musste lachen.
Wir gingen einige Schritte bis wir von Weitem eine Menschenmasse in der Nähe des ägyptischen Museums sahen. Und dann fielen Schüsse. Immer und immer wieder. Hend griff nach meiner Hand. Zahlreiche Leute rannten auf uns zu. "Schnell", rief Hend. "Sie schießen auf uns." Wir liefen davon. Die Schüsse zischten durch die Luft. "Oh mein Gott, die Armee tötet Menschen", rief Hend. Ihre Stimme zitterte während wir auf der Straße rannten. Einige Männer ueberholten uns beim Laufen. "Schnell, schnell, haut ab" riefen sie uns zu. "Spring auf den Bürgersteig. Dort ist es dunkel", sagte ich zu Hend. "Okay" hörte ich sie antworten. An einer Kreuzung hielt Hend an. Sie zitterte :"Denkst du, dass die Armee Menschen tötet ? Denkst Du, dass sie gerade Leute erschossen haben ?" Ich hielt Hend in meinem Arm. "Nein, das waren nur Schüsse in den Himmel." Ich war mir ziemlich sicher, dass ich sie angelogen hatte. "Wir gehen jetzt nach Hause". Diesmal zog ich an ihrem Arm. Sie konnte kaum atmen. "Ich habe Angst, ich habe Angst" wiederholte Hend. Ich stütze sie. "Ich bringe dich schnell nach Hause". Sie nickte und holte tief Luft.
Schuesse. Von ueberall.
Es war 3:24 Uhr am morgen als ich auf die Uhr schaute. Ich schloss unsere Haustür auf.
Wir stellten uns auf den Balkon und schauten auf die Straße. Wir sahen Menschen hektisch hin und herlaufen. Es war kühl. "Hosni und die Armee sind eine Hand" hörten wir einige von ihnen rufen. Es bildete sich eine Gruppe von Leuten, die sich bückten. "Da liegt jemand am Boden", sagte Hend. Es war an der Straßenecke. Es war dunkel. "Oh mein Gott", sagte Hend. Sie griff nach meiner Schulter. Und klammerte sich an mir fest. "Jemand hat gerade gesagt, dass eine Ambulanz gerufen werden soll. Und ein anderer antwortete: Das macht keinen Sinn, er ist doch schon längst tot."
Am nächsten Tag werden wir ein Foto mit einer grossen Blutlache sehen. Dort, wo jemand auf dem Boden lag.
Die Schüße zischten weiterhin durch die Luft. Es schien, als ob sie von allen Seiten kommen wuerden. So nah. "Warum machen sie das ? Warum schießt die Armee ?" fragte Hend. "Das hört sich so an wie in einem Action-Film. Warum hören sie nicht auf ?"
An der anderen Strassenecke rannten Menschen davon. Soldaten liefen hinter ihnen her. Ich sah wie ein Soldat stehen blieb, seine Maschinenpistole richtete und schoss. Funken sprühten. Er schoss in die Richtung der Demonstranten. Immer und immer wieder.
"Das ist unfassbar", sagte Hend. "Lass uns versuchen zu schlafen, ich ertrage das nicht mehr".
Es war bereits früh am morgen. Ich schloss die Balkontür. Wir konnten nicht schlafen. Die Schüsse waren zu laut. "Es reicht", schimpfte Hend. "Stell dir einfach vor, dass es ein grosses Feuerwerk ist. Vielleicht hilft das. Oder fokussiere dich auf die zwitschernden Vögel", riet ich ihr. Sie musste lachen.
Immer wieder schreckten wir von den Schüssen auf und gingen zurück auf den Balkon. Es machte gar keinen Sinn zu probieren, ob wir bei dem Lärm schlafen können. Außerdem waren wir viel zu aufgebracht. Wir entschieden uns Kaffee zu machen und das Haus zu verlassen, wenn die Schüsse abgeklungen waren.
Gegen 6: 45 Uhr machten wir uns auf dem Weg zum Tahrir-Platz. Eine große Barrikade aus Stacheldrahtzaun, einer Tür und Eisenstaeben war vor dem Zugang zum Platz aufgebaut. Steine lagen auf der Straße. Glassplitter. Wir sahen den brennenden Bus von Weitem. "Das sieht aus wie in einem Kampfgebiet", stellte Hend fest. Die Gesichter der Demonstranten, die noch auf dem Platz waren, sahen müde und geschockt aus. Einige von ihnen saßen auf Kartons oder Teppichen. Sie rauchten Zigaretten, schwiegen oder starrten ins Nichts.
Andere diskutierten heftig, fuchtelten aufgebracht mit den Armen. Ich hatte das Gefühl, als ob der Kampf um Ägypten in eine neue Phase eingetreten sei.
"Wir haben drei Soldaten festgehalten und ihnen ihre Kleidung abgenommen", sagte ein Demonstrant. Auf der Verkehrsinsel baute einer seiner Freunde ein blaues Zelt wieder auf. "Das alte Regime herrscht immer noch. Jetzt befinden wir uns im Krieg gegen die Armee", stellte ein anderer Demonstrant fest. Er trug einen grauen Kapuzenpullover, er hatte Ringe unter den Augen. "Ich wurde in der letzten Zeit schon zweimal von der Armee festgenommen. Jedesmal haben sie mich geschlagen. Das kann ich akzeptieren. Aber ich kann es nicht akzpetieren, dass sie auf uns geschossen haben", sagte er weiter.
Eine ältere Frau kam auf uns zu. Sie trug ein Notizbuch in ihrer Hand. Sie weinte und wischte sich die Tränen mit dem Aermel vom Gesicht. Ich schaute auf das Buch. Verschmiertes Blut. Etwas Rotes klebte zwischen dem Blut. Vielleicht war es ein Stueck Haut. "Das ist das Blut meiner Kinder", rief die Frau. Sie ging schlurchzend an uns vorbei.
Ein junger Mann drehte sich zur Seite und lehnte sich mit dem Gesicht an eine Häuserwand. Er weinte.
"Die Armee wollte doch sicherlich nur die Offiziere festnehmen, die auf dem Tahrir-Platz waren. Warum haben sie uns so brutal angegriffen ?" fragte Demonstrant.
Es hatten sich zahlreiche Angehörige des Militärs unter den Protest am Freitag gemischt und ein Zelt aufgebaut. Sie forderten den Militärrat unter anderem auf, zügiger gegen die Korruptionsvorwürfe gegen Hosni Mubarak vorzugegehen. Eine Menschenkette, bestehend aus zahlreichen Demonstranten, sollte die Soldaten vor Angriffen schützen.
"Doch als die Armee kam, mussten wir alle weglaufen. Ich habe geweint und ich habe gesehen, wie einige der Offiziere, die wir vorher bewacht hatten, auch geweint hatten. Das war schrecklich. Momentan habe ich das Gefühl, als ob ich den Boden unter den Füßen verlieren würde. Ich will schweigen. Ich bin sehr traurig", sagte der Demonstrant. Er wischte sich Traenen vom Gesicht.
In einem Video ist der Angriff auf den Tahrir-Platz zu sehen.
An dem Morgen des 9. April 2011 wurden laut Militärrat 42 Personen festgenommen. Acht von ihnen waren angeblich Leute, die Armee-Uniformen trugen.
Drei Ausländer sollen unter den Festgenommen gewesen sein.
Die Zeitung "Al Masry al Youm" schreibt, dass Mediziner behaupten, zwei Männer seien getötet worden. Und 15 seien von Schüssen verletzt worden. Die Armee bestreitet das. Das Militär sagt, sie hätten mit Platzpatronen geschossen und es sei niemand davon umgekommen. Das staatliche Fernsehen behauptet, eine Person sei gestorben und 71 seien verletzt worden.
Seitdem ist der Tahrir-Platz wieder besetzt. "Es hat noch keine Revolution in Ägypten gegeben", kommentiere eine junge Demonstrantin. "Ich habe viel geweint", fuegte sie hinzu. Tränen steigen in ihren Augen auf. "Es wird alles gut, es wird alles gut."
Ich denke, sie weiß, dass sie sich irrt.
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