06.03.2011

Marokko: Im (arabischen) Westen nichts Neues?

Von Swantje Boulouh-Bartschat, M.A.

Auch knapp zwei Wochen nach den ersten großen Protesten in Marokko gibt es nur wenige Meldungen über die Ereignisse im Land – und wenn, dann könnten sie kaum unterschiedlicher sein.

Nach anfänglichen drei- bis fünfstelligen Angaben über die Teilnehmerzahl an den Protesten vom 20. Februar ist mittlerweile auch eine sechsstellige Höhe im Gespräch. Weitaus weniger Menschen sollen hingegen am vergangenen Wochenende (vom 25.-27. Februar) auf die Straßen gegangen sein. Während in der internationalen Presse – wenn überhaupt – von ruhigen Protesten die Rede ist, bei denen sich die Polizei im Hintergrund hält, berichten Augenzeugen und erneute Video-Aufnahmen im Internet von der Unterbindung einiger Proteste durch Polizeieingriffe. Ob öffentlich zurückhaltend oder nicht – die Polizei steht hinter ihrem König und geht gezielt gegen die Koordinatoren der Proteste vor. Diese sprechen u.a. von Diffamierungen in sozialen Netzwerken und der Beschlagnahmung ihrer Computer. Das schrecke Oussama Elkhlifi jedoch nicht ab. Nach dem Rückzug der beiden anderen Gründer ist er alleiniger Initiant der Gruppe, die zu den Protesten vom 20. Februar via Facebook aufgerufen hatte.

In einer siebeneinhalb-minütigen Aufnahme unter dem Titel Wer ist Oussama Elkhlifi? äußert sich der 23-Jährige zu dem Beginn der Protestbewegung und den Reaktionen der Polizei. Trotz übler Nachrede, bei der er beispielsweise als Ungläubiger dargestellt wird, und den Drohungen der Polizei, die ihm durch seinen Vater – seines Zeichens Polizeibeamter – übermittelt wurden, sieht Elkhlifi kein Zurück mehr. Ungeachtet eines Jobangebots für ihn und die Aussicht auf Beförderung seines Vaters fordert Elkhlifi ebenso wie zahlreiche weitere Demonstranten weiterhin eine Einschränkung der königlichen Macht, die Besserung der gesellschaftlichen Ungleichheit und die Umsetzung der Pressefreiheit. Dass Letztere nach wie vor stark eingeschränkt ist, lässt sich auch in diesen Tagen an den Meldungen in der marokkanischen Presse erahnen. Es wird schon fast nachdrücklich betont, der König verlange nach Reformierungen, und die Berichte von ruhigen Demonstrationen wollen nicht so richtig zu den Bildern von aufgebrachten Demonstranten – umringt von Polizisten mit Schlagstöcken – passen.

Eine Tatsache lässt sich jedoch eindeutig festhalten: die Proteste vom 20. Februar hat sie alle zum Reden gebracht: die Politiker diverser Parteien in Marokko, viele Bürger des Landes, die sich unter anderem in offenen Briefen und via Youtube-Videos zu Wort melden oder direkt an Mohammed VI. wenden, sowie den König höchst selbst. Auch die arabische Musikszene bleibt in diesen Tagen nicht stumm. Während in Tunesien ein Lied des jungen Rappers „El Général“ Hamada Ben Amor gegen den gestürzten Despoten Ben Ali zum Protestsong erkoren wurde, besingt die Marokkanerin Najat Aatabou zwar ebenfalls die Protestbewegung – doch im Sinne Mohammeds VI.:

Es lebe der König / seine Hand in unseren Händen / (Allah Allah) / wir lieben ihn und er liebt uns:



Zudem häufen sich auf Plattformen wie Youtube und Facebook Loyalitätsbekenntnisse zum König und kritische Stimmen gegen die Proteste. Und hört man sich unter den Demonstranten auf den Straßen einmal um, so fällt auf, dass auch jetzt unter ihnen die Aussagen „Wir lieben unseren König!“ und „Wir wollen unseren König nicht stürzen!“ keine Seltenheit sind. Die Liebe zu "M6" lässt sich eben nicht so einfach kleinkriegen.

Ayyuhâ l-Malik, nuhibbukâ wa-hâdhihî matâlibunâ!
(Oh König, wir lieben dich, und das sind unsere Forderungen!)

Derweil scheiden sich die Geister beim Blick auf die zukünftige Entwicklung im Land. Während die marokkanische Presse überwiegend das Bild von einer agierenden oder zumindest diskutierenden Regierung gibt, in der Politiker die Berücksichtigung der Wünsche aus dem Volk fordern, lassen europäische Stimmen das mögliche Bevorstehen eines Umsturzes verlauten … oder aber das Gegenteil. Leo Wieland, Redakteur der FAZ und Verfasser von M6-kritischen Artikeln, bezeichnet das Land als stabil, und das trotz hoher Jugendarbeitslosigkeit, Korruption und enormen Reichtums des „Königs der Armen“, welcher sich weniger an den offensichtlichen Besitztümern ablesen lässt.
„Es sind (.) nicht die Paläste, Rennställe, Golfplätze, Gemälde- und Sportwagensammlungen, die das Gros des Vermögens von ‚M6‘ ausmachen, sondern seine finanzielle Beteiligung an allem, was in Marokko wächst.“
Man ist sich der bisherigen Erfolge Mohammeds VI. bewusst und nimmt mit Sicherheit auch die aktuell in Angriff genommenen Änderungen in Form von Subventionen für Grundnahrungsmittel und Gas sowie die Bildung eines Rats zur Reformierung des ‚Gesellschaftsvertrags‘ wahr. Doch bezweifelt auch Wieland, dass die Schritte des Königs ausreichend sind. Es bleibt nicht nur abzuwarten, inwieweit der beliebte Herrscher die Ergebenheit seines Volkes wirklich erhalten kann. Nach Solidaritätsbekenntnissen des „Komitees zur Befreiung von Sebta und Melilla“ gegenüber der Bewegung vom 20. Februar könnten die Proteste – neben diesem Wochenende auch für den 20. März angekündigt – eine neue Richtung nehmen, die dann insbesondere für Spanien von Interesse wäre, dem die beiden in Marokko liegenden Städte zugehörig sind.
„Die ‚Baustelle Marokko‘ hat schon einige überdachte und gut bewohnbare Stockwerke. Aber hier und dort regnet es auch noch kräftig durch das Dach.“


Weiterführend zu den aktuellen Ereignissen in Marokko:

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