18.03.2011

Zur Geschichte des Islams in Tunesien, Folge 3

Historische Anekdoten über Muslime und Christen im 8. Jahrhundert

Von Marco Schöller


Die Meuterei der Leibwache
Der neu eingesetzte umaiyadische Kalif Yazîd ibn 'Abd-al-Malik (reg. 720–724) hatte schon wenige Wochen nach seinem Herrschaftsantritt den Anhänger seines Vorgängers und amtierenden Gouverneur Ifrîqiyahs, Ibn Abî l-Muhâjir, abberufen und durch seinen Günstling Yazîd ibn Abî Muslim ersetzen lassen. Yazîd ibn Abî Muslim war ein Klient des für seine Grausamkeit berüchtigten al-Hajjâj ibn Yûsuf, der im Irak ein Schreckensregiment errichtet hatte. Yazîd war aus dem gleichen Holz geschnitzt, doch formierte sich im tunesischen Kairoaun bald der Widerstand gegen ihn und er wurde bereits nach wenigen Monaten ermordet. Folgende Episode wird uns als Anlaß für seine Ermordung berichtet:

Yazîd hatte sich mit einer Leibwache aus Berbern umgeben, da er den arabischen und persischen Truppen nicht recht traute. Eines Tages soll er von der Kanzel der Großen Moschee Kairouans gesagt haben: »Ich habe beschlossen, die Hände meiner Leibwächter zu tätowieren, wie es die byzantinischen Könige zu tun pflegen. Auf die rechte Hand soll der Name des jeweiligen Leibwächters, auf die linke sollen die Worte ›Meine Leibwache‹ tätowiert werden, damit sie daran unter allen Leuten erkannt werden!« Als die Männer der Leibwache dies hörten, waren sie nicht einverstanden und sprachen unter sich: »Er will uns wie Christen behandeln!« Sie kamen deshalb überein, Yazîd zu ermorden. Als dieser auf dem Weg von seinem Amtssitz in die Moschee war, fielen sie über ihn her. Man hieb ihn an der Gebets- stätte in Stücke.

(Aus Ibn 'Idhârî al-Marrâkushî, al-Bayân al-muhgrib fî akhbâr al-Andalus wa-l-Maghrib)

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Ein Richter in christlicher Gefangenschaft
Der Richter 'Abd ar-Rahmân ibn Ziyâd ibn An'um (gest. 778), der in Kairouan ansässig war, geriet während eines Kriegszugs in christliche Gefangenschaft. Das soll sich im Jahr 734 auf einer Expedition gegen Sizilien zugetragen haben. Sizilien gehörte zu dieser Zeit zum Herrschaftsbereich der Byzantiner.

An einem christlichen Festtag wurden die muslimischen Gefangenen in Sizilien dem dortigen byzantinischen Gouverneur – in den Quellen »König« genannt – vorgeführt, und es wurde ihnen ein üppiges Mahl aufgetischt. Eine noble Dame, die von der guten Behandlung der Araber durch den König erfuhr, trat vor ihn hin, zerriss ihr Gewand, raufte sich die Haare aus und schwärzte ihr Gesicht. Der entsetzte König fragte sie nach dem Grund für ihr Verhalten, und sie entgegnete: »Die Araber töteten meinen Sohn, sie töteten meinen Mann, sie töteten meinen Vater und sie töteten meinen Bruder! Und dir fällt nichts besseres ein, als sie so gut zu behandeln?« Da verdüsterte sich das Gemüt des Königs und sein Herz verhärtete sich. Er befahl, die Araber zu ihm zu bringen, und ordnete an, daß sie alle zu köpfen seien, einer nach dem anderen.

Ibn An'um erzählte später, daß einige seiner Kameraden bereits hingerichtet waren, als die Reihe an ihn kam. Da bewegte er seine Lippen und sprach: »Gott, Gott, Gott! Mein Herr: ich geselle Gott nichts bei, und ich nehme nur Gott zum Freund und Beschützer!« Das sagte er dreimal. Der König hatte bemerkt, daß Ibn An'um etwas gesprochen hatte, und ließ deshalb einen Gelehrten rufen, um den Wortlaut zu erfahren. Als dem König dann mitgeteilt worden war, was Ibn An'um gesagt hatte, fragte er: »Woher hast du gelernt, solches zu sagen?« Ibn An'um antwortete: »Unser Prophet – Gott segne ihn und gebe ihm Heil! – hat es uns so befohlen.« Der König erwiderte, auch Jesus habe den Christen im Neuen Testament dasselbe befohlen. Daraufhin ließ er Ibn An'um und seine noch lebenden Gefährten frei.

Ob diese Geschichte freilich der Wahrheit entspricht, wurde schon von einigen muslimischen Historikern angezweifelt, die berichten, daß auch erzählt werde, Ibn An'um sei tatsächlich von einem abbasidischen Kalifen aus der Gefangenschaft freigekauft worden. Nach anderen kehrte Ibn An'um bereits im Jahr 739 aus der Gefangenschaft nach Ifrîqiyah zurück.

(Aus Abû l-'Arab, Tabaqât 'ulamâ' Ifrîqiyah wa-Tûnis; al-Mâlikî, Kitâb Riyâd an-nufûs; Ibn ad-Dabbâgh, Ma'âlim al-îmân fî ma'rifat ahl al-Qairawân)

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Öl ist nicht gleich Öl
Ahmad ibn Ibrâhîm erzählte, daß Buhlûl ibn Râšid (gest. 799) eines Tages einem Mann zwei Golddinar in die Hand drückte und ihn dann losschickte, damit er von diesem Geld Öl einkaufe. Besonders süß schmeckendes Öl von der Küste sollte es sein, das Buhlûl besonders gern mochte. Der Mann ging also auf den Markt und fragte, wo das süßeste Öl zu haben sei. Man schickte ihn zu einem Christen, der dafür bekannt war, das beste und süßeste Öl zu verkaufen. Der Mann ging also zu dem Christen und verlangte Öl im Wert von zwei Dinaren. Er sagte noch: »Ich kaufe es für Buhlûl ein!« Da sprach der Christ: »Wir sind dank Buhlûl Gott ebenso nahe, wie ihr dank ihm Gott, dem Erhabenen, nahe seid!« Er gab ihm also für zwei Dinar vom süßesten Öl, und zwar soviel, wie man sonst kaum vom schlechtesten Öl für vier Dinar zu kaufen bekam.

Der Mann kehrte zu Buhlûl zurück, übergab ihm das Öl und erzählte, wie es ihm auf dem Markt mit dem Christen ergangen war und was dieser über Buhlûl Gutes gesagt hatte. Er erwähnte auch, daß ihm der christliche Händler viel mehr von dem süßen Öl gegeben hatte, als er für zwei Dinar eigentlich hätte kaufen können. Da sprach Buhlûl: »Gut! Eine Aufgabe hast du erledigt, und nun mußt du noch etwas anderes erledigen: Gib mir die zwei Dinar zurück!« Der Mann erwiderte entsetzt: »Warum in aller Welt, möge Gott es dir wohl ergehen lassen!?« Buhlûl sagte: »Es kam mir gerade in den Sinn, daß Gott, der Erhabene, spricht: Du wirst keine Leute finden, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben und zugleich diejenigen lieben, die sich Gott und Seinem Gesandten widersetzen! (Koran 58:22) Ich fürchte aber, daß ich in meinem Herzen Liebe zu diesem Christen entwickeln werde, wenn ich erst von seinem köstlichen Öl gegessen habe. Dann wäre ich selbst einer derjenigen, die die Widersacher Gottes und Seines Gesandten lieben – und das nur eines so banalen weltlichen Genusses wegen!«

Ibn Nâjî (gest. 1433/4) kommentierte zu dieser Geschichte, Buhlûl habe nur aus Frömmigkeit so gehandelt. Tatsächlich aber, so schreibt Ibn Nâjî, beziehe sich der zitierte Koranvers nur auf die Liebe oder Zuneigung im religiösen Sinn, nicht aber auf die Liebe, die das Zusammenleben im Diesseits mit sich bringe: Ein Beispiel dafür sei ja auch, daß es einem Muslim erlaubt sei, eine Christin zu heiraten, und es keinen Zweifel gebe, daß er sie dann, wenn er sie geheiratet habe, auch lieben werde.

(Aus Abû l-'Arab, Tabaqât 'ulamâ' Ifrîqiyah wa-Tûnis; al-Mâlikî, Kitâb Riyâd an-nufûs; Ibn ad-Dabbâgh, Ma'âlim al-îmân fî ma'rifat ahl al-Qairawân)

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Der freundliche Bischof
Im April 793 zog der neue, vom abbasidischen Kalifen Hârûn ar-Rashîd ernannte Gouverneur von Ifrîqiyah, al-Fadl ibn Rauh ibn Hâtim, in Kairouan ein. Keinem Statthalter war zuvor ein so festlicher und freudiger Empfang bereitet worden wie eben diesem Fadl. Verschiedene Festzelte waren errichtet worden, und der Vertreter der christlichen Gemeinde – vermutlich der Bischof, aber in der Quelle einfach »Priester« genannt – hatte über dem Weg einen hölzernen Bogen aufstellen lassen, der mit Duftkräutern behängt war – wohl eine Anspielung auf den Paradiesesgarten. An dem Bogen hing ein Spruchband, auf dem in krakeligen arabischen Buchstaben geschrieben stand: Wir haben dich einen offenkundigen Sieg erringen lassen, * Auf daß dir Gott dir deine vergangenen und künftigen Sünden vergeben möge! (Koran 48:1-2)

Als Fadl den Bogen passierte, fragte er, wer ihn errichten ließ. Man sagte ihm, es sei der Vertreter der Christen gewesen. Fadl sprach: »Bei Gott! Das hat der Christ sehr schön gemacht!« Dann gelangte er bei seinem Einritt in die Stadt zur Moschee von Abu Fihr. Dort erblickte er eine große, nach unten spitz zulaufende Vase aus Glas, die man aufgehängt hatte. Die Vase war mit Wasser gefüllt, und zwei Schlangen (?!) schwammen darin. Fadl erkundigte sich, wer dafür verantwortlich war, und man sagte ihm erneut, es sei der Vertreter der Christen gewesen. Da rief Fadl aus: »Bei Gott, das hat er gut gemacht!«

Fadl hatte schon vor seinem Einzug einen seiner Sekretäre angewiesen, er möge alles aufschreiben, was für seinen Empfang vorbereitet und ausgerichtet werde, damit er sich dafür erkenntlich zeigen könne. Als nun Fadl im Palast des Gouverneurs angekommen war, ließ er sich von seinem Sekretär unterrichten. Da kam der Vertreter der Christen herein, und Fadl sprach sogleich zu ihm: »Wünsch dir etwas!« Da sagte der Christ: »Möge er mir gestatten, eine neue Kirche zu bauen!« Fadl gestattete ihm dies, und so wurde in Kairouan eine neue Kirche errichtet.

(Aus Raqîq al-Kâtib al-Qairawânî, Târîkh Ifrîqiyah wa-l-Maghrib)

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