04.02.2011

Was man am wenigsten erwartet, ist normalerweise das, was passiert

Von Mohammed Abdelrahem

Abschalten des Internets, Stoppen der Mobilfunkdienste, Ausgangsverbot, Wasserkanonen,  Gummigeschosse, Knüppel und Tränengas müssen als Stichworte benutzt werden, wenn man im Internet neue Nachrichten aus Ägypten sucht. Demonstrationen, die weder von einer bestimmten Oppositionspartei  noch von den Islamisten (Muslimbrüder) geführt werden, legen seit dem 25. Januar 2011 Ägypten lahm. Der Protest ägyptischer Jugendlicher  hat das Volk seit dem 25. Januar 2011 durch Facebook- und Twittergruppen zur Revolution gegen Mubarak aufgerufen.

Aber man vergißt angesichts der gegenwärtigen Ereignisse leicht, dass die Protestbewegung in Ägypten eine Vorgeschichte hat, denn einige Gruppen in Ägypten konnten bereits in den letzten Jahren verschiedene, bisher jedoch schwache Protestbewegungen gründen, die schon vor dem 25. Januar  2011 für Freiheit, Demokratie und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage demonstriert haben. Jetzt revoltieren sie, zusammen mit vielen anderen, gegen das Regime.

Die Jugendbewegung  des 6. April
Die Jugendbewegung des 6. April ist eine Gruppe von jungen, gut ausgebildeten Ägyptern. Ahmad Maher gründete 2008 eine Facebookgruppe, die im April desselben Jahres den Streik der Textilarbeiter in Mahalla al-Kubra (einer Stadt nördlich von Kairo) unterstützen wollte. Außerdem protestierten ihre Anhänger 2008 gegen die israelische Bombardierung des Gaza-Streifens, wobei sich die Proteste erstmals auch direkt gegen Mubarak und dessen Israel-Politik richteten.


Die Gruppierung, die Facebook, Twitter, Flickr und andere Medien als schnelle Kontaktmittel benutze,  ist ihrer Eigendarstellung zufolge „unabhängig von politischen Richtungen oder politischen Trends“. Aber sie unterstützt andere Bewegungen wie die "Nationale Bewegung für Wandel" und zeigt sich offen für eine Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern. Die Ziele der Bewegung sind nicht nur der grundlegende Wandel hin zur Demokratie, sondern insbesondere das Recht, Parteien gründen zu dürfen, das Ende der Notstandsgesetzgebung und eine neue, ideologiefreie Verfassung.

Die "Nationale Gesellschaft für Wandel"
Die "Nationale Gesellschaft für Wandel", zu der sich im Februar 2010 zahlreiche Oppositionspolitiker zusammengeschlossen haben, wurde im Februar 2010 von Mohammed al-Baradei, dem Ex-Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), gegründet und schließt im Vergleich zu der Jugendbewegung des 6. April  bekannte Professoren, Juristen, Journalisten und Persönlichkeiten aus den offiziellen Oppositionsparteien ein, die gleichzeitig in der je eigenen Partei weiter wirken. Die Gesellschaft setzt sich für demokratische Reformen in Ägypten ein und sammelt Unterschriften für eine demokratische Verfassung. Bis heute hat sie ungefähr 250.000 Unterschriften gesammelt. Die angestrebte Sammlung von einer Million Unterschriften soll von der Bewegung als Druckmittel gegenüber dem ägyptischen Regime benutzt werden,  um die geforderten Reformen zu erfüllen. Die Bewegung zielt vor allem auf eine Außerkraftsetzung der Notstandesgesetzgebung und die Veränderung der Artikel 76 und 77 der ägyptischen Verfassung, die sich mit dem Prozess der Präsidentenwahl befassen. Am 6. September 2010 rief El-Baradei zum Boykott der für November anstehenden Parlamentswahlen in Ägypten auf, weil diese Abstimmung mit Sicherheit manipuliert werden würde.

Die Bewegung "Kifaya" (Es reicht!)
"Kifaya" – zu deutsch "Genug" oder "Es reicht" – wurde im Jahr 2004 nach einer Kabinettsumbildung von ungefähr dreihundert ägyptischen Intellektuellen, Muslimbrüdern, Linken und Liberalen als politische Bewegung in Ägypten gegründet. Grund für die Entstehung der Bewegung war eine Kampagne für eine Direktwahl des ägyptischen Präsidenten. Einer ihrer Slogans lautete dabei "kifaya", was sich auf die über 30-jährige Amtszeit des ägyptischen Präsidenten Mubaraks bezieht. Die Reaktion des ägyptischen Regimes auf die zunehmende Aktivität der Bewegung in 22 Provinzen der 26 Gouvernements in Ägypten waren Verhaftungswellen. Kifaya wurde und wird noch von vielen Zeitungen der Opposition unterstützt, die in der Bewegung auch eine Motivation für die Entstehung weiterer Bewegungen sehen. Am 27. April 2005 demonstrierte die Gruppierung in 15 verschiedenen Städten, wobei allein in Luxor 1200 und in Kairo 500 Teilnehmer gezählt wurden. Nach verschiedenen Angaben wurden diese teilweise geschlagen, 45 bis über 75 Personen – die genaue Zahl ist unbekannt – vorübergehend verhaftet. Bei den Versammlungen waren Parolen wie "Schluss mit der Korruption!" und "Nieder mit Mubarak!" zu hören, nachdem der Präsident am Vorabend erklärt hatte, er habe noch nicht entschieden, ob er bei den kommenden Präsidentschaftswahlen wieder kandidiere.

Hinweis:
Einen  interessanten Artikel zum gleichen Thema gibt es seit dem 07.02.2011 auf Qantara.de:
Genealogie des ägyptischen Frühlings
Die Ägypter galten lange als friedfertiges, duldsames Volk. Doch die jüngsten Proteste kommen nicht aus einem luftleeren Raum: Bereits 2004 bildete sich die Protestbewegung "Kifaya!". Ägypten ist weiter, als wir das wahrnehmen wollen, schreibt Stefan Winkler.