07.02.2011

»Game Over«?

Über die Befürchtung, daß sich die Ägypter ihre Revolution rauben lassen

Von Marco Schöller


Gestern, heute und vermutlich die nächsten Tage sind die entscheidenden Tage der ägyptischen Revolution. Alles steht jetzt auf dem Spiel ... und es sieht fast so aus, als sei das Spiel vorbei: Game Over – aber die Verlierer sind vielleicht die protestierenden Menschen in Ägypten.

Der Pharao ist tot, es lebe der Pharao!

Der Coup des Westens
Die westlichen Regierungen einschließlich der USA haben sich auf eine Übergangslösung geeinigt, die nun in Ägypten wohl »zur Anwendung« kommen wird: Mubarak geht, das Regime bleibt. Neuer Chef des Regimes wird voraussichtlich der berüchtigte Omar Suleiman werden, Chef des Geheimdienstes und einer der verläßlichsten Parteigänger der USA in Ägypten. Amerikanische Medien titulieren ihn seit Tagen als Mr Torture und verweisen auf seine engen Beziehungen zur CIA. Sollte Mubarak bald seinen Platz räumen, worauf einiges hindeutet, dann würde man also von Suleiman einen geordneten Übergang zu demokratischen Verhältnissen erwarten. Zeugt das jetzt aber von Optimismus, wenn man Suleiman zutraut, er werde nach dem Abgang Mubaraks eine Selbstauflösung des ägyptischen Regimes und einen Wandel hin zu demokratischen Verhältnissen zustandebringen oder auch nur anstreben? Nein, es zeugt nicht von Optimismus, sondern von Naivität oder Verschlagenheit. Und ich tendiere zu letzterem.

Erleben wir vielleicht gerade einen der gelungensten Coups der westlichen Außenpolitik der letzten Jahrzehnte? Die Strategie der westlichen Regierungen, die das Regime in Ägypten trotz aller Rhetorik wohl am Leben erhalten wollen, könnte aufgehen. Man spekuliert,so hat es den Anschein, derzeit wie folgt: Mubarak wird gehen, und eine der Hauptforderungen der Demonstranten ist erfüllt. Suleiman rückt nach und macht weiter wie bisher. Nein, das legt man ihm natürlich nicht nahe, man fordert ihn zu Reformen auf und zu einer Änderung der Verhältnisse. Das kann man auch leicht tun, denn es würde Monate dauern, das umzusetzen. In dieses Horn stoßen ja auch die westlichen Regierungschefs: »Demokratie funktioniert nicht von heute auf morgen«, »ein sofortiger Umbruch würde in Anarchie enden« usw. usw. Suleiman gewänne also Zeit – wie es ja die erfolgreiche Strategie des Regimes und des Westens bisher gewesen ist, Zeit zu gewinnen. Denn die Zeit arbeitet gegen die Protestierenden in Ägypten.

Und so könnte das schmutzige Spiel des Westens, das bei längerem Hinsehen immer schmutziger wird, aufgehen: Die Zeit zermürbt die Demonstranten, immer mehr Leute sehnen sich – was ja verständlich ist – nach einer Normalisierung der Verhältnisse. Wirtschaftliche Engpässe machen dem Protest zu schaffen, und über die letzten Tage ist zu beobachten, daß sich eine gewisse Frustration breitmacht. Für das Regime – und für die westlichen Staaten – lautet die Parole: Aussitzen. Und das funktioniert immer besser, mit jedem Tag.

Die verlogene Distanzierungs-Rhetorik
Derweil üben sich die westlichen Regierungen in Distanzierungs-Rhetorik, zuerst in Brüssel und jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz: »Wir müssen uns hüten, den Ägyptern irgendwelche Lehren zu erteilen«, »die Ägypter müssen selbst bestimmen, wer sie regieren sollte«, so oder ähnlich tönt es seit Tagen in allen Interviews mit maßgeblichen Vertretern westlicher Regierungen. Aber das, was hier scheinbar gesagt wird, ist nicht gemeint: es geht nicht darum, daß man sich von außen nicht einmischen wolle oder daß Europa einem anderen Land »keine Lehren erteilen« dürfe. Vielmehr dienen diese Aussagen als willkommene Entschuldigung, sich überhaupt nicht zu den Ereignissen in Ägypten positionieren zu müssen. Die ganze verlogene »Wir-dürfen-den-Ägyptern-nicht-sagen-was-sie-machen-sollen-Rhetorik« soll kaschieren, daß sich der Westen nach wie vor weigert, klar Stellung zu beziehen. Die westlichen Regierungen haben doch sonst, wenn es ihnen am Platz scheint – etwa im Fall des Irans oder sogar der Türkei – keine Scheu, den dortigen Regierungen und Völkern mitzuteilen, was der Westen von ihnen erwartet und was sie zu tun und zu lassen hätten?

Nicht so in Ägypten. Da haben wir jetzt einen Volksaufstand, der zu Verhältnissen führen könnte, die den Werten entsprechen, die die westlichen Politiker immer propagieren, und jetzt fällt ihnen nichts Besseres ein, als gebetsmühlenartig zu wiederholen: »Das müssen die Ägypter selbst wissen«, »da dürfen wir uns nicht einmischen«. Die Wahrheit ist: Der Westen will sich nicht einmischen, weil er immer noch hofft, daß sich die Strukturen des alten Regimes – wenn auch nicht die Galeonsfigur Mubarak – irgendwie retten lassen. Weil die Politiker sich aber nicht vorwerfen lassen wollen, sie würden wie bisher weiterhin die Werte verraten, die sie immer im Mund führen, kommt ihnen die »Wir-dürfen-uns-nicht-einmischen-Rhetorik« und »Wir-dürfen-keine-Ratschläge-geben-Rhetorik« gerade recht. Ich frage mich: Wenn es jetzt einen Aufstand im Iran gäbe, würde sich Westerwelle vor das Mikrofon stellen und sagen, der Westen dürfe den Iranern keine Ratschläge geben?

Diese Rhetorik zu kritisieren bedeutet nicht, daß sich der Westen in Ägypten überhaupt einmischen solle. Günter Grass hat heute abend zu bedenken gegeben, daß der Westen nicht »den Demokratie-Begriff für sich gepachtet« habe. »Die westlichen Staaten hätten selber alle Hände voll zu tun mit ihren angeschlagenen Demokratien« sagte er. Aber darum geht es nicht. Denn der Westen mischt sich ja seit Tagen ein, hinter den Kulissen in Kairo, und sorgt für einen »geordneten Übergang«, was aller Wahrscheinlichkeit nach darauf hinausläuft, daß das neue Regime das alte sein wird – ein bißchen Stühlerücken und Köpfe-Austauschen inbegriffen. Und während man hinter den Kulissen fieberhaft arbeitet, überschwemmt man die westlichen Medien mit Statements, wonach man sich nicht einmischen dürfe, den Ägyptern keine Lehren erteilen wolle und sich generell nicht zur Frage äußern möchte, wer in Zukunft am Nil regiert. Es ist eine einzige Verlogenheit.

Ich hoffe für die Ägypter, daß sie die Kraft und den Mut aufbringen, den Protest fortzuführen. Wenn sie das nicht tun, dann ist Game Over, und das Volk wird der Verlierer sein. Vom Westen haben sie nichts zu erwarten. Allenfalls können sie ihm eine Lehre erteilen. Und ich hoffe sehr, daß sie das tun.




NACHSCHRIFT /Presse zum Thema, 07.02.2011, 19:00 Uhr

Deutsche Außenpolitik: Das Despoten-Dilemma (SPIEGEL-Online)

Westerwelle warnt vor übereilten Neuwahlen (Deutsche Welle):
Ungeachtet anhaltender Proteste gegen den amtierenden Präsidenten Husni Mubarak warnt Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor übereilten Neuwahlen in Ägypten. Die Opposition müsse sich zunächst organisieren und bekannt machen, betonte der FDP-Politiker in Berlin. Wer der demokratischen Mittelschicht nicht genügend Zeit einräume, um sich zu formieren, der spiele lediglich Autokraten und religiösen Fundamentalisten in die Karten, so Westerwelle.

Demokratiebewegung ohne Unterstützung aus Europa (Deutsche Welle / Bettina Marx):
Ägypten protestiert und fordert das Ende der Regentschaft Mubarak, doch der Westen schweigt. Zum Teil sind sogar Forderungen an die Demonstranten zu hören, die eine Reform unter Moderation des alten Regimes anmahnen.

dpa-Meldung: Berlin hält sich mit Rücktrittsforderung an Mubarak zurück:
Berlin (dpa) – Die Bundesregierung unterstützt die Demokratiebewegung in Ägypten. Mit Forderungen nach einem Rücktritt von Präsident Husni Mubarak hält sie sich aber weiterhin zurück. Wer in Ägypten regiere, entscheide ausschließlich das ägyptische Volk, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Immer noch wird darüber spekuliert, dass der Staatschef bei einem vorzeitigen Abgang Zuflucht in Deutschland finden könnte. Die Bundesregierung ging darauf aber nicht ein.

Zweiter Nachtrag am 08.02.2011, 01.00 Uhr

Regierung will revoltierendes Volk mit Geld besänftigen (FOCUS-Online / 7.2.2011)

Regime verschärft Kontrollen (SPIEGEL-Online / 7.2.2011 / Matthias Gebauer)
Bürokratische Schikanen, Festnahmen und subtile Drohungen gegen Journalisten - das ägyptische Regime versucht, die Berichterstattung über die Krise im Land wieder in den Griff zu bekommen. Vergessen sind die Versprechungen des Vizepräsidenten. 

Deutliche Signale: Kapitalinteressen und Ägypten (Junge Welt / 8.2.2011 / Rainer Rupp)
Auf die spontane Demokratiebewegung im Mittleren Osten reagierten die »westliche Wertegemeinschaft« und ihre medialen Hofschreiber zunächst mit Panik. Insbesondere die Entwicklungen in Ägypten verfolgten sie mit »großer Sorge«, die sie in den vergangene Jahrzehnten, in denen die herrschende Clique um den Despoten Hosni Mubarak massenhaft mordete und folterte, nie äußerten. (...) Die ersten Reflexe weichen, je länger die Situation am Nil ungeklärt bleibt, allerdings wieder dem Kalkül.

 

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