24.02.2011

"Nubische Garden"

Der Einsatz schwarzafrikanischer* Söldner in Libyen setzt eine unselige, über 1000-jährige Tradition arabischer Autokraten fort

Von Marco Schöller

I
Seit Freitag hat es zunächst wenige und unsichere, dann immer mehr und bestätigte Nachrichten gegeben, daß das Gaddafi-Regime in Libyen Söldner aus subsaharischen Staaten einsetzt, um gegen das libysche Volk vorzugehen. Inzwischen ist das unbestreitbar, nicht zuletzt auch dank der Photos und Videos aus Libyen, die im Internet und den internationalen TV-Kanälen kursieren. Mehrere Videos zeigen überwältigte Söldner, tot oder lebendig.

Auch über die Herkunft dieser Söldner weiß man inzwischen mehr, denn es scheint sich v.a. um Soldaten aus Guinea und dem Tschad, möglicherweise auch aus Niger und Nigeria zu handeln; entsprechende Dokumente, die z.B. eine Verbindung zu Guinea belegen, wurden bei überwältigten Söldnern gefunden. Die Frage der Herkunft war über mehrere Tage unsicher: Zuerst hieß es, sie stammten aus Mali, und im Internet meldete man auch, daß "koreanische" Söldner und solche aus Bangladesh beteiligt seien. Letztere Meldung konnte nicht bestätigt werden. Bereits am Samstag wurde nach französischen Angaben berichtet, die Söldner seien Separatisten aus dem Sudan und dem Tschad, die in Libyen Trainingslager hätten und eigentlich für den Kampf in Darfur gedacht seien. Gleichzeitig wurde mehrfach gemeldet, Söldner würden für den Kampf in Libyen erst eingeflogen. Über die Anwerbung und den Transport der Söldner kursierten dann am Montag und gestern zahlreiche Gerüchte, deren Wahrheitsgehalt sich nicht überprüfen läßt. So hieß es, das libysche Regime plane, Flugzeuge ziviler Fluggesellschaften auf libyschen Flughäfen zu requirieren, um Söldner einzufliegen; ein Gesandter Gaddafis soll sich in Kairo (umsonst) darum bemüht haben, Luftraum für diesen Zweck "einzukaufen". Schließlich wurde behauptet, daß in mehreren subsaharischen Staaten – Guinea und Nigeria wurden explizit genannt – Handzettel kursieren sollen, die einen Tagessold von $ 2000 oder mehr versprachen, falls sich Männer zum Kampf in Libyen meldeten. Alle diese Meldungen sind nicht bestätigt.
Videos, die schwarzafrikanische Söldner zeigen sollen

Aber vielleicht waren die "Söldner" auch längst im Land: Christoph Ehrhardt und Thomas Gutschker weisen in der FAZ (Loyal zum Stamm, nicht zum Regime / 23.02.2011) darauf hin, daß es sich bei den Söldner um Überreste der "Islamischen Legion" Gaddafis handeln könnte:
1972 stellte Gaddafi außerdem eine Islamische Legion auf, mit der seinen Traum von einem großen islamischen Staat in der Sahelzone verwirklichen wollte. Sie bestand aus Söldnern, die Gaddafi in Sudan, Mali, Tschad, Tunesien und Ägypten anwarb. ... Die Legionäre wurden vor allem im Tschad eingesetzt, wo sie den Aouzou-Streifen im Norden besetzten. Nachdem sie 1987 von dort vertrieben worden waren, soll Gaddafi die Legion aufgelöst haben. Ganz sicher ist das aber nicht. Das Forschungsinstitut CSIS in Washington mutmaßt in einer Studie vom Juli 2010, dass die Legion weiterhin mit 2500 Mann bestehen könnte. ... Womöglich sind dies die „afrikanischen Söldner“, von denen derzeit immer wieder die Rede ist.
Für weitere Meldungen, Gerüchte, Hypothesen siehe auch hier:

Gaddafis Bluthunde aus Schwarzafrika 
(Die Presse / 22.02.2011)
Is Zimbabwe Sending Commandos to Kill Libyan Protesters?
(The Atlantic Wire / Elspeth Reeve / 23.02.2011)
A History of Middle East Mercenaries
(TIME / Ishaan Tharoor / 23.02.2011)
How Much Does It Cost To Hire an African Mercenary? Maybe a thousand bucks, but don't forget the king's shilling
(slate.com / Stayton Bonner / 23.02.2011)
Der Terror der schwarzafrikanischen Söldner-Truppe
(kurier.at / 23.02.2011)

(Nachtrag 02.03.2011: Weitere Hinweise siehe am Ende des Beitrags)

Es ist aber, wie gesagt, sicher, daß schwarzafrikanische Söldner in Libyen im Einsatz waren und immer noch sind. Offensichtlich traut das Gaddafi-Regime der eigenen Armee nicht, weil man befürchtet, die libyschen Soldaten würden nicht auf Landsleute schießen. Tatsächlich sind ja bisher einfache Soldaten wie auch hochrangige Offiziere desertiert. Heute kursierten Videos, die Leichen von gefesselten Soldaten zeigen, die offensichtlich hingerichtet wurden. Nach Angaben von Aljazeera soll es sich dabei um libysche Soldaten handeln, die getötet wurden, als sie sich weigerten, Befehle auszuführen. Und in den letzten zwei Tagen häufen sich die (inzwischen auch durch Fernsehaufnahmen bestätigten) Berichte, daß ganze Truppenteile der libyschen Armee und deren Anführer an verschiedenen Orten zu den Aufständischen übergelaufen sind. Nicht der eigenen "Volksarmee" zu vertrauen ist deshalb, aus Sicht des Gaddafi-Regimes, naheliegend – und steht in einer jahrhundertealten Tradition arabischer Autokraten, die die Macht und die Nähe ihrer Untergebenen fürchten.

II
Sich Söldnern zu bedienen ist kein neues Phänomen in der politischen Geschichte der arabischen Welt. Bereits die abbasidischen Kalifen setzten im 9. Jahrhundert u.Z. auf türkische Truppen, und die Türken sollten in den kommenden Jahrhunderten die Geschicke eines großen Teils der arabischen Welt bestimmen. Und meist wurden dabei aus den Söldnern schnell selbst Herrscher, wie bekanntermaßen etwa unter der 250-jährigen Herrschaft der Mamlûken in Ägypten (1250–1517). Aber speziell in Nordafrika spielten schon seit dem 9. Jahrhundert schwarzafrikanische Söldner eine große Rolle, was ich im folgenden an einigen Beispielen illustrieren möchte.

Zu einem besseren Verständnis der geschichtlichen Zusammenhänge muß ich noch vorausschicken, daß der Begriff "Söldner" üblicherweise nicht in bezug auf die Verhältnisse in der arabischen Welt bis ins 19. Jh. verwendet wird, obwohl man das Phänomen durchaus als "Söldnertum" bezeichnen könnte, weil es grundsätzlich ein solches ist: Kampferfahrene Männer, die von auswärts gegen Bezahlung angeworben oder (in früheren Zeiten) auch zwangsrekrutiert werden, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen – im Regelfall den Schutz oder die Verteidigung eines Herrschers. (Weil auch den Zwangsrekrutierten Sold gezahlt wurde, wird der Begriff "Söldnertum" selbst bei Zwangsverpflichtung nicht unpassend.) Im Fall Nordafrikas waren es Männer aus der subsaharischen Zone, die sich – in modernen Staatsgrenzen gesprochen – von Mauretanien und Senegal über Mali, Nordnigeria, Niger und Tschad bis in den Sudan erstreckt. Bis ins 19. Jh. war dieser weite Landstreifen einfach als "Sudan" bekannt, nicht zuletzt deshalb, weil as-Sûdân im Arabischen "die Schwarzen" bezeichnet.

Die Krieger, die man aus diesem Landstrich nach Nordafrika rekrutierte, besaßen üblicherweise Sklavenstatus, und hier liegt einer der Hauptgründe, warum sie in der heutigen Geschichtswissenschaft meist nicht als "Söldner" bezeichnet werden, sondern eben als "Sklavensoldaten". Aber "Sklaven" im eigentlichen Wortsinn waren sie vor allem nach ihrem Status vor dem Gesetz, in vielerlei Hinsicht aber nicht de facto: Sie hatten Anrecht auf Besitz, lebten mit Familien, wohnten zusammen in eigenen Siedlungen oder Kasernen und bekamen auch einen Sold. Sowohl vom Lebensstandard als auch von den Lebensbedingungen unterschieden sie sich nicht von der Mehrheit der Bevölkerung. Daß sie einen eingeschränkten Rechtsschutz genossen, war ebenfalls vor allem theoretisch von Belang, denn auch die "Freien", die im Prinzip rechtlich besser gestellt waren, waren oft nicht in der Lage, sich diesen Rechtsschutz auch zu verschaffen. Im Gegenteil war es den Sklavensoldaten aufgrund ihrer realen Macht oft eher möglich, sich trotz ihres theoretischen Sklavenstandes Recht zu verschaffen, was anderen, wenn auch freien, Einwohnern nicht gelang, obwohl es ihnen zustand. Im Grundsatz handelte es sich daher in fast allen praktischen Belangen um eine Berufsarmee, die keine emotionalen oder ethnischen und oft auch keine sprachlichen Bindungen zu der Region hatten, in der sie eingesetzt waren: Klassische Söldner eben. Und sie waren aufgrund der mangelnden Bindung zu ihrer Umgebung erwartungsgemäß verläßlich, solange es nicht soweit kam, daß sie zu einem "Staat im Staat" und somit zu einer Bedrohung wurden.

III
Die erste schwarzafrikanischen Söldnertruppen, von denen wir in der arabischen Geschichte Nordafrikas hören, wurden nach Beginn des 9. Jhs. von der Dynastie der Aghlabiden in Ifrîqiya (dem Gebiet des heutigen Tunesiens) angeworben. Schon die Statthalter der Kalifen, die vor 800 in Ifrîqiyah herrschten, hatten ausländische Truppen ins Land gebracht, allerdings noch keine Söldner, sondern Araber aus dem Nordosten des Kalifenreiches, nämlich aus Khurâsân (im heutigen Nordostiran). Diese kamen in großer Zahl mit den abbasidischen Gouverneuren nach Nordafrika, da auch diese selbst aus Khurâsân dorthin beordert wurden. Es handelte sich aber um ethnische Araber, wenn sie auch von auswärts zu denen stießen, die bereits in Ifrîqiya lebten, und sie wurden nicht nur zur Sicherung der abbasidischen Herrschaft, sondern auch zur Besiedlung der neuen Provinz gebraucht.

Die Aghlabiden aber, die sich um 799/800 in Ifrîqiyah de facto unabhängig machten (und nur noch auf dem Papier die Oberhoheit der abbasidischen Kalifen anerkannten), begannen, eine Kampftruppe aus »Schwarzen« aufzustellen. Diese Söldnertruppe wurde in Kairouan (arab. Qairawân) in unmittelbarer Nähe des neuen Palastes der Aghlabiden kaserniert und sollte dort den persönlichen Schutz der Aghlabiden-Herrscher gewährleisten. Die schwarzen Truppen hatten, anders als die aus Khurâsân gekommenen Araber vor ihnen, offiziell Sklavenstatus, und zwar im oben beschriebenen Sinn. Die schwarzen Söldner dienten den Aghlabiden weniger als Kampftruppe, sondern vielmehr als Leibgarde. Sie waren sogar anwesend, wenn der Herrscher Gelehrte oder Richter vorlud, wovon in den Quellen mehrfach berichtet wird. Die persönliche Loyalität gegenüber der Person des Herrschers war dabei von größter Wichtigkeit und insofern die eigentliche raison d'être dieser Garde. Noch die Statthalter der abbasidischen Kalifen hatten zuvor versucht, sich eine Leibgarde aus Berbern aufzubauen, aber da diese aus der Region stammten, erwiesen sie sich als unzuverlässig ... und obwohl man ihnen angeblich den Namen des jeweils zu schützenden Gouverneurs auf den Arm tätowieren ließ, brachten sie mehr als einen ihrer Schutzbefohlenen ums Leben.

Die Tradition, eine Leibgarde aus schwarzen "Sklavensoldaten" zu unterhalten, finden wir in der Geschichte Nordafrikas, und teils auch in anderen Regionen der arabischen Welt, über die Jahrhunderte noch mehrfach. Das Bild des schwarzen "Leibwächters" oder der "schwarzen Garde", das fließend in den Topos des "schwarzen Haremswächters" übergeht, fand dann schließlich auch Eingang in den Bilderkanon des europäischen Orientalismus, so daß es sich in der (verkitschten) orientalistischen Malerei des späten 19. Jhs. wiederholt findet. Im folgenden zwei typische Abbildungen, jeweils betitelt "Nubische Garde" – links ein Gemälde von Rudolf Weisse, rechts von Ludwig Deutsch (1855-1935):

IV
Der bekannteste Fall, daß sich ein nordafrikanischer Herrscher eines stehenden Heeres – und nicht nur einer Leibgarde – von schwarzafrikanischen Soldaten bedient hat, ist aus der Geschichte Marokkos bekannt. Noch vor Beginn des 18. Jhs. begann Moulay Ismail (reg. 1672–1727), der erste große Herrscher der noch heute bestehenden "Alawî-" oder "Scharîfen"-Dynastie, in großem Stil ein Heer aus schwarzafrikanischen Sklavensoldaten aufzubauen, welches dann einfach 'abîd genannt wurde – arab. "Sklaven". Schon um 1700 gab es 'Abîd-Kasernen in fast allen Städten und Regionen Marokkos. Zu dieser Zeit kontrollierte der marokkanische Sultan weite Gebiete Westafrikas bis hinab ins heutige Senegal und nach Mali. Die Motivation des Sultans, sich ein solches Heer zuzulegen, war dieselbe, die schon in vorhergehenden Jahrhunderten galt und heute auch für das Gaddafi-Regime noch Gültigkeit hat: Er wollte eine Streitmacht haben, die von den lokalen Solidaritäten und Bindungen frei und deshalb umso loyaler sein würde. Im speziellen Fall Marokkos hoffte Moulay Ismail auf diese Weise, dem Konflikt zwischen Arabern und Berbern – und der Sultan verdarb es sich mit den einen, wenn er sich mit den anderen einließ, und umgekehrt! – ganz aus dem Weg zu gehen, indem er sich eine Streitmacht aufbaute, die weder zu den Arabern noch zu den Berbern Bindungen hatte, sondern ganz seiner Person und seiner Dynastie ergeben war.

Die sunnitischen Gelehrten in Fez waren übrigens, was die Rechtmäßigkeit dieser Sklavenarmee angeht, durchaus nicht einer Meinung, und die Dispute, die man damals betreffs dieses Themas über den Status von Sklaven bzw. Sklavensoldaten führte, gehören bis heute zu den interessantesten Dokumenten über den innerislamischen Streit über die Rechtmäßigkeit und den legalen Umfang von Sklaverei. Und das, obwohl es sich bei den "Sklavensoldaten" ja eher theoretisch um Sklaven handelte, diese aber kein "Sklavenleben" im antiken oder auch sonst bis heute landläufigen Sinn führten. Zwar wurden sie in jungem Alter zwangsrekrutiert, wodurch ihr Schicksal insgesamt dem der aus dem Kaukasus "importierten" Tscherkessen unter den Mamlûken Ägyptens oder dem der Janitscharen im Osmanischen Reich ähnelte. Sie wurden also in den militärischen Beruf gezwungen. Aber später, nach der Ausbildung, konnten sie – im Rahmen und unter den Bedingungen ihres soldatischen Umfelds – mehr oder weniger frei agieren, ggf. auch hoch aufsteigen und zu beträchtlichem Einfluß gelangen. Einige der schwarzen Offiziere schafften es bis in die Entourage des Sultans ... und einige ihrer Töchter in die Familie des Herrschers. Der Sultan selbst war von den Zweifeln der Rechtsgelehrten im übrigen unangefochten und ließ seine schwarzen Söldner Treue auf das Buch von al-Bukhârî schwören – die angesehenste und wichtigste Sammlung von Überlieferungen des Propheten und eines der bedeutendsten Bücher der islamischen Religion.

Nach dem Tod von Moulay Ismail und während der anschließenden Streitigkeiten um die Nachfolge zeigte sich aber bald, daß dieses schwarze Heer dem Sultanat mehr schadete als nützte. Nicht zuletzt deshalb, weil man nach der ersten Generation die neuen Soldaten nicht mehr aus subsaharischen Gebieten holte, sondern unter den Nachkommen der Schwarzen in Marokko selbst rekrutierte ... auf diese Weise bauten sich diese nicht nur eine gewisse "Hausmacht" auf, sondern entwickelten auch eine interne Solidarität. Beides wurde nun, nach dem Ableben des Sultans, dem sich diese Truppen allein verpflichtet fühlten, zur Gefahr: Das schwarze Heer plünderte und brandschatzte, machte sich die allgemeine Anarchie zunutze und geriet in blutigen Konflikt mit Arabern und Berberstämmen. Die Araber und Berber wiederum sahen nach dem Tod des Sultans die Stunde gekommen, mit den schwarzen Truppen des vormaligen Herrschers abzurechnen. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die dadurch ausgelöst werden, zogen sich über mehrere Jahrzehnte hin und können als eine der dunkelsten Zeiten der marokkanischen Geschichte gelten.

Erst Sîdî Muhammad III. (reg. 1757–1790) gelang es, Marokko wieder zu befrieden und die Kontrolle über das Heer der 'Abîd zurückzugewinnen; ein Großteil der schwarzen Truppen wurde in den 1780er Jahren überhaupt aufgelöst. Doch auch weiterhin besaßen die marokkanischen Herrscher bis ins 20. Jh. sowohl einige wenige "reguläre Truppen", die aus Schwarzafrikanern bestanden, als auch eine schwarze Leibgarde. Eine Aufnahme von einem Umritt des Sultans Yûsuf I. (1912–1927), die nach dem Einmarsch der Franzosen in Marokko gemacht wurde, zeigt diese Garde:


* Anmerkung des Autors vom 02.03.2011:

Ich bedanke mich für den Kommentar von Anonym vom 01.03., der zurecht auf rassistische Konnotationen des Begriffs "schwarzafrikanisch" hinweist. Derlei konnotative Absichten liegen mir natürlich fern. Im vorliegenden Beitrag wurde der Begriff eher im geographischen, nicht im ethnischen Sinn verwendet, d.h. "schwarzafrikanisch" als Gegensatz zu "nordafrikanisch", demnach in etwa im Sinn von "subsaharisch". Allerdings möchte ich auch anmerken, daß der Begriff "schwarzafrikanisch" nicht allein "eurozentrisch" und ebensowenig erst im Lauf des europäischen Kolonialismus entstanden ist. Die Einteilung Afrikas in einen "schwarzen" und einen "nicht-schwarzen" Teil ist jahrhundertealt und bereits in der vormodernen arabischen Kultur üblich, die den "schwarzen" (=subsaharischen) Teil Afrikas summarisch als "(Bilâd as-Sûdân)" bezeichnete, was ja einfach "(Region) der Schwarzen" bedeutet. Fanon, der diese ethnische "Regionalisierung" kritisert, sieht nur die europäische Perspektive und dementsprechend nur die negativen Konnotationen. In der arabischen Kultur, in der gleichwohl Vorurteile gegen Schwarze kursierten, kann man insgesamt aber nicht sagen, daß die Bezeichnung eines Teils Afrikas als "(Region) der Schwarzen" immer abwertend gemeint war. Immerhin lagen bedeutende islamische Kulturregionen, die über die islamische Religion und Gelehrsamkeit arabisch geprägt waren, in eben diesem "schwarzen" Afrika (Timbuktu, Sokoto usw.), so daß man beim arabischen Gebrauch des Begriffs nicht generell davon ausgehen kann, daß "Schwarzafrika" eine kulturlose, unzivilisierte Region meinte. Andererseits gab es den umfangreichen, von Arabern betriebenen Sklavenhandel, in dessen Umfeld sich dann all die negativen Bewertungen über Schwarze finden, die aus den Kolonialdiskursen Europas bekannt sind.
Ich gebe zu, daß es uns Orientalisten auch aufgrund unserer Beschäftigung mit der arabischen Welt leicht von der Feder geht, von "Schwarzafrika" zu sprechen - schon deshalb, weil es eine bequeme Abgrenzung von Nordafrika (= Maghreb) ermöglicht. Der in den arabischen Quellen übliche Gebrauch von "as-sûdân" verführt dazu, diesen Gebrauch des Begriffs zu übernehmen. Ich bin mir aber bewußt, daß in europäischen Diskursen der Begriff nicht ohne Rücksicht auf den kolonialen Diskurs benutzt werden kann. Freilich bin ich noch auf der Suche nach einem Begriff, der den Teil Afrikas unterhalb Nordafrikas (des Maghrebs) summarisch bezeichnen kann. Bisher ist m.W. lediglich "subsaharisch" in allgemeinem Gebrauch.
Im übrigen sollte der Beitrag nicht den Eindruck erwecken, "Schwarzafrikaner" eigneten sich besonders gut als Söldner oder Sklavensoldaten, etwa weil man Schwarze - den negativen Konnotationen von "schwarzafrikanisch" folgend - für unzivilisiert oder brutal zu halten habe. Söldner und Sklavensoldaten gab es in der islamischen Welt überall: im Osten vor allem Tataren oder Tscherkessen aus dem Kaukasus, Türken aus Zentralasien und - im Osmanischen Reich - slavische Ethnien vom Balkan. In al-Andalus waren bis ins 12. Jh. Nordeuropäer (Normannen, Slaven) als Söldner tätig. Speziell im nordafrikanischen Bereich sind hierbei die Verbindungen zum subsaharischen Afrika relevant gewesen.

Gestern (01.03) ist auf http://www.jadaliyya.com/ auch ein Artikel zu eben dieser Thematik erschienen: The Arabs in Africa von Callie Maidhof.
Die ggf. vorhandenen rassistischen Konnotationen des Begriffs "schwarzafrikanisch" werden nicht ausdrücklich diskutiert, wohl aber geht es um das Verhältnis der Araber zu subsaharischen Afrikanern. Im Artikel heißt es unter anderem:
One point further distinguishes Qaddafi’s mercenaries from both the revolutionaries and Mubarak’s thugs: that they are continuously referred to as “African.” This should be an empty signifier, like saying that European mercenaries were hired to crush a revolt in Spain; after all, Libya is an African country and Libyans are Africans. But those of us who are watching the news know what is “meant” by this, and some reporters have been quick to correct themselves with either “black Africans” or, less frequently, “sub-Saharan Africans.” Although just one aspect of the current situation in Libya, I suggest that it should give us pause to consider the stakes of this conceptualization of a basic Arab-African or Arab-black antagonism—one that not only formulates these as mutually exclusive categories but also pins them against one another in the context of the Libyan revolution.
In light of this recent history, the videos and photographs of “African mercenaries” raise disturbing questions. Are the men we see pictured here perpetrators of state-sponsored violence, are they victims of racism, or is it possible that both of these things may be true at the same time? Are they being attacked in retaliation or in the course of a battle, or are they taken for mercenaries simply on the basis of their skin color? Is this just one more instance of non-citizens falling victim to a conflict that is not their own? Whether or not Qaddafi has recruited foreign mercenaries, it is clear that none of us ... are getting the full story. However, the speed with which this charge has been accepted as true should call into question our own assumptions about relations between Arab and black Africans.
 The story in Libya diverges considerably from that of Sudan, with black Africans and Arabs playing very different kinds of roles. Nonetheless, there is a recurring theme of the antagonism between (black) Africans and Arabs, one that reflects an inability of popular or even scholarly analysis to assimilate Arabs to the African continent.
Interessant finde ich, daß die Autorin darauf hinweist, daß im Fall des Staates Sudan (der ja einer Zweistaatenzukunft entgegengeht) die Konnotationen der Begriffe "Araber" und "Schwarze / Schwarzafrikaner" durchaus denen entgegenstehen, die nun im Fall Libyens durchscheinen. Im Fall des Sudan erscheinen ja die Araber als brutal, aggressiv usf., nicht so die Schwarzen. Ich bin nun aber mit der Berichterstattung über den Sudan nicht so vertraut, daß ich sagen könnte, inwieweit dort der Begriff "schwarzafrikanisch" Verwendung findet oder gar üblich ist.

Nachtrag 02.03.2011

Interessante Informationen zum im Detail immer noch nicht geklärten Einsatz von Söldnern in Libyen:

Libya's Alleged Foreign Mercenaries: More Gaddafi Victims? (TIME / ABIGAIL HAUSLOHNER / SHEHAT / 24.02.2011)
Originalartikel: Among Libya's Prisoners: Interviews with Mercenaries (TIME / 23.02.2011)

2 Kommentare:

  1. Die Bezeichnung "schwarzafrikanisch" hat leider eine rassistische Konnotation:
    Dazu ein Beitrag der Postkolonialen Theorie:
    Zu den Implikationen der Wörter „Schwarzafrika“ und „Schwarzafrikaner“ schreibt Frantz Fanon: „Man teilt Afrika in einen weißen und einen schwarzen Teil. Die Ersatzbezeichnungen: Afrika südlich der Sahara, können diesen latenten Rassismus nicht verschleiern.“ Mit dieser dem eurozentristischen Weltbild entspringenden Vorstellung wird laut Fanon vermittelt, das „weiße Afrika“ habe die Tradition einer „tausendjährigen Kultur“, sei quasi mediterran und würde Europa fortsetzen. Dem „weißen Afrika“, das an der abendländischen Kultur teilhabe, stelle man ein „schwarzes Afrika“ gegenüber, das als eine „träge, brutale, unzivilisierte – eine wilde Gegend“ dargestellt würde.

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  2. Marco Schöller2. März 2011 um 00:42

    Vielen Dank für diesen Kommentar. Ich habe dazu etwas als Anmerkung zu meinem Beitrag geantwortet.

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