13.02.2011

Wie die USA zum ersten Mal offizielle Kontakte mit islamischen Potentaten knüpften / 3

Eine denkwürdige Geschichte in mehreren Episoden – Teil 3

Ein historischer Essay von Marco Schöller


V
Am 14. Mai 1798 starb der alte Dey von Algier, Hasan, an den Folgen einer Krankheit, und sein Neffe Mustafâ trat als neuer Dey an seine Stelle. Fünf Tage später stach die französische Flotte – die größte Expeditionsarmee zur See seit dem 16. Jahrhundert! – von Toulon in Richtung Ägypten in See. Napoleon, damals noch bekannt als Bonaparte, war auf dem Weg in den Orient.

Der neue Dey Mustafâ 'Alî war ein »harter Hund«, dem jede Neigung zur Diplomatie, wie sie seinem Onkel Ḥasan noch in einem gewissen Maß zu eigen gewesen war, gänzlich abging. Als arrogant, jähzornig und habgierig, dazu als zur Grausamkeit, wenn nicht zum Wahnsinn, neigend beschrieben ihn zeitgenössische Beobachter. Er selbst war nicht erpicht darauf, das Amt anzutreten, weil er Angst um sein Leben hatte und wußte, auf welchem Schleudersitz er sich nun befand. Noch kurz zuvor hatte er mitansehen müssen, wie türkische Soldaten in den Palast des Deys eingedrungen waren und dort plünderten, während Dey Hasan auf dem Krankenbett lag. Kaum war aber Dey Hasan verstorben, machte sich Mustafâ als erste »Amtshandlung« an die Ausplünderung der Familie seines Onkels, wobei er unter anderem dessen Verwandten einsperren ließ, um von ihnen zu erfahren, wo Hasan seine Reichtümer versteckt hatte.

Nicht weniger zimperlich ging der neue Dey mit den Konsuln der europäischen Mächte um. Er verlangte von ihnen neue Geldgeschenke, wie es ja überhaupt üblich war, einem neuen Dey zur Amtseinführung eine beträchtliche Summe auszuhändigen. Ansonsten wurde er bei Audienzen auch handgreiflich, und als er dem schwedischen Konsul Brand einen Säbelhieb (oder einen Dolchstoß) versetzen wollte, rettete sich dieser, indem er geistesgegenwärtig die eigene Waffe zog: »Mehr als einmal setzte er sich der ganzen Wuth des Deys durch seine Vorschläge aus: dieser stach sogar einmal mit einem Dolch nach ihm, und nur ein Zufall rettete ihn von dieser augenscheinlichen Lebensgefahr.« (Politisches Journal 1800, 1. Band, Monatsstück Februar, S. 202)

Mit diesem neuen, unberechenbaren Dey bekamen es nun die Vertreter der USA zu tun, die in dieser Zeit den Weg nach Algier fanden. Als außenpolitische Greenhorns hatten sie dabei alle Mühe, sich in diesem maghrebinischen Intrigennest zurechtzufinden. Wie das alles vor sich ging, und was man von Dey Mustafâ zu erwarten hatte, kann man einer Schilderung aus der Feder von William Eaton entnehmen, der im Februar 1799 eine Audienz beim neuen Dey erhielt. Doch kurz die Vorgeschichte: Eaton war seit Juli 1797 Konsul der Vereinigten Staaten in Tunis und hatte zusammen mit James L. Cathcart, dem neu ernannten Konsul in Tripoli, die Vereinigten Staaten Ende Dezember 1798 auf der Brigg Sophia verlassen. Im Schlepptau hatten sie mehrere amerikanische Schiffe, die in Algier abzuliefern waren. Eaton und Cathcart kamen am 9. Februar 1799 in Algier an und erlebten dort am 22., nachdem sie die Schiffe übergeben hatten, eine Audienz beim Dey. Eaton beschrieb später das Geschehen im Stil eines Mark Twain:
Die Konsuln O’Brien, Cathcart und ich selbst, die Kapitäne Geddes, Smith, Penrose und Maley begaben sich vom Amerikanischen Haus in den Hof des Palastes. Wir nahmen unsere Kopfbedeckungen ab, betraten die Halle und stiegen ein gewundenes Labyrinth mit fünf Treppenfluchten empor, bis wir zu einem schmalen, dunklen Einlaß gelangten, der in ein enges Zimmer führte, etwa zwölf auf acht Fuß. Das war der Raum für Privataudienzen. Wir zogen unsere Schuhe aus und gingen in die Höhle hinein (denn eine solche schien es), in die Licht aus kleinen, mit Eisengittern bewehrten Öffnungen fiel. Man präsentierte uns einem riesigen, ungepflegten Untier, das auf einer niedrigen Bank auf seinem Rumpf saß, bedeckt von einem bestickten Samtkissen, die Hinterbeine wie ein Schneider oder ein Bär übereinandergeschlagen. Als wir uns ihm näherten, streckte es seine Vorderpfote aus, als wolle es etwas zu essen haben. Unser Führer rief aus: »Küßt die Hand des Deys!« Der Generalkonsul verbeugte sich sehr galant und küßte sie; wie folgten einer nach dem anderen seinem Beispiel. Das Tier schien gerade guter Stimmung und folglich harmlos zu sein; es grinste mehrmals, gab aber nur wenige Laute von sich. Nachdem wir diese Zeremonie vollführt und einige Momente in Agonie still gestanden hatten, durften wir gehen, um unsere Schuhe und anderen Gegenstände zu nehmen und den Bau zu verlassen. (…) Könnte irgendjemand glauben, daß sieben Könige Europas, zwei Republiken und ein Kontinent an dieses hochgestellte Biest Tribut zahlen, dessen ganze Seemacht doch nicht zwei Linienschiffen gleichkommt? Und doch ist es so! (Life of General Eaton [Brookfield 1813], S. 59 f.; noch zit. in Allen, Our Navy, S. 63 f.)
William Eaton hatte insofern recht, als die pekuniären Aspekte der Beziehungen mit den europäischen Staaten dem neuen Dey besonders am Herzen lagen. Schon bei der ersten Audienz, die er dem französischen Konsul Moltedo gewährte, verlangte er, Frankreich solle endlich seine Schulden, die es bei ihm hatte, begleichen. Ebenso schlug er in seinem ersten Schreiben an das Direktorium in Paris, im Juni 1798, sofort einen fordernden Ton an, der nichts Gutes verhieß. Er brachte eine noch ausstehende Kreditrückzahlung unverblümt zur Sprache und beklagte sich auch über andere Mißstände.

VI
Durch die Expediton Bonapartes war im Sommer 1798 der gesamte Mittelmeerraum in Aufruhr versetzt worden, und durch den französischen Angriff auf Ägypten war auch das Osmanische Reich in die französischen Revolutionskriege hineingezogen worden. Den Dey von Algier brachte die französische Ägypten-Expedition in eine heikle Lage: Zum einen unterstand er, wenn auch nur formell, der Oberhoheit des osmanischen Sultans, zum anderen profitierte er von der Freundschaft und von den Handelbeziehungen mit Frankreich. Wie aber mit zwei Seiten gute Beziehungen aufrechterhalten, die sich nun als Feinde gegenüberstanden? Und Frankreich war in dieser Zeit sowohl in Europa als auch in Algier einigermaßen isoliert, während sich Großbritannien und andere europäische Staaten darum mühten, den Dey von Algier ganz auf die Seite der Osmanen und somit in eine antifranzösische Koalition zu ziehen. Das hatte schließlich Erfolg, und am 21. Dezember 1798 erklärte der Dey Frankreich den Krieg.

Doch die Beziehungen zwischen der Regentschaft Algier und Frankreich kühlten sich nur ab, wurden aber nicht feindselig: beide Seiten versetzten sich Nadelstiche, aber es kam zu keinem offenen Konflikt. Das Jahr 1799 verging in diesem Zustand des »kalten Krieges«, und ab dem Frühjahr 1800 unternahm Frankreich wieder größere Anstrengungen, den Kriegszustand zu beenden. Französische Versprechungen und die Hoffnung des Deys, von einem Frontenwechsel zu profitieren, führten am 20. Juli 1800 zu einem unbefristeten Waffenstillstand, der in Algier von Dey Mustafâ und dem französischen Konsul Thainville unterzeichnet wurde. Am 30. September schloß man dann einen »Vorfriedensvertrag«, und Dey Mustafâ schrieb an Bonaparte, er erkenne ihn als rechtmäßigen Herrscher über Frankreich und als Konsul an.

Die erneute Einigung zwischen der Regentschaft Algier und Frankreich brachte nun wieder Großbritannien und das Osmanische Reich auf den Plan, denen die Einigung Algier mit Frankreich natürlich nicht gelegen kam. Beide Mächte übten also Druck auf den Dey aus, damit dieser sich wieder von Frankreich abwende. Die britische Regierung trat mit dem Sultan in Istanbul in Kontakt und forderte ihn auf, gegenüber der Regentschaft energisch zu agieren und den Dey zur Raison zu rufen. Dieses konzertierte Bedrohungsszenario, das bis in das Jahr 1801 hinein andauerte, führte schließlich dazu, daß der Dey dem osmanisch-britischen Druck wieder nachgab und seine Haltung gegenüber Frankreich erneut revidierte.

In dieser brenzligen Lage im Herbst 1800 – als der Dey sich wieder mit Frankreich verbündet hatte und Großbritannien sowie das Osmanische Reich begonnen hatten, in Algier gegen Frankreich zu agitieren – wurden die USA mehr oder weniger zufällig in diese explosive Situation hineingezogen. Dabei kam es zu einem recht kuriosen Vorfall, in dessen Verlauf sich der Dey die außenpolitische Unbedarftheit der Vereinigten Staaten zunutze machte. Im September 1800 war nämlich die Fregatte George Washington unter Kapitän William Bainbridge nach Algier gekommen, um dort den fälligen Tribut zu übergeben. Die nötigen Geschäfte wurden abgewickelt, bis im Oktober der Dey vom amerikanischen Konsul O’Brien verlangte, man müsse ihm die Fregatte für eine Mission nach Istanbul zur Verfügung stellen. Hintergrund war eben der osmanisch-britische Druck auf die Regentschaft Algier, der seit Abschluß des Vorfriedens mit Frankreich wieder zugenommen hatte – und der Sultan und Großbritannien standen mit Frankreich ja im Krieg.

Um sich der Gunst des Sultans zu versichern und drohende Strafmaßnahmen abzuwenden, gedachte der Dey ihm Geschenke zu übersenden. Für die amerikanische Seite war dieses Anliegen problematisch, hatte man doch keinerlei Beziehungen mit dem Osmanischen Reich und in Istanbul weder einen Konsul noch einen Ansprechpartner. Und obwohl der Dey die erwünschte Mission als eine besondere Ehre für die Vereinigten Staaten darstellte, die in vorangegangenen Jahren England oder Spanien zugefallen sei, waren die Amerikaner wenig geschmeichelt. Konsul O’Brien und Kapitän Bainbridge versuchten mit allerlei Argumenten, sich aus der Affäre zu ziehen: Man habe keine Verträge mit Portugal, den italienischen Staaten oder dem Osmanischen Reich, weshalb die zu befahrenden Gewässer unsicher seien; man kenne die Gewässer nicht usw. Zunächst konnten sie den Dey tatsächlich davon überzeugen, daß er seine Mission lieber mit einem britischen Schiff abwickeln solle. Die Briten, denen ja daran gelegen war, daß der Dey sich möglichst rasch wieder auf die Seite des Osmanischen Reichs schlage, entsandten ein Kriegsschiff, doch der Dey änderte erneut seine Meinung und bestand wieder auf dem amerikanischen Schiff. Die Amerikaner waren aber immer noch unwillig, im Auftrag des Deys nach Istanbul zu segeln.

Der Dey war jedoch nicht umzustimmen und drohte nun damit, die George Washington beschießen, die Besatzung gefangennehmen und alle amerikanischen Handelsschiffe aufbringen zu lassen, wenn die Mission nicht durchgeführt werde; auch würde er den USA den Krieg erklären. Die Amerikaner gaben nach. Kapitän Bainbridge sollte später sagen, er habe es vorgezogen einzulenken, statt den Ausbruch eines Krieges zu riskieren. Und so segelte dann im Oktober 1800 eine US-amerikanische Fregatte unter algerischer »Piratenflagge« nach Istanbul ...

FORTSETZUNG FOLGT
(Die vollständigen Literaturangaben wird der vierte und letzte Teil enthalten)

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