10.02.2011

Wo bleibt Deutschland? Journalismus, Revolution und Freundschaft in Kairo

 Ein Gastbeitrag aus Kairo von Kristin Jankowski

Kristin Jankowski ist als Redakteurin für
das Goethe-Institut in Kairo tätig.
"Kommen die Deutschen bald nach Ägypten, um die Revolution zu unterstützen?”, fragt ein Schlachter in Kairos Downtown. Er trägt einen Schnauzbart, seine weißen Gummistiefel sind blutig. Er wartet grinsend auf eine Antwort. “Inshallah” ist meine Antwort. "Hoffentlich".  Er grinst: "Und was sagt denn Angela Merkel bezüglich der Situation hier?”, fragt er weiter. Roman und ich zucken mit den Schultern. “Die schläft”, lautet Romans flapsige Antwort.
Die Männer, die sich um den Schlachter herum versammelt haben, lachen auf und schütteln die Kopfe. "Es sind doch alles Bastarde", sagt einer von ihnen. Der Schlachter hat uns Kaffee gebracht. Sehr stark. Sehr lecker. Während wir auf einer Holzbank sitzen, fragt uns der Schlachter neugierig aus. Natürlich geht es nur um eines: Die ägyptische Revolution.

Kurz nachdem die Ägypter am 25. Januar 2011 die Mauer ihrer Angst vor dem Regime durchbrachen, bauten wir in meiner Wohnung ein kleines Camp auf. Die Sessel und den Tisch schoben wir aus dem Wohnzimmer und legten Matratzen und Decken aus. Seitdem dient meine Wohnung oft als kleine Oase der Ruhe für Demonstranten, die direkt vom Tahrir-Platz kommen. Manchmal klingelt es spät in der Nacht bei uns an der Haustür. “Kann ich mal kurz eure Toilette benutzen?” lautet die meist gestellte Frage meiner ägyptischen Freunde, die für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte protestieren.

Und ich war von Anfang an dabei. Ich bin vor fliegenden Steinen davon gelaufen, ich habe mich mit Essig vor Tränegas geschützt, ich habe Verletzte und zwei Leichen gesehen, die durch die Massen am Tahrir-Platz getragen wurden. Ich habe mit meinen Freunden geweint und gelacht. Seitdem der Tahrir-Platz besetzt ist, bin ich jeden Tag dort. Und ich werde oft von Demonstranten gefragt: “Warum hilft uns die deutsche Regierung nicht ? “ Ich kann leider nur mit den Achseln zucken. Und ich schäme mich zu sagen: “Ich denke, dass die deutsche Regierung kein Interesse daran hat, dass Mubarak verschwindet.” Meist schaue ich in ratlose Gesichter, die mich fragen, warum Deutschland nicht an Demokratie und Menschenrechte in Ägypten interessiert sei. "Wir fordern doch nur grundsätzliche Rechte ein. Ist denn das ein Verbrechen?”, fragte mich heute ein Mann, der bereits seit Tagen auf dem Tahrir-Platz campiert. “Haben wir es wirklich nicht verdient, dass unsere Stimmen international gehört werden?" will er weiter wissen. “War das Blutvergießen umsonst?”
Ich kann leider nicht mehr tun, als den Demonstranten gut zuzureden.

Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer Guten, habe ich einmal gelernt. Doch vielleicht gibt es Momente im Leben eines Reporters, indem dieser Satz kurzzeitig aus dem Gehirn gelöscht werden muss. Es sind die Momente, in denen es um Menschlichkeit geht. Um Solidarität. Wenn es darum geht, sich gegenseitig die Hände zu reichen. Wenn es darum geht, den Mut zu haben, die Stimme für Gerechtigkeit zu erheben. Ich habe oft versucht, meine Gefühle aus der Berichterstattung herauszuhalten.
Ich habe mich in die Nähe des Museums gestellt, als es zu schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Pro-Mubarak Leuten kam.
Es waren Schüsse in der Luft, es roch nach Feuer, ich hörte panische Schreie. Ich sah Verletzte, die sich ihre blutenden Wunden mit den Händen zu hielten. Ich habe meine Mitbewohnerin in den Arm genommen, als die Leichen an uns vorbei getrugen wurden und sie bitterlich geweint hat. Das sind die Bilder, die kurz durch die Nachrichten rauschen. Doch wir waren da. Und das geht nicht spurlos an uns vorbei. Wir sind aneinander gerückt. Wir teilen nun erschreckende Erfahrungen, wir teilen Ängste und Hoffnungen.

Ich bewundere die Ägypter, die für eine bessere Zukunft ihr Leben aufs Spiel setzen. ‘Wir haben doch nichts mehr zu verlieren”, sagt meine Freundin Moshira. "Alle, die ihr Leben in den letzten Tagen verloren haben, kommen in den Himmel”, denkt Ahmed. “Wir müssen einfach gewinnen”, fügt er hinzu.
“Es ist fast so, als ob ein Mensch gegen einen Panzer kämpfen würde”, vergleicht Amr die derzeitige Situation in Ägypten. “Der Panzer ist so mächtig, so stark. Wie sollen wir gegen diesen Panzer gewinnen?” fragt er weiter. Ich beobachtet ihn genau, als er das ausspricht. Obwohl seine Worte hoffnungslos klingen, sehe ich ein Funkeln in seinen Augen. “Bis jetzt haben wir noch keinen politischen Fortschritt. Aber die Gesellschaft hat sich verändert. Wir helfen uns viel mehr, als noch vor einigen Wochen. Die nächste Generation wird sicherlich unsere Früchte ernten.” Und dann lächelt er. Ich hoffe, er wird Recht behalten.

Die ägyptische Revolution ist ein Geschenk für mich. Sie ist ein Geschenk für mich, weil ich sie durch meine ägyptischen Freunde bis ins Knochenmark spüren kann. Ich zähle nicht zu den Journalisten, die für einige Tage nach Ägypten gereist sind, um gute Bilder oder knackige Geschichten zu schreiben.
Ich lebe hier. Es kann sein, dass die Leute, die im Fernsehen zu sehen sind, meine Freunde sind.
Für mich sind die Ägypter in den Nachrichten nicht nur winkende und schreiende Körper, die nach der Werbepause schon wieder vergessen sind. Es sind die Menschen die in meinen Träumen auftauchen, es sind die Männer und Frauen, die mich auf dem Tahrir-Platz wiedererkennen und mich in ein Gespräch verwickeln. Es sind die Leute, die mich freundlich empfangen, sich danach erkundigen, ob ich Angst hätte und ob ich von Mubarak-Leuten angegriffen wurde. Es sind die Ägypter, die mir Brot, Kekse und Wasser reichen.
Es sind die Menschen, die mich jeden Tag fragen, warum die deutsche Regierung die Forderungen der Demonstranten nicht unterstützt. Und jedes Mal erinnere ich mich an die Worte des Mannes, der bei dem Schlachter stand: “Es sind doch alles Bastarde.”

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