05.02.2011

Wie die USA zum ersten Mal offizielle Kontakte mit islamischen Potentaten knüpften

Eine denkwürdige Geschichte in mehreren Episoden – Teil 1

Ein historischer Essay von Marco Schöller

Man spricht in diesen Tagen häufig über die besondere Rolle der USA für die Geschicke der islamischen, insbesondere nahöstlichen Welt. Zuweilen hat man den Eindruck, der Aufstand in Ägypten könne ohne die Beteiligung der USA nicht stattfinden. Die westlichen Medien, so scheint es, widmen den Forderungen der Demonstraten auf Kairos Straßen oft weniger Aufmerksamkeit als den noch so unbedeutenden Kommentaren amerikanischer Hinterbänkler zur aktuellen Situation; nach jeder Rede Mubaraks im ägyptischen Fernsehen meldet sich der amerikanische Präsident zu Wort und gibt der Welt zu verstehen, welchen Lauf die Dinge zu nehmen haben.

 

Aus vielerlei Gründen, und nicht zuletzt angesichts der spezifischen geopolitischen Lage Ägyptens, hat diese dominante Rolle der USA ihre momentane Rechtfertigung. Aber die USA waren bekanntlich nicht immer so eng in die Geschicke der nahöstlichen Staaten involviert. Es gab einmal eine Zeit, in der die Vereinigten Staaten als »Newcomer« in die Geschichte des arabisch-islamischen Raums hineingezogen wurden und dort ihre ersten diplomatischen und auch militärischen »Gehversuche« machten – ja machen mußten. Sie agierten dabei nicht selten ungeschickt oder unbedarft, hatten aber auch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, auf die man in Washington nicht recht vorbereitet war.

Wie und warum die Vereinigten Staaten in die nahöstliche Arena hineingezogen wurde, ist eine recht verwickelte und insgesamt denkwürdige Geschichte, die es gerade in unseren Tagen verdient, noch einmal neu beleuchtet zu werden. Und die ersten Stadien dieser Geschichte, die zeitlich zwischen 1783 und 1801 einzuordnen sind, wurden bisher kaum beleuchtet, geschweige denn im Detail rekonstruiert.

I
In vielen bisherigen Darstellungen betrachtet man üblicherweise den Krieg zwischen der Regentschaft Tripoli (h. Libyen) und den Vereinigten Staaten im Jahr 1801 als Ausgangspunkt für die Geschichte der US-amerikanischen Einflußnahme im nordafrikanisch-nahöstlichen Raum. Tatsächlich kam es im Frühjahr 1801 zum ersten »offiziellen« Krieg zwischen einer islamischen Macht und den USA: Nach einem Streit über die Höhe des jährlichen Tributs, den die Vereinigten Staaten an Tripoli zu zahlen hatten – bzw. sich freiwillig zu zahlen verpflichtet hatten, um ihre Handelswege zu schützen –, erklärte der dortige Bey im März 1801 den USA den Krieg. Dieser sollte sich dann bis ins Jahr 1805 hinziehen. Von Sommer 1801 bis 1804 blockierten US-Kriegsschiffe den Hafen von Tripoli, bis im August 1804 eine amerikanische Flotille unter Leutnant Stephen Decatur die Stadt von See aus bombardierte. Im Juni 1805 wurde zwischen Tripoli und den Vereinigten Staaten ein Frieden geschlossen. Der »Tripoli-Krieg« war die erste größere Aktion der US-Navy in Übersee, und in diesen Jahren auch der einzige Konflikt der Vereinigten Staaten mit einer anderen Macht. Aber, wie gesagt, die Nahost-Geschichte  der USA beginnt nicht vor Tripoli, und der dortige Bey war nicht der erste islamische Potentat, mit dem die Vereinigten Staaten in Kontakt – und in diesem Fall in Konflikt – kamen.

In den Vereinigten Staaten wurde man zum ersten Mal an höchster Stelle auf die islamische Welt aufmerksam, nachdem im März 1783 zwei amerikanische Schiffe vor der Küste Marokkos algerischen Korsaren nur um Haaresbreite entkommen waren. Im Sommer 1785 waren die algerischen Piraten jedoch erfolgreich, als es ihnen gelang, amerikanische Schiffe zu kapern. Für die Auslösung von 21 gefangenen Amerikanern sollten die Vereinigten Staaten dann im Jahr 1786 die für damalige Verhältnisse unerhört hohe Summe von $59.469 an den Dey in Algier bezahlen, was aber verweigert wurde. Mehrere Jahre lang feilschte man anschließend über die Höhe des Lösegelds. Tatsächlich zog sich die Sache bis ins Jahr 1796 hin, und die 10 Gefangenen, die nach Jahren der Gefangenschaft in Algier noch am Leben waren, wurden erst 1796 freigekauft. 

Interessanterweise brachten diese Ereignisse der Jahre 1783 und 1785 die USA zunächst nicht gegen Algier, sondern vielmehr gegen Großbritannien auf, denn allgemein verdächtigte man die Briten, sie hätten die algerischen Korsaren auf die Handelsschiffe der USA »losgelassen«. So jedenfalls Benjamin Franklin im Juli 1783:
Ich halte es für wahrscheinlich, daß diese Beutejäger im Geheimen von den Engländern ermutigt werden, über uns herzufallen und uns daran zu hindern, im Transportgeschäft mitzumischen. In London habe ich nämlich gehört, daß folgende Maxime unter den Kaufleuten gelte: »Wenn es kein Algier gäbe, dann würde es sich für England lohnen, eines zu bauen.« Jedenfalls frage ich mich, warum sich das übrige Europa nicht zusammentut, um diese [Piraten]nester zu zerstören und den Handel vor ihren zukünftigen Übergriffen zu schützen. (Allen, Our Navy, S. 27)
Trotzdem gerieten die Ereignisse bald wieder aus dem Blickfeld, und nachdem sich in den Jahren nach 1785 kein neuer Zwischenfall mehr ereignet hatte, stufte man in den USA die Gefahr, die von den algerischen Korsaren drohte, als gering und die Situation insgesamt als unbedenklich ein. Thomas Jefferson, Secretary of State für den Mittelmeerhandel der Vereinigten Staaten, legte im Dezember 1790 die folgende Einschätzung vor:
[Die Regentschaft Algier] besaß noch kürzlich ungefähr neun Schebecken mit 10 bis zu 36 Kanonen und vier Galeeren, die jedoch durch Verluste auf sechs Schebecken und vier Galeeren reduziert worden sind. Man läßt gerade eine Fregatte mit 40 Kanonen bauen und erwartet zwei Kreuzer vom Grand Seignior [= vom »Großherrn«, gemeint ist der osmanische Sultan]. Ihre Schiffe sind schlank gebaut und schnell, aber so leicht, daß sie der Breitseite einer guten Fregatte nicht standhalten. Ihre Kanonen sind unterschiedlichen Kalibers, werden aber ohne die nötige Fertigkeit ausgerichtet und bedient. Die Schiffe werden nur schlecht manövriert und sind von der Besatzung überfüllt, ein Drittel Türken, der Rest Mauren, die entschiedene Tapferkeit an den Tag legen und ihre einzige Hoffnung auf das Entern setzen. Zwei der Schiffe gehören der Regierung, die übrigen sind in Privatbesitz. Sobald sie den Hafen verlassen, trennen sie sich sofort, um nach Beute Ausschau zu halten; man behauptet, daß sie in keinem einzigen Fall in Kooperation tätig gewesen sind. Zudem laufen sie nicht alle auf einmal aus, wenn sie wissen, daß bereits eigene Schiffe unterwegs sind. (State Papers and Publick Documents of the United States X, 1819, S. 47)
Diese Einschätzung war allerdings nicht zutreffend und unterschätzte die Möglichkeiten und Fähigkeiten der algerischen Korsaren: Ihre Seemannskunst war durchaus größer als Jefferson annahm, und ihre Schiffe waren ausreichend bewaffnet, um es mit den meisten Handelsschiffen, auch wenn diese Kanonen trugen, aufnehmen zu können. Die algerische Kaperflotte war deshalb stets eine reale Gefahr, und die USA sollten das im Herbst 1793 erfahren.

II
Das Jahr 1793 sah eine starke Aktivität algerischer Korsaren, und schon am 6. März schrieb der französische Moniteur Universel: »Die Algerier beherrschen das Meer.« Aus den Aufzeichnungen der Archive in Algier wissen wir auch, daß sich die Kapererlöse der Regentschaft Algier 1793 im Vergleich zum Vorjahr um 1631% steigerten! Die algerischen Korsaren profitierten dabei insbesondere von einer neuen Vereinbarung mit Portugal: Der Dey von Algier hatte im Oktober mit Portugal einen einjährigen Waffenstillstand vereinbart, wodurch sich die Meerenge von Gibraltar für algerische Kaperschiffe wieder öffnete. Am Zustandekommen dieser Vereinbarung waren Agenten Großbritanniens maßgeblich beteiligt. Das britische Interesse, auf diese Weise den amerikanischen Handel zu schädigen, erklärt sich vor allem aus der Tatsache, daß seit 1793 viele Nationen ihre Waren auf amerikanischen Schiffen transportierten, hingegen Schiffe unter englischer Flagge scheuten, weil diese von den französischen Corsairs bzw. Privateers bejagt wurden.

Nach der Öffnung der Straße von Gibraltar, was dank der Vereinbarung mit Portugal erreicht werden konnte, segelte deshalb im Frühherbst 1793 fast die gesamte algerische Flotte – vier Fregatten, drei Schebecken und eine Brigg – in Richtung Atlantik; nach amerikanischen Angaben fuhren sie unter englischer Flagge. Die Korsaren waren erst wenige Tage unterwegs und kaum über Gibraltar hinaus, als sie zwischen dem 8. und 12. Oktober vor Cádiz sieben amerikanische Schiffe kaperten. Erst am 11. Oktober erfuhr Edward Church, Konsul der Vereinigten Staaten in Lissabon, von dem Friedensschluß zwischen Algier und Portugal. Am folgenden Tag sandte er eine alamierte Eildepesche nach Washington, um vor der nun drohenden Gefährdung amerikanischer Schiffe zu warnen, doch zu diesem Zeitpunkt waren bereits sieben amerikanische Schiffe gekapert worden. Zwischen dem 18. Oktober und dem 23. November wurden dann noch weitere fünf Schiffe von algerischen Korsaren aufgebracht. Insgesamt wurden über 100 amerikanische Seeleute – die Zahlen schwanken zwischen 109 und 130 Personen – gefangengenommen und nach Algier verschleppt, wo sie für verschiedenste harte Arbeiten eingesetzt wurden.

In den USA machte man wieder – und dieses Mal zweifellos mit Recht – die Briten für die Aktivitäten der algerischen Korsaren verantwortlich. Folglich verurteilte man die Machenschaften Großbritanniens mit patriotischen Worten, und der amerikanische Konsul in Algier, Richard O'Brien, schrieb am 5. November 1793 an den Präsidenten:
Die britische Nation, der natürliche und altehrwürdige Feind der Vereinigten Staaten, hat diesen Waffenstillstand, oder Halbfrieden, für Portugal eingefädelt, um unseren Handel in Gefahr zu bringen und die Vereinigten Staaten daran zu hindern, die Franzosen während ihres gegenwärtigen, ruhmvollen Ringens um die Freiheit zu versorgen. (State Papers and Publick Documents of the United States X, 1819, S. 325)
Die über 100 amerikanischen Gefangenen gesellten sich in Algier zu denjenigen, die bereits seit 1785 dort festgehalten wurden. Zwar hatte der US-Senat bereits im Februar 1792 $100.000 als jährlichen Tribut an die nordafrikanischen Regentschaften freigegeben, dazu $40.000 als Lösegeld für amerikanische Gefangene. Aber das Geld war nicht ausgezahlt worden, weshalb man im Juni 1792 mehrere Agenten in den Mittelmeerraum sandte, um mit dem Dey in Algier zu verhandeln. Doch durch mißliche Umstände und den Tod eines der Agenten kam es zu keinen Gesprächen mit der Regentschaft. Das Ergebnis davon waren die Ereignisse im Herbst 1793, als die besagten elf amerikanischen Schiffe vor Gibraltar aufgebracht wurden. 

Hiernach wurden tatsächlich Verhandlungen mit Algier geführt, wobei allerdings bis ins Jahr 1795 alle Bemühungen seitens der Vereinigten Staaten scheiterten, mit dem Dey zu einer Übereinkunft zu kommen. Auch dabei mochten vor allem die Briten wieder ihre Hand im Spiel gehabt haben, zumindest bis sie im November 1794 selbst einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit den Vereinigten Staaten abschlossen. Ab diesem Zeitpunkt ließen dann auch die britischen Machenschaften zum Nachteil der Vereinigten Staaten in den nordafrikanischen Regentschaften nach. Neben Großbritannien waren jedoch noch viele weitere Nationen daran interessiert, eine Verständigung zwischen Algier und den Vereinigten Staaten zu hintertreiben. Hauptgrund dafür war die Befürchtung, daß die algerischen Korsaren wieder vermehrt die jeweils eigenen Schiffe angreifen würden, wenn in Zukunft erst die »leichte« amerikanische Beute ihrem Zugriff entzogen wäre. Und so hatten die USA ab Herbst 1793 nicht nur ihr Problem mit der Regentschaft Algier zu lösen, sondern sie mußten auch die Intrigen der anderen europäische Mächte erdulden, denen es daran gelegen war, daß die algerischen Korsaren weiterhin über die amerikanischen Schiffe herfielen.

FORTSETZUNG FOLGT
(Die vollständigen Literaturangaben wird der letzte Teil enthalten)

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