06.02.2011

Wie die USA zum ersten Mal offizielle Kontakte mit islamischen Potentaten knüpften / 2

Eine denkwürdige Geschichte in mehreren Episoden – Teil 2

Ein historischer Essay von Marco Schöller


III
Seit dem Spätherbst 1793 befanden sich über 100 amerikanische Seeleute in Gefangenschaft in Algier, und die ersten Bemühungen der US-Regierung, ihre Leute freizukaufen, waren zunächst gescheitert: einerseits durch mißliche Umstände, andererseits durch das Wirken britischer Agenten hinter den Kulissen. Aber die bisherige Politik Großbritanniens, eine Verständigung der USA mit dem Dey in Algier zu verhindern, wurde gegen Ende 1794 modifiziert, nachdem die Briten im November 1794 einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen hatten.



Im Juli 1795 fand sich der Dey in Algier schließlich bereit, mit den Vereinigten Staaten zu einer Übereinkunft zu kommen. Daraufhin traf am 3. September der Unterhändler  der Vereinigten Staaten, Joseph Donaldson, in Algier ein, um dort einen Friedensvertrag auszuhandeln. Dieser wurde dann  zwei Tage später, am 5. September, unterzeichnet und legte fest, daß es nicht mehr zu Übergriffen kommen sollte und die Kapitäne beider Seiten mit Pässen auszustatten waren; auch der bilaterale Handelsverkehr wurde geregelt. Der Dey verpflichtete sich den Vertrag einzuhalten, und zwar gegen die Zahlung eines jährlichen Tributs von 12.000 Piastern ($21.600), eine eher geringe Summe. Die USA sollten den ausgehandelten Tribut bis ins Jahr 1812 zahlen, als es zum Krieg mit Algier kam. Die Höhe des Tributs entsprach der Zahlung, die auch andere Staaten, etwa Schweden seit April 1792, der Regentschaft leisteten.

Allerdings kamen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die amerikanischen Gefangenen nicht frei, weil nun zwar die Frage des Tributs geklärt, das nötige Lösegeld für die Freizukaufenden noch nicht eingetroffen war. Unter den amerikanischen Gefangenen, die am Hafen von Algier den Vertragsabschluß schon enthusiastisch feierten, weil sie nun damit rechneten, wieder nach Hause zu kommen, brach Entsetzen aus, als sie das hörten. Aber das Lösegeld traf bis auf weiteres nicht in Algier ein. Weitere Monate gingen dann ins Land, und der Dey drohte zu Beginn 1796 sogar mit der Aufkündigung des Vertrags, falls sich die Vereinigten Staaten nicht in Kürze zur Zahlung des Lösegelds bequemten. Aus Sicht der Regentschaft war das folgerichtig: Der Dey benötigte entweder Einnahmen oder eine Beschäftigung für seine Korsaren, denn durch den Vertrag mit den Vereinigten Staaten hatte er seinen Kaperkapitänen eine Möglichkeit genommen, leichte Beute zu machen, konnte ihnen aber keine Geldmittel als Ersatz anbieten. Dieser Zustand war auf lange Sicht untragbar, so schlußfolgerte der Dey nach der Korsarenlogik, die in der Regentschaft Algier nicht mit politischen Erwägungen zu konkurrieren hatte.

Im März 1796 kam der amerikanische Gesandte Joel Barlow nach Algier, um die Freilassung seiner Landsleute zu erwirken. Über ihn sagte man später folgendes:
»Niemanden hätte man finden können, der besser geeignet war, mit ihnen [= den Algeriern] zu verhandeln, als Joel Barlow. Seine außergewöhnlichen Eigenschaften als Diplomat, wie auch seine persönlichen Qualitäten und bisherigen Leistungen, hatten ihm eine glänzende Reputation in Europa und Amerika verschafft.« (Upham, Life of Pickering III, S. 273)
Die Vereinigten Staaten waren wegen der wenig konzilianten Haltung des Deys in Panik geraten und versuchten nun, die Sache eilig zum Abschluß zu bringen. Zunächst versprach Barlow, die Vereinigten Staaten würden der Tochter des Deys eine Fregatte, bestückt mit 36 Kanonen, als Geschenk überlassen. (Es mag überraschend scheinen, aber die Tochter des Deys besaß offiziell mehrere Kaperschiffe – zuletzt, im Jahr 1794, eine Brigg mit 22 Kanonen, die vor der spanischen Küste nahe Cartagena verloren ging!) Der Regentschaft in Algier ein Schiff zu »schenken« war eines der üblichen Mittel, mit welchen sich die europäischen Staaten das Wohlwollen des Deys erkauften, und die USA bedienten sich nun derselben Strategie. Nach einem Schreiben Barlows vom 5. April 1796 vermittelte der jüdische Kaufmann Jacob Bacri, Teilhaber eines in Algier einflußreichen Finanz- und Handelshauses, das Angebot der USA, dem Dey ein Schiff zu schenken. Dabei offerierte Barlow zunächst ein schwach bewaffnetes Schiff, ging dann aber, damit die Sache vorankam, auf die Forderungen des Deys ein, der mehr Kanonen forderte; Bau, Bereitstellung und Überführung des Schiffes nach Algier wurden mit $99.727 veranschlagt.

Der Dey zeigte sich über dieses Angebot der USA erfreut, denn seine Flotte konnte jedes Schiff gebrauchen, und Barlow hatte sich dadurch Zeit erkauft. In den folgenden Monaten erreichte Barlow auch, daß ihm der Financier Bacri das Lösegeld für den Freikauf der amerikanischen Gefangenen vorstreckte. Schon im November 1793 hatten der schwedische Konsul Mathias Skjöldebrand und dessen Bruder Pierre Eric geraten, der Vertreter der USA solle sich in Algier bezüglich des Freikaufs der Gefangenen an Bacri halten, weil dessen Vermittlung die größte Aussicht auf Erfolg biete. Aber die Bereitstellung des Lösegelds durch Bacri geschah auf kuriosen Umwegen: Das Geld, das Bacri den USA zur Verfügung stellte, entstammte nämlich der Staatskasse des Deys, von dem es wiederum der französische Konsul Louis-Alexandre d’Herculais als Darlehen genommen hatte, um es als Kredit an Bacri auszuhändigen. Und dieser gab den Kredit im Namen der USA an den Dey zurück! Also hatte, bis d'Herculais und Bacri selbst für die Summe aufkommen würden, der Dey das Lösegeld, das er von den USA forderte, aus der eigenen Staatskasse finanziert ...

Die Beteiligung von Bacri und Herculais an diesem Deal erklärt sich aus dem starken Interesse, das Frankreich an einem Frieden zwischen Algier und den Vereinigten Staaten hatte, weil dieser nur zu Lasten Großbritanniens gehen konnte. Als die Briten sich wiederum über diese Situation klar wurden, war es jedoch zu spät, und die Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten und dem Dey in Algier ließ sich für den Moment nicht verhindern. Die Freilassung der amerikanischen Gefangenen kam also endlich zustande, und am 13. Juli 1796 wurden die amerikanischen Gefangenen nach Livorno eingeschifft. Nur 85 (oder nach anderen Angaben 89) der ursprünglich über 100 amerikanischen Seeleute waren zu diesem Zeitpunkt noch am Leben, die übrigen verschiedenen Krankheiten oder der Zwangsarbeit zum Opfer gefallen. Neben den Amerikanern wurden auch 48 Neapolitaner an Bord genommen, die ebenfalls freigelassen worden waren.

Das Schiff namens Fortune, das die Gefangenen ins toskanische Livorno bringen sollte, gehörte übrigens Jacob Bacri, der ja bereits den ganzen Deal eingefädelt und vorfinanziert (oder vielmehr fremdfinanziert) hatte. Die Verschiffung der freigelassenen Gefangenen stand dann aber unter einem schlechten Stern, und das Schiff erreichte niemals den Hafen von Livorno. Tatsächlich wurden am Ende die Amerikaner nicht in Livorno, sondern in Marseille abgesetzt, weil unterwegs eine Seuche an Bord ausgebrochen war und die Autoritäten in Livorno die Einfahrt in den Hafen verweigerten; in Marseille, wo man das Schiff einfahren ließ, wurde dann eine 80-tägige Quarantäne verhängt. Zwei der Männer an Bord waren während der Überfahrt verstorben. Die Fortune fuhr danach weiter unter amerikanischer Flagge und wurde kurze Zeit später von den Briten aufgebracht. Bacri forderte deshalb $40.000 Entschädigung für sein verlorenes Schiff, die ihm von den Vereinigten Staaten gezahlt wurde.

Die Gesamtkosten für den Deal mit Algier wurden von amerikanischer Seite mit $992.463 veranschlagt, davon $525.500 für den Freikauf der Gefangenen sowie verschiedene Bestechungsgelder. Jacob Bacri soll von den Vereinigten Staaten um die $30.000 für seine Bemühungen erhalten haben, was immerhin den jährlichen Tribut, den die USA der Regentschaft Algier zugesichert hatten, um fast die Hälfte überstieg. Im Jahr 1798 veranschlagte man in den USA die Summe, die man insgesamt an Bacri gezahlt hatte, auf nicht weniger als $50.000. Und überhaupt waren während der gesamten Zeit die Beziehungen zwischen Bacri und den USA nicht ohne Reibungen, und beide Seiten trauten einander nicht recht über den Weg. In den Jahren 1800–01 kam es dann zu ernsten Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Bacri, und die Vertreter der USA in Algier waren davon überzeugt, daß Bacri im Geheimen gegen die amerikanischen Interessen tätig war.

IV
Die Kaperung US-amerikanischer Schiffe im Herbst 1793 und die anschließende Erniedrigung durch die Tributzahlung an Algier führten dazu, daß man in den Vereinigten Staaten den Aufbau einer Kriegsmarine in Angriff nahm, die man bis dahin nicht besaß. Gründung und Aufbau der US Navy stehen deshalb in direktem Zusammenhang mit der Politik des Deys von Algier.

In vielen Schreiben nach Washington hatte Colonel David Humphreys, Vertreter der USA in Algier, schon seit 1793 unablässig darauf gedrungen, eine Kriegsmarine gegen die »Piraten« aufzustellen:
Es muß nun auch dem Letzten offensichtlich sein, daß die Vereinigten Staaten keine andere Wahl haben, als eine Streitmacht zur See vorzubereiten, die alle Kapazitäten besitzen muß, ihren Handel zu schützen; daß es außerdem allen Anlaß gibt zu fürchten, daß die Korsaren, solange sie sich vor jeder Gefahr in vollkommener Sicherheit wähnen, zudem ermutigt von Straffreiheit und Jagderfolg, bald den englischen Kanal und zu anderer Zeit dann sogar die Küsten Amerikas verseuchen werden, wenn wir unsererseits nicht augenblicklich die wirksamsten und entschiedensten Maßnahmen treffen. (Colonel D. Humphreys an den Secretary of State, datiert vom 23. November 1793, State Papers and Publick Documents of the United States X, 1819, S. 311).
Anfang Januar 1794 wurde dann im Repräsentantenhaus nach regen Debatten und mit knapper Mehrheit beschlossen, »daß eine Seemacht aufgebaut werden sollte, in der Lage, den Handel der Vereinigten Staaten gegen die algerischen Korsaren zu verteidigen.« Man diskutierte eine entsprechende Gesetzesvorlage, bevor man dann im März anordnete, daß der Präsident sechs Schiffe »durch Ankauf oder auf anderem Weg beschaffen, ausrüsten und zum Einsatz bringen« solle. Die stärksten Schiffe, die man in der Folge baute, waren drei Fregatten, die den algerischen Schiffen an Zahl der Kanonen und Besatzung überlegen sein sollten.

Aber auch der Dey rüstete weiter auf, und – Ironie der Geschichte! – ausgerechnet die Vereinigten Staaten halfen ihm dabei. Und das, obwohl sie ja nach den jüngsten Erfahrungen nicht das geringste Interesse daran gehabt haben sollten. Tatsache ist aber, daß der Dey im Juni 1797 zwei leichte Cruiser in den Vereinigten Staaten orderte und zusagte, den veranschlagten Preis von $45.000 für die beiden Schiffe bei Auslieferung bezahlen zu wollen. In Washington ließ man sich auf dieses Geschäft ein und lieferte in den nächsten Jahren Kriegsschiffe nach Algier. Präsident Adams rechtfertigte diesen neuen Deal damit, daß die USA dem Dey verpflichtet seien, weil er jüngst die USA bei den Verhandlungen mit den Regentschaften Tunis und Tripoli unterstützt hatte. (In der Tat hatte der Dey von Algier den USA nicht weniger als $40.000 vorgestreckt, damit die Vereinigten Staaten mit der Regentschaft Tripoli zu einer Übereinkunft kommen konnten; am 3. Januar 1797 siegelte und unterschrieb er als Zeuge den Vertrag vom 4. November 1796 zwischen Tripoli und den Vereinigten Staaten.)

Im Auftrag des Deys baute man 1798 in den Vereinigten Staaten die Brigg Hassan Bashaw – benannt nach dem regierenden Dey in Algier – und den Schoner Skjöldebrand – benannt nach dem schwedischen Konsul in Algier, Mathias Skjöldebrand, der die Sache der Vereinigten Staaten in der Regentschaft immer tatkräftig unterstützt hatte. Beide Schiffe erreichten Algier im Februar 1799, wobei die Hassan Bashaw an den neuen Dey Mustafâ ausgehändigt werden mußte, weil der Namenspatron des Schiffes – der vorherige Dey Hasan – am 14. Mai 1798 verstorben war! Zwei weitere Schiffe aus amerikanischer Produktion, die Lelah Eisha und der Schoner Hamdullah, der bereits zuvor in Algier angekommen war, wurden ebenfalls dem neuen Dey übergeben, als Ersatz für ausstehende Materiallieferungen, die einen Teil des Jahrestributs ausmachten. Neben diesen Schiffen erhielt die Regentschaft Algier von den Vereinigten Staaten außerdem die Fregatte Crescent, die Barlow im Jahr 1796 dem Dey kurzerhand versprochen hatte; sie war in Algier im Sommer 1798 angekommen. Die »first-class frigate« Crescent war 1797 in Portsmouth, New Hampshire, gebaut worden und Anfang 1798 nach Algier ausgelaufen, an Bord den neuen amerikanischen Konsul Richard O’Brien.

FORTSETZUNG FOLGT
(Die vollständigen Literaturangaben wird der letzte Teil enthalten)

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