25.02.2011

„Es war nur der Anfang ...“

Marokkos Proteste vom 20. Februar 2011

Von Swantje Boulouh-Bartschat, M.A.

Nicht nur im geographischen Sinn stellt Marokko auch in den Tagen der ‚arabischen Revolution‘ eine Randerscheinung dar. Erfolgreiche Despotenvertreibung in Tunesien, Massenaufstände in Ägypten und Algerien – da gehen Meldungen über 5 Tote, 128 Verletzte und fast genauso viele Verhaftete in Marokko hierzulande nahezu unter. Doch hat die Protestwelle nun auch das westlichste Land der islamischen Welt erreicht – entgegen der vielerorts geäußerten Ansicht, dort bleibe es ruhig und das marokkanische Volk bedürfe keiner Proteste. Wie wenig zutreffend diese Annahme ist, beweisen nicht nur zahlreiche, insbesondere über Youtube verbreitete Aufnahmen von Demonstrationen in einigen marokkanischen Städten.

Mohammed VI.
In dem Land herrschen trotz einer liberaleren Linie des Königs Mohammed VI. gravierende Missstände sozialer, politischer und ökonomischer Natur. So waren bereits Ende letzten Jahres in Rabat u.a. Studentenproteste zu beobachten, die auf die Perspektivlosigkeit von Absolventen hinwiesen. Vergangenen Sonntag schließlich kam es nach weiteren, einzelnen Versammlungen zu landesweiten Kundgebungen. Von Oujda über Tanger und Fes bis hin zu Marrakesch und Agadir fanden Demonstrationen statt, deren Gesamtteilnehmeranzahl auf wenige Hundert bis hin zu Zehntausenden beziffert wird. So ungenau und gleichzeitig unsicher diese Angaben sind, so vielfältig sind die Forderungen der Demonstranten.
„Es gibt in Marokko viel sozialen Sprengstoff: Eine hoffnungslose junge Generation träumt von Europa. Die Islamisten werden immer stärker und würden sogar Wahlen gewinnen, wenn man sie denn ließe. Die Volksgruppe der Berber, Marokkos Urbevölkerung, fühlt sich in der von den Arabern dominierten Gesellschaft benachteiligt. In der von Marokko besetzten Westsahara schwelt ein Konflikt, der oft zu gewaltsamen Zusammenstößen führt.“
Sozialer Sprengstoff in Marokko: Der „Partykönig“ auf dem Pulverfass (sn.at / 07.02.2011)

Es geht vordergründig und im Gegensatz zu den übrigen nordafrikanischen Ländern nicht um den Sturz eines Monarchen. Vielmehr wird die Einschränkung seiner Machtbefugnisse gefordert, also eine konstitutionelle Monarchie, die bereits auf Papier existiert – aber eben nur dort. Hinzu kommen unter anderem Forderungen nach Beseitigung der Korruption und Durchsetzung der Pressefreiheit, die im Vergleich zur Herrschaftszeit Hasans II. (1961-1999) in den vergangenen Jahren bereits Lockerungen erfahren hat. Doch hinkt sie immer noch weit hinter dem her, was man im demokratischen Sinne unter Pressefreiheit versteht. Entsprechend schwer lässt sich folglich die aktuelle Berichterstattung aus dem Land einschätzen.

Die Koordinatoren der landesweiten Proteste vom 20. Februar 2011 sind ungeachtet der Anzahl an Teilnehmern zufrieden – „Unsere Demonstration wäre schon ein Erfolg gewesen, selbst wenn man nicht so viele Leute hätte mobilisieren können – allein aufgrund der Tatsache, dass sie überhaupt stattgefunden hat.“ Und dies sei erst der Anfang. In der Tat ging der Aufruf zum Protest via Facebook in dieser Woche in die zweite Runde. Doch auch Aufrufe zu Gegendemonstrationen verbreiten sich zunehmend. Bereits in diesen Tagen könnte sich also das marokkanische Volk erneut versammeln. Dabei bleibt abzuwarten, ob es sich wie zuvor seinem scheinbar grenzenlosen Respekt dem König gegenüber unterwirft und im Gegensatz zu den nach Rücktritt der jeweiligen Monarchen bzw. Herrscher schreienden Nachbarländern bei der Forderung nach Machteinschränkung bleibt. Die Erinnerungen an den mit ‚eiserner Hand‘ regierenden Vater Mohammeds VI. bis vor elf Jahren sind noch nicht verblasst und entsprechend bewusst sind sich zumindest Teile des marokkanischen Volkes über die Änderungen durch den jungen, moderneren König. Doch der hohen Arbeitslosenquote insbesondere unter jungen Leuten, der verbreiteten Korruption und der unübersehbar tiefen Kluft zwischen Arm und Reich wird auch die Beliebtheit von „M 6“ (= Mohammed VI.) auf Dauer nicht gewachsen sein.

„Der schöne Schein vom demokratischen Wandel“
(qantara.de / 22.02.2011)
Interview mit der marokkanischen Bloggerin Zineb El Rhazoui: Sie ist eine der Koordinatorinnen der Bewegung "20. Februar", die am vergangenen Sonntag über die Kampagne "Ich bin Marokkaner!" zahlreiche Demonstranten zu einem Marsch für Demokratie und soziale Gerechtigkeit in mehreren marokkanischen Städten mobilisiert hat. Claus Josten hat sich mit ihr unterhalten.

Ein Aufruf zur Demo am 20. Februar auf Youtube:


Eine Bilanz über 10 Jahre Herrschaft Mohammeds VI.: „Das große Missverständnis?
(qantara.de / 22.07.2009)
Nach nunmehr zehnjähriger Herrschaft kann König Mohammed VI. zwar auf einige politische und ökonomische Erfolge zurückblicken. Allerdings habe sich Marokko während seiner Regentschaft immer mehr in eine absolute Monarchie verwandelt, kritisieren Menschenrechtsaktivisten. Eine Bilanz von Sonja Hegasy.

Warum sich die Proteste Marokkos von den anderen unterscheiden: „Marokko will eine Königsdemokratie“ 
(FAZ.net / 22.02.2011 / Joseph Hanimann)
Hau ab! Dieser Schlachtruf aller Demonstrationen im arabischen Raum ist in Marokko nicht zu hören. Niemand verlangt dort die Abdankung des Monarchen Mohammed VI. Stattdessen erhofft man neben der Demokratie auch eine Reform des Königtums.

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